• 24.01.2002, 17:29:11
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DER STANDARD-Interview: "Bildungsministerin Elisabeth Gehrer will neue Leistungstests für Schüler ab Herbst" - Erscheinungstag 25.1.2002=

Wien (OTS) - Leistungstests, um Leseschwächen besser bekämpfen zu
können, plant Bildungsministerin Elisabeth Gehrer. In den Schulen
müsse insgesamt mehr geübt werden. Damit würden Schüler und deren
Eltern entlastet, sagt sie im Gespräch mit Martina Salomon.

Standard: Die Unterrichtsstundenbelastung der 12- bis 14-Jährigen ist
im internationalen Vergleich besonders hoch. Sollten die Schüler
entlastet werden? Gehrer: Weil wir mehr Stunden haben als andere,
sollte aufs Wiederholen größerer Wert gelegt werden. Mehr üben und
nicht so sehr auf das Elternhaus verlassen. Das halte ich für ganz
wichtig.

Standard: Was halten Sie von der Forderung nach einer Fünf-
Tage-Woche für alle Schüler - also auch an höheren Schulen? Gehrer:
Die Entwicklung zeigt in Richtung Fünf-Tage-Woche. Ich sehe aber
keinen Bedarf, das vorzuschreiben.

Standard: Wird es in der reformierten AHS-Oberstufe - vorausichtlich
ab 2003/04 - mehr fächerübergreifenden Unterricht geben? Gehrer: Bei
der Oberstufe soll, wie in der Unterstufe, die Möglichkeit zur
autonomen Gestaltung der Stundentafel geschaffen werden.

Standard: Aber mit dem Pflichtfach Latein? Gehrer: Es steht den
Eltern ja frei, ihr Kind in einen Zweig zu geben, wo Latein nicht
Pflichtfach ist. Es ist aber fraglich, ob man in der dritten Klasse
Gymnasium vier Stunden Latein und in der vierten fünf Stunden Latein
braucht. Das ist meiner Meinung nach zu viel. Fortschrittliche
Schulen organisieren das schon jetzt anders.

Standard: Findet in den AHS nicht zu wenig fächerübergreifender
Unterricht statt? Gehrer: Möglicherweise gibt es da in etlichen
Gymnasien noch einen Nachholbedarf.

Standard: Was halten Sie davon, dass man in der ersten Klasse
Gymnasium in Deutsch Reflexiv- und Posessivpronomina lernt, was man
dann erst in der dritten - wenn Latein beginnt - versteht? Gehrer: Es
muss mehr aufeinander Rücksicht genommen werden. Da kann man sich ein
bisschen was vom "Epochenunterricht" der Waldorfschulen abschauen.

Standard: Wieso werden nicht automatisch die Römer in Geschichte
durchgenommen, wenn Latein beginnt? Gehrer: Das kommt davon, wenn man
sich zu sklavisch an die Lehrpläne hält. Es gibt natürlich die
Möglichkeit zu übergreifendem Unterricht.

Standard: Ist in höheren Klassen ein Kurs- statt des Klassensystems
geplant? Gehrer: Ich bin für ein gemäßigtes Kurssystem. Fachleute
behaupten aber, dass das sehr teuer kommt. Anfang März werden dazu
erste Ergebnisse der Arbeitsgruppe zur Oberstufenreform vorliegen.

Standard: Wie steht es mit Leistungstests für Schulen? Gehrer: Ich
plane im Herbst eine große Aktion "Lesen können heißt lernen können".
In der dritten Volksschulklasse soll abgetestet werden, ob ein Kind
sinnerfüllt lesen kann. Wer es nicht kann, muss lesen, lesen, lesen.
Auch Elternarbeit ist hier sehr wichtig. In einem Elternhaus, wo es
kein einziges Buch gibt, tun sich die Kinder viel schwerer. In der
Hauptschule sollten nochmals alle Kinder getestet und speziell
gefördert werden. Bei jedem Siebten eines Altersjahrgang besteht die
Gefahr, dass er dadurch, dass er nicht wirklich lesen kann, auch noch
andere Defizite ausbildet. Diese Quote von 15 Prozent, die sich
schwer tun, wollen wir halbieren.

Standard: Werden Mindeststandards erarbeitet? Gehrer: Wir erarbeiten
solche Standards plus Testmöglichkeiten für die Nahtstellen: vierte
Klasse Volksschule und vierte Klasse Hauptschule in Lesen und
Rechnen. Nächstes Jahr werden die Tests den Lehrern in einer
Erprobungsphase zur Verfügung gestellt. Damit soll niemand
diskriminiert, sondern gezielt geholfen werden.

Standard: Gibt es Ihnen zu denken, dass in der Pisa-Studie diejenigen
Länder sehr gut abgeschnitten haben, die ein Gesamtschulsystem haben?
Gehrer: Das Ergebnis zeigt, dass nicht die äußere Organisation,
sondern die Qualität des Unterrichts Grundlage für den Erfolg ist.
Daher optimieren wir die Qualität des Unterrichts, behalten aber das
differenzierte System bei.

Rückfragehinweis: Der Standard

Tel.: (01) 531 70/428

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