- 07.10.2000, 09:02:21
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Kostunicas Lebensaufgabe
Nach Sozialismus und Nationalismus braucht Jugoslawien endlich eine Demokratie - Gerhard Plott Vorausmeldung vom 7.10.2000
Wien (OTS) - Was Zehntausende Tonnen von Nato- Bomben, jahrelange
Sanktionen und internationaler Druck sowie das Aussetzen eines
Kopfgeldes durch die USA nicht zustande brachten - dem jugoslawischen
Volk gelang es an einem einzigen Tag: Slobodan Milosevic aus seinem
Präsidentenamt zu jagen. Dreizehn lange Jahre hatte der Mann das Land
in seiner Gewalt und wollte seine verblendete Vorstellung von einem
Großserbien auch um den Preis von vier Kriegen umsetzen.
Doch genau dieses Scheitern der großserbischen Pläne kostete
Milosevic nun seinen Thron: Der menschenverachtende Nationalismus,
den Milosevic in Serbien salonfähig machte, fraß schlussendlich
seinen Schöpfer. Zuvor hatte es der Willkürherrscher geschafft, dass
die Völker am Balkan nur mehr dort einigermaßen friedlich
zusammenleben, wo sie durch internationale Truppen voneinander
getrennt wurden.
Die Serben selbst hätten Milosevic auch noch länger verziehen,
dass der Lebensstandard des Volkes kontinuierlich sank, dass man
außer in Moskau, Minsk, Beijing und Pjöngjang keine Verbündeten mehr
hatte, dass das Ansehen des Landes gegen null tendierte, dass das
Regime immer repressiver wurde - die Leidensfähigkeit der Serben ist
ebenso sprichwörtlich wie ihre heimliche Lust am eigenen Leid. Kein
anderes Volk zelebriert beispielsweise eine Niederlage, die vor 600
Jahren stattfand. Doch die Schlacht am Amselfeld, das im Kosovo
liegt, ist immer noch von zentraler Bedeutung für Serben.
Dass aber nach vier Kriegen serbische Heimaterde noch immer nicht
in einem Land vereint ist, das konnte das Volk dem in letzter Zeit
immer paranoider agierenden Milosevic nicht mehr nachsehen. Nicht die
Sehnsucht nach Demokratie entschied gegen Milosevic, sondern die
Enttäuschung über nicht eingehaltene Versprechen kippte das Regime.
Nun ist Vojislav Kostunica der neue Held der Massen - aber auch der
ehemalige Rechtsprofessor agierte in der Vergangenheit oft nach der
Devise "Zuerst Serbien, dann Demokratie". Kostunica gilt als
eisenharter Nationalist, und dennoch unterscheidet er sich gravierend
von seinem Vorgänger: Er hat sich bisher persönlich untadelig
verhalten und besitzt das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft,
die den Geldhahn kontrolliert, aus dem künftig die Hilfe für das
geschundene Land fließen soll.
Den Trümmerhaufen wegzuräumen, den Milosevic hinterlassen hat,
wird Kostunicas Lebensaufgabe werden. Er muss nun Frieden mit den
Albanern im Kosovo schließen, er muss den kampferprobten Kosovaren
klarmachen, dass ihre Zukunft wieder in Jugoslawien liegt. Der Westen
wird ihn dabei unterstützen. Auch Bosnien hat Probleme mit Kostunica:
Sein Nationalismus schreckt die Muslime; dazu kommt, dass Jugoslawien
künftig Hilfsgelder beanspruchen wird, die den Bosniern abgehen
werden. Wie die Kosovaren können sich auch die Montenegriner die
Unabhängigkeit abschminken. Sie werden auf westlichen Druck wieder
mit den Serben in einem Staat zusammenleben müssen.
Kostunica ist also gefordert, eine neue Verfassung für Jugoslawien
auszuarbeiten, die dem Föderalismus neue Strahlkraft verleiht und die
ein friedliches Zusammenleben künftig garantiert. Dazu muss der neue
Präsident allerdings das Dayton-Abkommen anerkennen, gegen das sich
Kostunica, ganz Nationalist, stets vehement ausgesprochen hatte.
Jugoslawien steht heute mit elfjähriger Verspätung dort, wo die
anderen Osteuropäer schon im Revolutionsjahr 1989 angekommen waren.
Nun können die Serben beginnen, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten,
sich der Verbrechen, die im Namen des serbischen Volkes begangen
wurden, bewusst zu werden und einen dicken Schlussstrich unter die
unselige Ära Milosevic zu ziehen.
Nationalismus und Sozialismus sind in Jugoslawien dramatisch
gescheitert, die Demokratie hat sich ihre Chance verdient.
Rückfragehinweis: Der Standard,
Tel.: 01/531 70/0
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