Ausgabe vom 17.8.2000
Wien (OTS) - Dass ein völlig unschuldiger Mensch sterben musste,
weil er sich zufällig in der Schusslinie eines Gendarmen auf
Räuberjagd befand, macht fassungslos. Ein nie wieder gutzumachendes
Unrecht ist geschehen. Wut und Trauer im Gleichgewicht zu halten
fällt schwer, Schuldzuweisungen sind schnell gefällt.
Dienstwaffen scheinen locker zu sitzen bei den heimischen
Sicherheitsbehörden. Insgesamt wurde in den vergangenen fünf Jahren
323-mal aus den Dienstwaffen der Gendarmerie und 536-mal der Polizei
gefeuert. Dabei wurden von der Gendarmerie vier Menschen getötet,
ebenso viele bei der Polizei.
Erst vergangenen Mai wurde in Wien ein mutmaßlicher -
unbewaffneter - Drogendealer von einem Polizisten erschossen. Ein
Unglücksfall, wie die Polizei bedauernd behauptete, aber auch zugab,
dass ein Fehler passiert sei.
Fehler wiederholen sich anscheinend: Vor fünf Jahren gaben auf
der Pack im steirisch-kärntnerischen Grenzgebiet zwei Polizisten auf
ein Auto, in dem sie Erpresser vermuteten, insgesamt 28 Schüsse ab.
Die verdeckten Ermittler schossen ihre Magazine leer. Ein Irrtum, wie
sich herausstellte. Im durchsiebten Wagen befand sich eine Familie
auf dem Rückweg von einer Chorprobe. Zwei Menschen wurden
angeschossen, dass es keine Toten gab, grenzte an ein Wunder.
Der Gebrauch einer Schusswaffe für Exekutivbeamte ist gesetzlich
genau geregelt: Geschossen werden darf aus Notwehr oder um flüchtende
Kriminelle zu stellen oder zum Beispiel auch, um gefährliche Besitzer
von gefährlichen Hunden einzuschüchtern. Dies alles ist gesetzlich
gedeckt. Sogar die Gefährdung von Unbeteiligten ist laut
Waffengebrauchsrecht erlaubt; und zwar dann, wenn es anders
unvermeidbar wäre, eine bedrohte Menschenmenge zu schützen.
Doch der Gebrauch einer Schusswaffe darf nicht nur durch Gesetze
bestimmt werden. Was vielen Beamten fehlt, ist die Vorbereitung auf
Extremsituationen. Es reicht nicht aus, am Schießstand cool ins
Schwarze zu treffen. In Stresssituationen ist der Abzug erschreckend
schnell durchgezogen. Als 1993 ein Bankräuber und Geiselnehmer in
Wien aus seinem Unterschlupf heraus das Feuer eröffnete, antwortete
das Großaufgebot der Polizei ohne Befehl mit einem konzertierten
Trommelfeuer. Die Anspannung des stundenlangen Einsatzes entlud sich
in mehr als 1500 Schüssen, der Bankräuber richtete sich selbst.
Trotzdem wäre es falsch, der Exekutive pauschal Rambo-Manier
vorzuwerfen. Eher das Gegenteil dürfte zutreffen: Es fällt offenbar
immer schwerer, die eigene Unsicherheit zu überwinden. "Geht alles
gut, bist ein Held, geht's daneben, bist du das Letzte." In diesem
Spannungsverhältnis bewegen sich viele Polizisten und Gendarmen. Das
kann natürlich keine Rechtfertigung nach einem missglückten Einsatz
sein, noch dazu, wenn ein Mensch dabei ums Leben kommt. Die
Entweder-Oder- Mentalität spricht aber Bände über die Einstellung,
der sich zu viele machtlos ergeben.
Bei einer Umfrage des Wiener Instituts für Konfliktforschung
haben neun von zehn Exekutivbeamten angegeben, ihr Berufsrisiko habe
in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen. Verantwortlich dafür
sei die generelle Zunahme von Aggressivität in der Gesellschaft. Eine
statistische Untermauerung für diese Einschätzung gibt es allerdings
nicht. Versuchte und vollendete Übergriffe auf Gendarmen und
Polizisten bleiben seit Jahren konstant.
Was zweifellos zugenommen hat, ist aber eine Art Panikmache. Vor
der so genannten organisierten Kriminalität, vor terroristischen
Weltverschwörungen von links oder von rechts. Für nicht fassbare
Bedrohungen werden Gesetze beschlossen, die tief in die Intimsphäre
von Menschen eingreifen. Gegen vermutete Verbrecher wird ermittelt,
noch bevor sie mit dem Gedanken spielen können, ein Verbrechen zu
begehen. Auch politisch geschürte Paranoia kann dazu führen, dass
jemand schneller zieht als sein eigener Schatten.
Rückfragehinweis: Der Standard
Tel.: (01) 53170-0
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