• 13.11.2000, 11:58:47
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  • OTS0140

Österreich 1 präsentiert "Berühmte Stimmen" in "Patina - Kostbares aus dem Archiv"=

Wien (OTS) - In der Sendereihe "Patina" - jeden Sonntag um 9.05
Uhr in Österreich 1 - stehen ab 19. November "berühmte Stimmen" im
Mittelpunkt. Die ersten fünf Folgen sind Käthe Gold (19.11.), Egon
Jordan (26.11.), Hedwig Bleibtreu (3.12.), Ernst Deutsch (10.12.) und
Therese Giese (17.12.) gewidmet.****

Früher war nicht alles besser, dafür aber vieles anders. Das
trifft auch - oder vor allem - aufs Theater zu. Die vielfach
heraufbeschworene "goldene" Zeit der vor allem in Wien gepflegten
Schauspielkunst hat in der Tat mit der modernen Auffassung von
Theater wenig zu tun. Zum Glück, sagen die einen. Schade, meinen die
anderen. Die Wahrheit liegt in diesem Fall nicht in der Mitte,
sondern ist, wie stets bei ästhetischen Fragen, individuell zu
deuten. Wenn von "berühmten Stimmen" die Rede ist, hat das nichts mit
Nostalgie zu tun, sondern einzig und allein mit der Dokumentation
ehemals bestehender Maßstäbe, sowie mit der Frage, ob diese heute
noch Gültigkeit haben. Seit es das Theater gibt, gab es Tausende
junge Menschen, die eine Bühnenkarriere anstrebten, aber nur die
wenigsten von ihnen prägten durch ihre Rollengestaltung, ihr
Charisma, ihre unvergleichliche Stimme die Schauspielkunst. Doch
nicht genug damit: Um eine Diva, ein Star, ein Theaterzauberer, ein
Idol zu werden, bedurfte und bedarf es mehr als der Beherrschung des
Handwerks. Das Hinauswachsen des Künstlers über die Grenzen des
Menschlichen, seine Verwandlung zu einem Träger nationaler
kultureller Identität ist ein kultursoziologisches Phänomen. Die
Schauspielerin oder der Schauspieler als Ikone, die nicht allein eine
bestimmte Person verkörpert, sondern ganze Institutionen wie "das
Burgtheater" oder noch abstrakter, "das Österreichische" oder um noch
eine Stufe weiter zu gehen, Werte wie "das Gute", "das Heldenhafte"
etc. als Zeitphänomene - und damit abhängig von Moden, Ideologien,
kollektiven Wunschvorstellungen. Theatergötter gab es nie, gibt es
nie und wird es nie geben. Das Göttliche ist überzeitlich, das
Menschliche muß mit dem Makel des Verfallsdatums leben. Aber dieses
erkennt man erst, wenn es überschritten ist.

Hedwig Bleibtreu zum Beispiel: Wer heute ihrer Stimme lauscht,
wird schwer verstehen können, warum diese Frau von Kritikern und
Publikum geradezu vergöttert wurde. Schwer rollt das "R" über ihre
Zunge, mit bebender, beinahe maskuliner Stimme wird jedes Wort
geformt, als hieße zu sprechen mit dem Meißel Sinneinheiten aus einem
unförmigen Granitblock herauszuhauen. Das mutet heutzutage
deklamatorisch an, manchmal wie eine Parodie auf gestelztes
Burgtheater-Deutsch - aber was besagt dieser Eindruck schon?
Bühnensprache ist immer Kunstsprache, nur hat sich seit den 60er
Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Regietheater eine Natürlichkeit
durchgesetzt, die die Grenzen zwischen Alltag und Kunst sehr
durchlässig gemacht hat. Und zwar so sehr, dass die Iphigenie, der
Torquato Tasso, der Hamlet und die Ophelia als Menschen von Nebenan
mit recht alltäglichen Neurosen und Phobien zum Publikum sprechen. Zu
Hedwig Bleibtreus Zeiten, also zwischen dem ausgehenden 19.
Jahrhundert und den 50er Jahren des 20., gab es zwischen Kunst und
Alltag eine strikte Trennung - und die wurde kenntlich gemacht durch
artifizielles Spiel und artifiziellen Einsatz von Sprache.

Käthe Gold, eine im Gegensatz zur Bleibtreu "natürliche"
Schauspielerin, begründete ihren Ruf gerade durch die
hochartifizielle Musikalität ihrer Stimme. Dieser virtuose Umgang mit
Tonhöhen, Druck und Nachdruck, dieses Anklingenlassen und Verhauchen
macht natürlich die Inszenierung zweitrangig, ist im besten Sinne
reines Schauspielertheater - und gerade deshalb ein so sinnliches
Erlebnis. Man muss nicht einverstanden sein mit der Interpretation,
man kann die Art der Inszenierung altbacken nennen, man kommt aber
nicht umhin sich einzugestehen, dass man als Zuhörer durch den
Einsatz eines heute weitgehend unüblichen Umgangs mit Sprache in der
Literatur Qualitäten zu entdecken vermag, die einem bislang verborgen
geblieben sind.

Wenn Egon Jordan Rilke liest, dann fließt etwas vom Geist der
Zeit, vom Milieu und vom gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem das
Gedicht entstanden ist, mit. Nicht weil Jordan versucht hätte, das
Wien der Jahrhundertwende durch eine dialektale Deutung aufzureißen,
sondern, wie Oskar Maurus Fontana, der alle Folgen der in den 50er
Jahren überaus beliebten Sendereihe "Berühmte Stimmen" einmoderierte,
es einmal ausdrückte: "In seinen Figuren sind nämlich noch die
Mischung der Völker von Ost und West, Nord und Süd, die weltoffene
Kultiviertheit und die liebenswürdige Noblesse lebendig. Seine
Gestalten reisen noch alle ohne Paß kreuz und quer durch Europa,
haben in allen Weltstädten gute Bekannte, kennen keine Enge des
Horizonts und der Daseinsumstände und werden schließlich weder von
materiellen Sorgen noch von der Angst vor dem Morgen bedrückt." Wer
kann so etwas von sich sagen lassen, ohne sich gleich als Hochstapler
fühlen zu müssen?(ih)

Rückfragehinweis: ORF Radio Öffentlichkeitsarbeit

Isabella Henke
Tel.: 01/501 01/18050

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