- 11.05.1999, 12:25:46
- /
- OTS0155
Handke im einzigen Interview nach der serbischen Reise über: Milosevic, albanische Flüchtlinge, seine Liebe zu Serbien und seine Kritiker.
Wien (OTS) - Peter Handke, österreichischer Autor von Weltrang,
nimmt in einem sechs Seiten langen Exklusivinterview für die morgen
erscheinende Ausgabe des Wochenmagazins NEWS zum Bombardement der
Nato, zur Kosovo-Krise und zu den Angriffen der Kritik auf sein Werk
Stellung.
Handke über die Kritik an seiner Person:
Handke: Alles, was nicht häßlich und schmutzig antiserbisch ist,
muß sich heute gefallen lassen, als proserbisch bezeichnet zu werden.
Für mich ist das Antiserbentum, das als Hauptschmutzstrom gegen ein
Volk auftritt, ein Schimpfwort wie Antisemit geworden. Die Antiserben
sind für mich auf andere Weise genauso übel und unerträglich wie die
Antisemiten in ihrer schlimmsten Zeit. Ich bin nicht pro, ich bin mit
den Serben, physisch, historisch, herzlich, gedanklich, mit den
Füßen, mit den Händen. Da ist kein Moment Spiel dabei. Das ist
Schwerkraft, Durchlässigkeit, Blick. Ich brauche nicht mehr von der
Liebe zu schwafeln. Ich bin mit ihnen. Und deswegen bin ich hier, in
der Nähe von Paris, unruhiger als dort.
Handke über die sozialistischen Nato-Regierungen:
Handke: Dieser Spanier von der Nato, dessen Namen ich nicht über
die Lippen bringe, erklärt als Ausrede für den Krieg: "Ich kann kein
schlimmer Mensch sein, denn ich bin ein Achtundsechziger." Der
amerikanische Dreckskerl, der englische Kunstturner, alle diese
Verbrechertypen gehören der Generation an, die uns "Make love not
war" vorgesungen hat. Deshalb, so erklären sie, können sie keine
Kalten Krieger sein. Und jetzt sage ich Ihnen: Ich ziehe Kalte
Krieger diesen verfehlten Hippies tausendmal vor. Brechts Spruch "Der
Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch" trifft heute auf die
"Flower-Power"- und "Make love not war"-Grünen zu. Nach landläufiger
Meinung sind die Kreaturen, die aus dem Schoß krochen, die
Rechtsradikalen. Aber die sind für mich Totgeburten, gefährlich nur
wie Leichengift. Für mich ist das, was aus dem Schoß kroch, etwas
anderes: die Grünen, der Typ, der Bundeskanzler ist, und der
Bombenminister. Das ist das grausig-ewige Deutschland.
Handke über Journalisten:
Handke: Ich sehe bei diesen Typen seit langem keine Arbeit mehr.
Ich war in Jugoslawien, und ich habe zu dieser Zeit auch gearbeitet.
Aber die Journalisten und Politiker? Ist Killen denn eine Arbeit?
Diese Zeitungsratten verdienen mit ihrer Nichtarbeit, mit ihren
Fertigsätzen und Fertigbildern ein Heidengeld. Für diese mechanische
Killerei und Schweinerei bekommen sie auch noch eine Pension. Unter
den tausend Skandalen ist das einer der schlimmsten. Andererseits
habe ich gerade in "Le Monde" gelesen, daß sich jetzt viele
Fotojournalisten weigern, in diese Flüchtlingsgesichter zu
fotografieren. Sie fotografieren lieber die Fotografen, die in
Großaufnahme in diese seltsame Mischung aus Erschöpfung und
Verzweiflung hineinfotografieren. Man sollte dazu auch Tonaufnahmen
machen, was die Dolmetscher zu den Flüchtlingen sagen und wie diese
Fotos zustande kommen. Der ganze Großmarkt der Welt ist Information.
Deshalb kann man mit Bildern und Worten am meisten schwindeln und am
meisten verdienen.
Handke über die Verrisse zu seinem eben publizierten Stück "Die
Fahrt im Einbaum" (Uraufführung am 9. Juni im Burgtheater):
Handke: Ja, in der "Zeit" und in der "Frankfurter Rundschau".
Würde ein Sport- oder Lokalreporter eine Landwirtschaftsausstellung
oder ein Radrennen so grundfalsch wiedergeben, würden die sofort
entlassen. Aber Kulturleute oder politische Journalisten dürfen jedes
Zeug schreiben. Einer schreibt, der Verlag hat das Buch früher
herausgebracht, um Geld zu verdienen, ohne zu wissen, daß es seit
Winter für diesen Termin angekündigt war. Der Tatbestand der
Verleumdung ist damit erfüllt. Es wird erzählt, ich hätte das
Massaker von Srebrenica geleugnet, obwohl diese Sätze im Stück ein
Irrer sagt. Der Lohnjournalismus ist kein Beruf mehr. Wenn es wieder
einer werden soll, müßte man langsam auf dem Lokal - und
Sportjournalismus aufbauen. Ich habe das im "Nachmittag eines
Schriftstellers" beschrieben: Das Werk ist unabnutzbar. Es ist aus
Luft gemacht und kann höchstens verzögert werden. Ich selbst habe ja
nicht den Funken einer Chance gegen den Journalismus. Aber
andererseits hat der Journalismus keinen Funken Chance gegen mich.
Was mich schmerzt, ist Jugoslawien.
Handke über Milosevic:
Handke: Ich kenne Slobodan Milosevic überhaupt nicht. Ich höre nur
immer, daß er ein Diktator und ein Schlächter ist. Ich glaube, das
Problem ist, daß niemand diesen Mann kennt. Man mag mir das jetzt
auslegen, wie man will. Aber er ist der gewählte Präsident
Jugoslawiens und hat das Territorium des Staates zu verteidigen.
Jeder an seiner Stelle in den letzten 10 Jahren hätte genauso handeln
müssen wie er. Ihm blieb keine Wahl. Man wirft ihm immer wieder vor,
daß er 1989 auf dem Amselfeld zu einer Million Serben, die dort
gefeiert haben, gesagt hat: "Niemand mehr wird euch schlagen." Man
sagt, da komme der Nationalismus der Serben her. Ich sage aber: Die
Serben waren und sind das am wenigsten nationalistische Volk auf dem
Balkan. Das serbische Land hat am meisten Minderheiten, Zigeuner,
Ungarn und Albaner. Sicher hat Tito den Albanern 1974 eine so große
Autonomie gegeben wie keiner Volksgruppe in Europa. Sicher wäre es
nötig gewesen, daß Jugoslawien den Kosovo-Albanern gleich bei Beginn
des Bosnien-Kriegs die Autonomie von 1974 zurückgibt. Das war den
Albanern aber nicht genug - sie wollen ihren Staat, denn unter 20
Albanern im Kosovo ist vielleicht ein Serbe, wenn er sich heranwagt.
Nur sind die Kosovo-Albaner mit ihrem Parallelstaat gescheitert, die
Zertifikate ihrer Parallelschulen wurden nirgendwo in Europa
anerkannt, denn das war absolut kindisch. Und diese Kinderei führte
zur Gewalt. Die albanische Bevölkerung im Kosovo besteht aus Bauern
in Dörfern und aus einer anderen Bevölkerung, den Clans, die in
riesigen Gutshöfen mit fast großstädtischem Getriebe leben. Und von
dieser Clanbevölkerung ging der Krieg aus, oder die Befreiung, wie
Sie wollen. Ich war vor drei Jahren in einer kleinen Stadt. Da gab es
noch eine einzige serbische Gaststätte, und die war berühmt dafür,
daß dort der erste Terrorakt dieser wunderbaren Organisation, deren
Namen ich nicht nenne (die UCK, Anm.), stattgefunden hat. Zwei Wochen
vorher ging in der Straße das Licht aus, und da kamen vermummte Leute
zur Tür herein und haben in einer Minute fünf Leute erschossen. Und
man hat auch noch gesagt, die Serben hätten das selber provoziert.
Handke über die Zerstörumg des Autowerks Kragujevac:
Das ist nicht einfach ein Autowerk bei Kragujevac. Das ist eine
Märtyrerstadt, die schlimmstverletzte im Zweiten Weltkrieg, in der
Hunderte Schüler als Vergeltung für einen Partisanenangriff
erschossen wurden. Dann wurde dort nach dem Krieg ein wunderschönes
Werk gebaut, das industrielle Zentrum, das Herz Jugoslawiens. Und
unter dem Vorwand, daß da auch Pistolen hergestellt wurden, hat die
Nato dieses Werk bombardiert und einer ganzen Region die Arbeit
zerstört, und dazu alle Werkzeuge. Man sagt ja: Der Mensch hat
begonnen, ein Mensch zu werden, als er sich das Werkzeug angeeignet
hat. Außerdem hat man dort das Heizkraftwerk zerstört, das die
Haushalte von 150.000 Leuten versorgt hat. Ein weiteres Heizkraftwerk
stand auf freiem Feld in Krusevac. Man sieht nur noch die Röhren, die
in die Stadt führen, und man fragt sich: warum? Es wurde schon einmal
zerbombt, und dann noch einmal. Ein Mönch im Kloster Studeniza hat zu
mir gesagt: Das ist wie die Ustascha im Zweiten Weltkrieg, als sie
die Juden und Serben ermordet haben. Die kamen dann wieder, um die
Leichen nochmals zu töten. - Unter diesen Killern waren übrigens
viele Franziskanerpater, und man muß dem Papst immer übelnehmen, daß
er den Kardinal Stepinac, der sich im Krieg gegen das Volk der Serben
ausgesprochen hat, vor ein paar Monaten seliggesprochen hat. - Oder
nehmen wir die Schulen. Warum zerbombt man die Schulen auf dem Land?
Die Kinder Jugoslawiens gehen nicht mehr in die Schule! Es ist alles
vermischt: Krieg, Kindergeburtstag, Weintrinken und Kassettenbomben,
die im Gras liegen wie Fallschirme und in die Luft gehen, wenn die
Kinder sie aufheben. Und warum bombt man die Brücken? Der deutsche
Bombenheini sagt, man habe die Brücken in Novi Sad gebombt, weil die
für den Greuel im Kosovo bestimmt waren. Aber der ist 500 Kilometer
entfernt! Ich bin bereit, denen allen Zyankali zu schicken. Für mich
ist das Weiße Haus nicht mehr das Weiße Haus, sondern das Herz der
Finsternis, und ich schlage vor, das Oval Office zur Bombenform zu
verlängern.
Handke über das Kosovo:
Handke: Niemand weiß, was im Kosovo passiert, denn niemand kann
hinein. Was aber gewußt wird, ist das Sterben der Zivilisten in
Jugoslawien. Ich höre von Massenvergewaltigen und Vertreibungen, und
es steht auch immer: Wir können das zwar nicht beweisen, aber es wird
sicher bewiesen werden. Ich habe da ein sprachkritisches
Formbewußtsein, das mir sagt: Etwas ist falsch. Oder daß man von den
"Deportierten" spricht. Für mich ist das eine Entwertung des
Judenelends. Die Flüchtlinge, da die ankommen, die Vertriebenen,
sagen doch wörtlich alle das gleiche. Muß das deshalb glaubhaft sein?
Man kann den Spieß auch umdrehen und sagen: Vielleicht könnte es
deshalb auch unglaubhaft sein. Im übrigen ist die Geschichte von den
gottjämmerlich von einer Grenze zur anderen Irrenden "covered",
gedeckt von jedem Medium. Allerdings nicht immer in gleichem Maß. Als
von der Nato nach einem weiteren "tragischen Irrtum" 72 Leute in
einem Flüchtlingszug geschlachtet wurden, abgeknallt von
Computertypen, dachte ich: Jetzt wird dieser Krieg doch aufhören.
Nichts da. Erst hat der deutsche Zuschlagsminister gesagt, das waren
die Serben, denn sie haben die Bevölkerung als Schutzschilde benutzt.
Dann haben sie zugeben müssen, daß es nacktes Killen war.
Handke auf die Frage, warum flüchten die Albanre aus dem Kosovo:
Handke: Woher soll ich das wissen? Ich vermute, daß dort eine Art
allgemeiner Panik stattfindet. Ein alter serbischer Mönch aus der
Nähe von Pristina hat mir erzählt, als die Nato-Bomben fielen, ist
rundherum von der albanischen Seite die Beschießung der serbischen
Häuser losgegangen, weil die dachten, wir unterstützen die Nato als
Bodentruppen. Und da, sagt er, sei die Polizei natürlich vorgegangen.
Das Kosovo war in den ersten Tagen neben Belgrad und Novi Sad das
Bomben- und Raketenziel. All das greift mit Psychose und Angst
ineinander. Und warum soll man nicht auch sagen, was sich jeder
vernünftig denkende Mensch vorstellen kann: daß die Bomben den Exodus
verursacht haben? Und wer kann der Polizei und Armee eines Staates
verdenken, daß sie gegen eine terroristische Organisation losgehen?
Ich möchte einmal sehen, ob da ein anderer Staat auf Erden sich nicht
ebenso verhält. Übrigens gibt es ja auch serbische
Kosovo-Flüchtlinge. Man sollte vielleicht versuchen, auf den Karten
den vierten Pfeil in Richtung Serbien hinzuzufügen, unter all diesen
panisch von Grenze zu Grenze Irrenden. Vielleicht fügt auch jemand
hinzu, wie viele Albaner friedlich in Belgrad leben. Aber es genügt,
daß der Kiosk eines Albaners angerempelt wird, und es steht in allen
Zeitungen der Welt. Als vor drei Jahren in Belgrad ein Zigeunerjunge
von Skinheads erschlagen wurde, war das der "New York Times" sechs
Spalten wert. Aber wenn es ein Land gibt, in dem sich die Zigeuner
geschützt fühlen, ist das Serbien. Und dann kommen solche
Pressemeldungen aus den USA, wo täglich Menschen hingerichtet werden.
Ich weiß nicht, ob in Belgrad in den letzten 20 Jahren jemand
hingerichtet wurde. Natürlich gibt es in Serbien Dinge, die man
kritisieren kann. Aber ich bin dort immer Gast gewesen und kein
Journalist, der hingeht, um zu kritisieren. Natürlich werden auch
dort, wie bei uns, viele Politiker nur an Machtspielen Interesse
haben. Nicht einmal an Macht, denn die ist heute von Personen nicht
mehr abhängig, nur noch von Sachzwängen, Apparaturen und Waffen. Die
meisten Politiker kommen mir wie Traumtänzer auf den Trampolinen der
Macht vor. Sie bedienen nur noch die Vernichtungsmaschinen der Macht.
Handke über das Gefühl, einen Bombenabwurf zu erleben:
Handke: Es ist, als stünden Sie in einem Trockengewitter, knapp
bevor es beginnt. Es ist diesig und schwül, und auf einmal geht der
Donner los. Die Luft wird ein bißchen heller, und zugleich geht
dieser Knall los, der fünf Kilometer von Ihnen einschlägt und den Sie
doch unmittelbar durch Ihren Körper gehen fühlen, durch den Kopf und
das Herz, herzzerreißend. Er ist messerscharf, und zugleich erfüllt
er den ganzen Raum. Man fühlt sich getroffen, obwohl man nicht
getroffen wurde. Natürlich sagen die Journalisten: Was ist das gegen
die Toten im Kosovo? Aber ich will Menschen nicht aufrechnen. Ich
will nicht wissen, wie viele Ärmste der ärmsten Menschen in Serbien
von den Gutmenschen der Nato ermordet worden sind. Und was allein
dieser Knall für ein Kind bedeutet. Jeder, der nur ein bißchen denkt,
weiß, daß dieser Krieg gegen jedes Recht losgegangen ist. Ich kann
auch das Wort Ethik nicht mehr aushalten. Es ist ein anderes Wort für
Willkür geworden. Sogar gewissenhafte Denker wie Jürgen Habermas
kommen plötzlich mit Adverbien, wo man spürt, daß sie überhaupt
nichts mehr denken. "Zweifellos moralisch berechtigter Angriff."
Zweifellos ist das meistgebrauchte Wort der Leute, die voll von
Zweifeln sind. Oder im selben Artikel: "Jugoslawien pocht neurotisch
auf seine Souveränität." Ich möchte gern sehen, was geschieht, wenn
einer schreibt: "Österreich pocht neurotisch auf seine Souveränität."
Dieser Denker hat mit diesen zwei Adverbien sein ganzes Denkleben
verfehlt.
Rückfragehinweis: NEWS Chefredaktion
Tel.: 01/21312/101
4
--------------758CD01571C9789C00DCF726--
*** OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER
VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS ***
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NEF/OTS