• 26.06.2002, 17:20:09
  • /
  • OTS0277 OTW0277

NATIONALBANKSPITZE INFORMIERT ÜBER GELD- UND WÄHRUNGSPOLITIK Klaus Liebscher und Gertrude Tumpel-Gugerell im Finanzausschuss=

Wien (PK) - Gouverneur und Vizegouverneurin der Oesterreichischen
Nationalbank, Klaus Liebscher und Gertrude Tumpel-Gugerell, haben
dem Finanzausschuss heute den 1. Halbjahresbericht 2002 über
geld- und währungspolitische Maßnahmen vorgelegt.

Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Klaus
Liebscher, führte in seinem Bericht über die wichtigsten
Entwicklungen der einheitlichen Geldpolitik für den Euro-Raum vor
dem Hintergrund einer langsamen konjunkturellen Erholung aus,
dass der EZB-Rat im ersten Halbjahr 2002 keine Veränderungen des
Zinsniveaus beschlossen hat. Der Mindestbietsatz für die
Hauptrefinanzierungsgeschäfte und die Zinssätze für die Einlage-
und Spitzenrefinanzierungsfazilität liegen seit 8.11.2001
unverändert bei 3,25 %, 2,25 % bzw. 4,25 %. Im Mittelpunkt der
EZB-Analyse stand eine leichte Verringerung des Drei-Monats-
Durchschnitts bei den Jahreswachstumsraten der Geldmenge M3 im
bisherigen Verlauf des Jahres 2002.

EUROSTAT bestätigte die Erwartung einer allmählichen Erholung des
BIP-Wachstums im Euro-Raum, wobei der Außenhandel einen negativen
Beitrag der Inlandsnachfrage überkompensierte. Das Vertrauen von
Industrie und Verbrauchern habe im Mai 2002 zugenommen. Alle
Experten rechnen mit einem Anziehen der Inlands- als auch der
Auslandsnachfrage. Für 2002 werde ein reales BIP-Wachstum
zwischen 0,9 % und 1,5 % erwartet, für 2003 eine weitere Belebung
und ein Wachstum zwischen 2,1 % und 3,1 %. Unsicherheiten gehen
von der Ölpreisentwicklung und Ungleichgewichten in anderen
Teilen der Weltwirtschaft aus.

Die Inflationsrate habe sich im Euro-Raum von 2,7 % Anfang des
Jahres auf 2 % im Mai zurückgebildet. Besonders deutlich ging die
Teuerung in Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg und
Belgien zurück, wo sie, wie in Österreich (1,6 %), unter der
Zwei-Prozent-Marke liegt. Preiseffekte durch die Euro-
Bargeldumstellung bezeichnete der Notenbankgouverneur als
marginal. Übereinstimmende Analysen von OeNB und EU-Kommission
beziffern die Preiseffekte infolge der Euro-Umstellung mit 0,1
bis 0,2 Prozentpunkte.

Die Inflationsrate dürfte sich im zweiten Halbjahr 2002 um 2 %
bewegen. Für 2003 erwarten die Prognostiker eine Rate zwischen
1,3 und 2,5 %. Das ungünstigere Bild der Inflationsentwicklung
gehe auf Entwicklungen bei den Verbraucherpreisen, darunter die
Ölpreissteigerungen Anfang des Jahres, zurück. Die anhaltende
Aufwertung des Euro trage zur Eindämmung des Inflationsdrucks
bei. Die mittelfristigen Aussichten für die Preisstabilität sah
Gouverneur Liebscher unbeeinträchtigt, vorausgesetzt, die
vergangenen Teuerungstrends verfestigen sich nicht in den
Inflationserwartungen. Besorgt zeigte sich Liebscher allerdings
angesichts der Ergebnisse der jüngsten Tarifverhandlungen in
einigen Ländern des Euro-Gebiets.

Alle Mitgliedsstaaten sollten in ihrer Finanzpolitik eine
mittelfristige Perspektive im Einklang mit dem Stabilitäts- und
Wachstumspakt beibehalten. Denn der Stabilitäts- und
Wachstumspakt ist für das Funktionieren der Wirtschafts- und
Währungsunion unerlässlich, betonte Liebscher. Daher müssen die
Mitgliedsländer ihrer Verpflichtung, bis 2004 annähernd
ausgeglichene Haushalte zu erreichen, erfüllen. Dazu kommen
Reformen bei Umfang und Struktur der öffentlichen Ausgaben, um
Spielraum für Steuersenkungen zu schaffen und die Budgetbelastung
durch die Alterung der Gesellschaft zu verringern. In diesem
Zusammenhang begrüßte der Nationalbank-Gouverneur das Ziel der
Bundesregierung, die Steuerbelastung auf unter 40 % des BIP zu
senken und ein ausgeglichenes Budget sicherzustellen.

Schließlich ging Gouverneur Liebscher auf die erfolgreiche Euro-
Währungsumstellung ein und machte auf die wachsende
internationale Bedeutung des Euro als Anker-, Reserve-,
Transaktions- und Anlagewährung aufmerksam. Das
Jahrhundertprojekt der Währungsumstellung konnte in Kooperation
der Nationalbank mit den Geschäftsbanken, den Sicherheitskräften,
der Bundesregierung, der öffentlichen Verwaltung und den
Sozialpartnern bewältigt werden, weil die OeNB über ein
ausgezeichnetes Kompetenzzentrum für Zahlungsmittel und
Zahlungsverkehr verfügt.

Euroumstellungsbedingten Preisanstiegen haben sowohl
institutionelle Vorkehrungen als auch Marktkräfte
entgegengewirkt. Österreich gehöre mit seiner tendenziell
rückläufigen Preissteigerung von 1,7 % im April bzw. 1,6 % im Mai
zu den preisstabilsten Ländern innerhalb des Euro-Raums. Da immer
noch zwei Drittel der Österreicher in Schilling umrechnen, setzte
die OeNB gemeinsam mit dem ORF Informationsaktivitäten zur
Verbesserung des Euro-Wertgefühls. Die Diskussion um die
Einführung einer Zwei-Euro-Banknote sei in den letzten Monaten
verebbt, schloss Gouverneur Liebscher.

Vize-Gouverneurin Gertrude Tumpel-Gugerell befasste sich mit der
konjunkturellen Situation und stellte fest, dass die
konjunkturelle Talsohle der Weltwirtschaft im vierten Quartal
2001 erreicht wurde, in den ersten beiden Quartalen 2002 ein
moderater Aufschwung einsetzte, von dem anzunehmen sei, dass er
sich in der zweiten Jahreshälfte verstärken werde. Unsicherheiten
gehen von Ungleichgewichten in den USA und Japan und von der
schwer prognostizierbaren Ölpreisentwicklung aus. Der
Konjunkturaufschwung im Euro-Raum wird zunächst vor allem vom
Außenhandel, in weiterer Folge aber auch vom privaten Konsum und
von Unternehmensinvestitionen unterstützt werden. Eine etwaige
Dollar-Schwäche zähle zu den externen Risken für den Euro-Raum,
weil sie die Exporte belasten, auf der anderen Seite aber über
die Ölpreise inflationsdämpfend wirken.

Damit Europa sein inflationsfreies Wachstumspotential nützen und
die Arbeitslosigkeit senken kann, bedürfe es weiterer
struktureller Reformen auf den Produkt-, Finanz- und
Arbeitsmärkten sowie Verbesserungen in Ausbildung und Forschung.

In Mittel- und Osteuropa lagen die Wachstumsraten im Jahr 2001
zwischen 3 % und 4 %, wobei die Situation in Polen ungünstiger
war, Russland hingegen ein starkes Wachstum von 4,9 % zeigte. Im
Durchschnitt dürften die zentraleuropäischen Kandidatenländer im
Jahr 2002 Wachstumsraten von 2,5 % erzielen.

In Österreich haben sich die Vertrauensindikatoren seit
Jahresbeginn deutlich gebessert, an den Produktionsdaten sei der
erwartete Aufschwung aber noch nicht abzulesen. Vor allem der
Kfz-Handel kämpfe nach wie vor mit massiven Problemen infolge
eines Rückgangs bei den Neuzulassungen. Der Tourismus
verzeichnete hingegen neuerlich eine gute Wintersaison. Der
Arbeitsmarkt leide nach wie vor unter der schwachen
Inlandskonjunktur, was zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit um
18,9 % im Mai 2002 gegenüber dem Vorjahr führte. Im Laufe des
Jahres 2002 wird für Österreich ein Konjunkturaufschwung durch
Exporte, Investitionen und Lageraufbau vorausgesagt, auch der
private Konsum sollte an Dynamik gewinnen.

Infolge der schwächeren Konjunktur wird der gesamtstaatliche
Budgetsaldo 2002 und 2003 ein Defizit von 0,2 % und nach
verbesserter Konjunktur im Jahr 2004 ein Plus von 0,2 % betragen.
In diese Berechnungen sind eine Lohnnebenkostensenkung von 450
Mill. Euro und eine Erhöhung der Kinderbeihilfe in der Höhe von
145 Mill. Euro eingerechnet. Die Berechnung könne aber nur
gehalten werden, wenn sich die Einnahmen/Ausgaben-Relation, die
derzeit von Mindereinnahmen und Mehrausgaben gekennzeichnet sei,
umkehre und keine defiziterhöhenden Maßnahmen gesetzt werden.

Die Frage, warum das Wirtschaftswachstum in Österreich seit der
zweiten Hälfte der neunziger Jahre unter dem Durchschnitt des
Euro-Raums liege, beantwortete Vize-Gouverneurin Tumpel-Gugerell
mit dem Hinweis auf Staaten, die sich in einem wirtschaftlichen
Aufholprozess befinden. Bereinigt man die EU-Daten um die Werte
von Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, liege Österreich
im Durchschnitt. Verbesserungswürdig sei in Österreich die
Frauenerwerbsquote, die Beschäftigungsquote der 50- bis 60-
jährigen, die zielgerichtete Berufsausbildung und die
Investitionen in Forschung und Entwicklung, die zuletzt auf 1,95
% gesteigert werden konnten, aber noch weit von den angepeilten
2,5 % des BIP entfernt sind.

In der Debatte erkundigten sich die Abgeordneten Jakob Auer (V)
und Werner Kogler (G) nach den Wirtschaftsaussichten in Asien
bzw. im arabischen Raum sowie nach der Entwicklung des
Außenhandels.

Abgeordneter Rudolf Edlinger (S) konnte die "Euphorie" angesichts
der Zielsetzung der Bundesregierung, die Steuerquote auf unter 40
% zu senken, nicht teilen, weil er um das Sozialsystem und die
Investitionstätigkeit fürchtete. Außerdem wollte Edlinger wissen,
ob Gouverneur Liebscher die Auffassung des Kärntner
Landeshauptmanns Haider teile, dass die OeNB seit der Einführung
der Wirtschafts- und Währungsunion keine Funktion mehr habe.

Abgeordneter Günter Stummvoll (V) dankte den Mitarbeitern der
Nationalbank für ihre gewaltige Leistung bei der Euro-Umstellung
und erkundigte sich nach einem Ranking der Wachstumsimpulse wie
Infrastruktur, Ausbildung und Liberalisierung.

Abgeordneter Gerhard Hetzl (F) erinnerte an die Kritik an der
Berechnung des Verbraucherpreisindex und fragte, ob hier
Handlungsbedarf bestehe.

Abgeordneter Hannes Bauer (S) problematisierte
Konjunkturberechnungen für osteuropäische Beitrittsländer und
drängte darauf, die Zahlengrundlagen der Prognosen zu verbessern.

Staatssekretär Alfred Finz führte aus, dass die Euro-Entwicklung
die Bundesregierung nicht euphorisch stimme, weil sie an stabilen
Währungsrelationen interessiert sei. Eine Senkung der
Abgabenquote bedeute keine Senkung der Sozialquote, sie sei aber
notwendige Voraussetzung für die Erhaltung des
Wirtschaftsstandorts Österreich. Hinsichtlich einer Steuerreform
riet der Staatssekretär, ausstehende Wirtschaftsdaten abzuwarten,
das Budget für das Jahr 2003 festzulegen und erst dann die Frage
einer Steuerreform zu beurteilen. Ein Zugriff auf Nationalbank-
Reserven zur Finanzierung der Steuerreform sei aus EU-rechtlichen
Gründen nicht möglich.

Gouverneur Liebscher interpretierte die veränderte Relation Euro
- Dollar als Ausdruck einer Dollar-Schwäche. Die EZB habe kein
Währungsrelationsziel, sondern ein Preisstabilitätsziel, daher
seien die preisdämpfenden Wirkungen, die von einem starken Euro
ausgehen, positiv zu sehen. Eine Senkung der Abgabenquote sei zu
begrüßen. Die Heranziehung der Nationalbank zur Finanzierung der
Steuerreform sei als "klassische Staatsfinanzierung" abzulehnen.

Die Funktion der Nationalbank sei durch die Gründung der EZB
nicht schwächer geworden, der Umfang ihrer Aufgaben habe sich
vielmehr erhöht. Das subjektive Inflationsgefühl müsse mit der
tatsächlichen Inflationsrate nicht übereinstimmen, räumte
Gouverneur Liebscher ein, weil es möglich sei, dass einzelne
Verbraucher Waren kaufen, die von einer höheren Teuerung
betroffen sind. Es bestehe aber keinerlei Anlass für irgendeine
Inflationshysterie.

Vize-Gouverneurin Tumpel-Gugerell sah Japan nach einem Jahrzehnt
der Stagnation nach wie vor in einer Wirtschaftskrise, die etwa
in einem Angstsparen der Bevölkerung ihren Ausdruck finde.
Positiv sei die zuletzt belebte Exporttätigkeit. Unter den
Wachstumsfaktoren strich Tumpel-Gugerell die Berufsqualifikation
sowie Forschung und Entwicklung heraus. An der Verbesserung der
wirtschaftsstatistischen Datenbasis für Osteuropa arbeite die
Nationalbank derzeit im Auftrag der EZB, teilte die
Vizegouverneurin abschließend mit. (Schluss)

Eine Aussendung der Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272, Fax. +43 1 40110/2640
mailto:pk@parlament.gv.at, http://www.parlament.gv.at

OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | NPA/

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel