• 25.04.2000, 18:08:00
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"Der Standard" Kommentar: "Wenn der Postler dreimal klingelt" (von Luise Ungerboeck) Reformen sind dringend notwendig, Verhandlungen mit den Betroffenen aber auch

Ausgabe vom 26.4.2000

Wien (OTS) - Wenn Postler damit drohen, "Dienst nach Vorschrift"
zu machen, dann fühlt sich jeder berufen, einen Kommentar dazu
abzugeben. Das ist verständlich, denn es gibt praktisch niemanden in
Österreich, der nicht schlechte Erfahrungen mit den Postbeamten
gemacht hat. Der Stehsatz "Jeder Gast eine Last" aus dem heimischen
Gastgewerbe ist nämlich praktisch ung'schaut auf die mehr als 2300
Postämter übertragbar. Kundendienst ist über weite Strecken noch
immer Luxus in den zum Teil elendiglich heruntergekommenen
Postämtern. Ein Modernisierungsschub auf allen Ebenen des
Staatsbetriebes ist dringend notwendig. Nicht nur, weil in drei
Jahren der letzte Rest des staatlichen Briefmonopols verschwindet und
der Postmarkt in Europa vollständig liberalisiert wird, sondern weil
es künftig keine Steuerzahler mehr geben wird, die einer unrentablen
Post mit mehr als 70 Prozent unkündbaren Beamten Subventionen
anweisen. Dennoch greift zu kurz, wer damit argumentiert, dass die
mehr als 31.000 Postbeamten (die Postautobus-Bediensteten sind da
nicht mitgerechnet) nun das erste Mal in ihrem Leben etwas arbeiten
müssen. Bis jetzt hätten sie sich ohnehin nur ausgerastet, sagen
Kritiker ungeniert. Das Modernisierungsprogramm "Speed" klingt
nämlich recht flott, hat aber seine Tücken. So soll zum Beispiel die
Produktivität erhöht werden, in dem die Arbeitsdichte von derzeit 45
auf 54 Minuten erhöht wird. Klingt gut und sparsam, wenn man davon
ausgeht, dass die dafür notwendige EDV-Ausrüstung vorhanden ist. Ist
sie aber nicht, denn beim "Postamt Neu", dem groß angelegten
baulichen Renovierungsprogramm für die alten Post-Schuppen, geht
nichts weiter. Noch immer schreiben Postmeister & Co täglich ihre
unzähligen, ewig langen Listen, die sicher nie wieder jemand
anschaut. Aber Vorschrift ist Vorschrift. Dass die neu angeschaffte
Automatisierungssoftware für die Schalter nicht mit dem SAP-Programm
der Buchhaltung kompatibel ist, ist ein weiteres Detail am Rande. In
diesem Haus weiß offenbar die linke Hand nicht, was die rechte tut.
Weiters greift "Speed" massiv in das Lohn- und Gehaltsgefüge der
Postbediensteten ein, ohne dafür die gesetzliche Basis geschaffen zu
haben. Ein Briefträger etwa verdient nach zehn Jahren 11.500
Schilling netto - keine fette Beute, wenn man dafür täglich kiloweise
Werbematerial zu den Postkästen schleppen muss. Diese Beschäftigten
mit einer "leistungsbezogenen Entlohnung" in ein neues Dienstrecht
locken zu wollen, entbehrt nicht eines gewissen Zynismus': Sollen sie
dann pro Kilo Massensendung eine zusätzliche Prämie bekommen oder pro
dreimal Klingeln an der Wohnungstür? Darüber schweigt das
Rationalisierungsprogramm "Speed" beharrlich. Ein Wunder eigentlich,
dass die Post noch Leute findet für die Zustellung, die des Lesens
und Schreibens mächtig sind - die Mindestqualifikation eines
Briefträgers. Das Management wäre deshalb gut beraten, mit der
Belegschaft ordentlich zu verhandeln und die erforderlichen
Einschnitte nicht über die Medien zu verkünden. Organisatorisch liegt
freilich einiges im Argen, denn während die einen unter Überlastung
ächzen, sitzen manche Kollegen bereits mittags in der Kantine. Denn
sonst wird es mit der zwanzigprozentigen Rationalisierung, die den
Personalaufwand, der sich derzeit mit rund vierzehn Milliarden
Schilling zu Buche schlägt, Essig. Eile beim Umbau ist in der Tat
notwendig, denn die europäische Konkurrenz braucht nur in ihre
Portokasse zu greifen und schon werden Österreichs Postler zu einer
Allonge von Deutscher Post und Konsorten. Und dann Gnade den
Postlern, denn da wird nicht lang gefackelt. Das jetzige Geplänkel
wäre dagegen ein nettes Plauscherl über die guten alten Zeiten der
staatlichen Misswirtschaft, in der es der proporzmäßig bestellten
Belegschaft vergleichsweise blendend gegangen ist.

Rückfragehinweis: DER STANDARD
Chef vom Dienst
Tel.: (01) 53170-487

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