• 20.07.2001, 17:47:52
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DER STANDARD - Kommentar vom 21.07.2001 Die Mächtigen auf dem Mond Der Gipfel in Genua und die untrüglichen Zeichen der Weltveränderung Von Gerfried Sperl

Wien (OTS) - Optisch trifft jeder jeden. Der "mitfühlende"
Konservative George Bush ist schon zum zweiten Mal in Europa.
Wladimir Putin reist vom Pekinger Freundschaftstreffen nach Genua, um
die G-8 zu komplettieren. Die Europäer kennen einander sowieso.
Hallo.

Diese Liste ließe sich verlängern. Zum Beispiel um Shimon Peres und
Yassir Arafat, die sich, zwei Nobelpreisträger, vergeblich in Kairo
trafen. Auch hier viel Etikette. Obwohl es längst kein Bussi-
Bussi-Klima mehr gibt, tun alle weltweit so, als seien sie
miteinander irgendwie verfreundet. Alles Schönfärberei.

Es gibt untrügliche Zeichen der Veränderung. Mit Clintons Abgang von
der Spitze der USA hat sich die internationale Szenerie schlagartig
verändert. Sie sieht völlig anders aus als vor einem Jahr.

George Bush, der dezidierte Klimaschutz-Gegner, macht mit der von
den Republikanern seit den Reagan-Zeiten geplanten Raketenabwehr
Ernst. Was Putin veranlasst hat, jede russische Rakete für diesen
Fall mit Mehrfachsprengköpfen auszurüsten. Im Nahen Osten wächst mit
jedem Tag trotz gegenteiliger Beteuerungen die Kriegsgefahr. Und die
Abschwächung der Konjunktur verstärkt

die Verteilungskämpfe. Was letztlich die Gegner der Globalisierung
stärkt.

Wo liegen die Ursachen?

Bush knüpft eindeutig dort an, wo Ronald Reagan aufgehört hat - bei
einem internationalen Thatcherismus, der dem Wohl der Industrie und
der großen Konzerne alles andere unterordnet. Auch den Klimaschutz.
Und der verbal keinen Pessimismus zulässt. Die Amerikaner würden
demnächst 40 Milliarden Dollar an Steuerrückvergütungen erhalten. Das
müsse die Konjunktur wieder ankurbeln, verkündete er in einem
internationalen Interview vor seiner Abreise in die Alte Welt.

Der amerikanische Präsident vertraut im Unterschied zu seinem
Vorgänger auch dem militärischen Komplex faktisch uneingeschränkt.
Und bringt damit die Europäer noch einmal gegen sich auf. Denn die
sehen fast nur die Verstörung der Russen, haben Angst um die
kontinentale Balance und vergessen, dass es aufseiten von Bush
immerhin ein gewichtiges Argument für die Raketenabwehr gibt: Der
internationale Terrorismus (Stichwort: Bin Laden) und schwer
kontrollierbare Diktaturen der Dritten Welt haben das Potenzial,
Angriffswaffen zu beschaffen. Dasselbe Bedrohungsschema gilt übrigens
für Europa.

Das unter Clinton ziemlich intakte Dreieck USA-Europa -Russland ist
jedenfalls am Zerbrechen, Peking baut das Zweckbündnis mit Moskau
aus. Die Irritationen steigern die Unsicherheiten im Nahen Osten und
in der asiatischen Inselwelt. Und ermuntern die Extremisten aufseiten
der Kritiker der Globalisierung. Die Schwäche der Mächtigen wird zur
Stärke der Ohnmächtigen. Denn die mediale Kraft ist ohnehin auf ihrer
Seite: Mann beißt Hund schlägt Hund beißt Mann.

Zudem stecken hinter dem erbarmungslosen Gipfel-Tourismus des "Volks
von Seattle" mindestens zwei plausible Forderungen: die Besteuerung
internationaler Finanztransfers und ein neues System zur Entschuldung
der armen Länder. Dass sich mittlerweile auch prominente Kardinäle
inhaltlich diesen Argumenten anschließen, zeigt, wie groß das Echo
ist.

Insofern wäre es hoch an der Zeit, die traditionellen
Steuerungsinstrumente der internationalen Politik um neue Elemente zu
ergänzen: in der Umweltfrage durch effizienten Klimaschutz, in der
Geldwirtschaft durch Transferregeln, in der Drogenproblematik durch
wirksame Vorsorge.

Aber weil der Konsens weiterhin nur aus den gemeinsamen
Familienfotos bestehen wird und aus nichts sagender Rhetorik, werden
die Proteste größer und die Gipfeltreffen immer exklusiver: von
Schlössern auf Schiffe, von Schiffen in die Wüste hinein oder auf
Berge hinauf.

Bleibt zum Schluss nur noch der Mond. Aber vielleicht leben die
Führenden dieser Welt ohnehin schon dort. Weil sie die Wirklichkeit
in ihrer Härte nicht wahrnemen.

Rückfragehinweis: Der Standard

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