• 11.11.1998, 12:40:41
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  • OTS0170

Wirtschaftskammer Salzburg lehnt Freibrief für unbegrenztes Flächenwachstum im Handel entschieden ab!

Geplantes "Sachprogramm" über Einkaufszentren ist zahnlos

SALZBURG (HKS). Mit Vehemenz wendet sich die Wirtschaftskammer
Salzburg, insbesondere die Sektion Handel, gegen das im Entwurf
vorliegende Sachprogramm "Versorgungsinfrastruktur und
Handelsgroßbetriebe" aus dem Ressort von Landesrat Dr. Thaller.
Das Sachprogramm legt fest, nach welchen Kriterien und
Schwellenwerten Handelsgroßbetriebe genehmigt werden dürfen.
"Sollte dieses zahnlose Programm tatsächlich von der Salzburger
Landesregierung beschlossen werden, dann wird die mittelständische
Wirtschaft, insbesondere im Handel und Gewerbe, vollends
internationalen Großbetrieben und Konzernen ausgeliefert",
kritisieren Komm.-Rat Julius Schmalz, Vizepräsident der WK
Salzburg, im Namen des Präsidiums der Wirtschaftskammer und
Sektionsobmann Komm.-Rat Albin Berendt.

Das Sachprogramm wird morgen, Donnerstag, 12. 11., im
Raumordnungsbeirat diskutiert und danach der Landesregierung zur
Beschlußfassung vorgelegt. Sollte dieses Sachprogramm beschlossen
werden, werden Salzburgs Händler entsprechende Aktionen überlegen,
kündigten die beiden Spitzenfunktionäre der Wirtschaft an: "Es
geht nicht an, daß auf der einen Seite offiziell von der
Notwendigkeit der Nahversorgung und der Sicherung der
Ortskernfunktionen geredet wird, auf der anderen Seite aber dem
schrankenlosen Ausbau von Handelsfläche gehuldigt wird", weist
Schmalz auf die absurden Konsequenzen einer derartigen
Raumordnungspolitik hin. Die Wirtschaftskammer ruft deshalb die
Landespolitik auf, Verantwortung für die Aufrechterhaltung der
Nahversorgung zu übernehmen. Die Ortszentren und darin eine
gesunde Struktur der Betriebe in Handel und Gewerbe zu sichern,
müsse als landespolitisches Anliegen ernst genommen werden.

Nach dem derzeitigen Entwurf ist hingegen alles möglich. Die
zuständige Fachabteilung bzw. Aufsichtsbehörde liefert bereits den
Beweis für Beliebigkeit der neuen Beurteilungskriterien. So stellt
die Aufsichtsbehörde, die bereits nach Berechnungsmodellen
vorgeht, die im neuen, noch nicht beschlossenen Sachprogramm
vorgesehen sind, lapidar fest, daß die zur Genehmigung anstehende
Erweiterung des Airport-Center-Geländes um 40.000 m2
Verkaufsfläche (!) keinerlei Auswirkungen auf die örtliche oder
regionale Handelsstruktur haben wird. Dies angesichts der
Tatsache, daß das Airport-Center schon jetzt 1,3 Mrd. S Umsatz
tätigt, mit den neuen Bauten sind weitere 700 bis 800 Mill. S
Umsatz zu erwarten. Schmalz: "Diese massive Umsatzkonzentration
soll keine Auswirkungen auf die Handelsstruktur haben? Mit dem
neuen Sachprogramm wird jede ernsthafte Prüfung unmöglich."

Das Raumordnungs-Sachprogramm in der derzeit vorliegenden Form ist
somit ein Programm, das das Entstehen neuer Handelsgroßbetriebe,
und zwar sowohl von Verbrauchermärkten, Einkaufszentren und
Fachmärkten nicht regelt, sondern fördert. Dies läßt sich konkret
an vier Kriterien darstellen:

1. Flut an potentiellen Standorten zu erwarten
Nach dem derzeit geltenden Landesentwicklungsprogramm ist die
Neuausweisung von Gebieten für Einkaufszentren mit über 1.000 m2
Verkaufsfläche nur in zentralen Orten der Stufen A, B und C, d. h.
in der Stadt Salzburg und in den Hauptorten der Regionen
Salzburgs, möglich.

Nach dem Sachprogramm soll die Errichtung von neuen
Handelsgroßbetrieben auch in allen unmittelbar an die Stadt
Salzburg angrenzenden Ballungsrandgemeinden der Planungsregion
Stadt Salzburg und Umgebungsgemeinden möglich sein, weiters in
funktionell und strukturell mit zentralen Orten der Stufe B
verbundenen Gemeinden, d. h. in allen Nachbargemeinden von Zell am
See, Saalfelden, St. Johann, Bischofshofen, Hallein, Oberndorf,
Neumarkt und Straßwalchen, sowie zusätzlich in allen zentralen
Orten der Stufe D, das sind Thalgau, Mattsee, Bürmoos, Hof, St.
Gilgen, Werfen, Wagrain, Mauterndorf, St. Michael, Taxenbach,
Lofer, Schwarzach und Neukirchen. Hatte vor geraumer Zeit das
Landesentwicklungsprogramm die Ansiedlung eines
Handelsgroßbetriebes in Thalgau noch verhindert, so wird nun das
"Füllhorn" von potentiellen neuen Handelsgroßbetriebs-Standorten
breit über das Land ausgeleert.

2. Freibrief bis zu 1000 m2 Fläche
Bisher war nach den Bestimmungen des Raumordnungsgesetzes davon
auszugehen, daß für Handelsgroßbetriebe mit Lebensmitteln mit
Verkaufsflächen über 500 m2 sowie bei Fachmärkten, Einkaufszentren
und ähnlichem über 800 m2 in jedem Fall zu prüfen ist, ob
nachteilige Auswirkungen auf die überörtliche Handelsstruktur
gegeben sind. Das neue Sachprogramm stellt fest, daß
Handelsgroßbetriebe nur mehr dann überörtliche Auswirkungen haben,
wenn die Verkaufsfläche mehr als 1.000 m2 beträgt. Für alle
Projekte unter 1.000 m2 ist für die Prüfung allein die Gemeinde
zuständig; dies bedeutet de facto einen Freibrief für
Handelsgroßbetriebsprojekte bis zu
1.000 m2 Verkaufsfläche.

3. Willkür bei "Kernbereichen" zu erwarten
Das Programm legt Richtwerte fest, wonach unter Bezugnahme auf die
Zahl der Haushalte im Einzugs- bzw. Verflechtungsbereich eine
bestimmte Verkaufsfläche zulässig ist, z. B. kann die
Verkaufsfläche bei Verbrauchermärkten 20 m2 je 100 Haushalte
betragen, bei Fachmärkten 7,5 m2. Diese Werte können aber um 50%
erhöht werden, wenn der Standort im Bereich von Stadt- oder
Ortszentren oder aber in "sonstigen Kernbereichen" liegt. Ein
"sonstiger Kernbereich" ist nicht definiert und kann auch ein
durch bereits bestehende Einkaufszentren gebildeter Kernbereich
sein. Der Willkür ist dabei Tür und Tor geöffnet.

4. Das gesamte Bundesland ist Einzugsbereich
Bei der Ermittlung des Einzugsbereiches für Handelsgroßbetriebe in
der Stadt Salzburg und den Umgebungsgemeinden ist - wenn der
Antragsteller sagt, er biete Güter und Dienstleistungen des
"spezialisierten höheren Bedarfes" an - davon auszugehen, daß der
Verflechtungs- bzw. Einzugsbereich, der zur Berechnung der
zulässigen Verkaufsfläche herangezogen wird, das gesamte Land
Salzburg einschließlich des benachbarten oberösterreichischen und
bayerischen Grenzraumes ist. Konsequenz ist damit ein flächenmäßig
fast unbegrenzt möglicher Bau von Handelsgroßbetrieben.

EKZ-Verordnung des Wirtschaftsministers abwarten
"Wir appellieren an den Landeshauptmann und alle Mitglieder der
Landesregierung, dieses Sachprogramm nicht zu beschließen", riefen
Schmalz und Berendt die entscheidenden politischen Instanzen dazu
auf, das Sachprogramm völlig zu überarbeiten. Es mache außerdem
auch jetzt keinen Sinn, unterschiedlich wie der Bund vorzugehen.
Die sog. "Farnleitner-Verordnung", die Einzugsgebiete und
Abschöpfungsquoten für Einkaufszentren im Weg der Gewerbeordnung
regelt, werde zur Zeit überarbeitet. Die Landesregierung sollte
deshalb die neue Verordnung des Wirtschaftsministeriums abwarten.
Sonst könnte es passieren, daß Handelsgroßbetriebe bzw.
Einkaufszentren nach den landesrechtlichen Normen genehmigt
werden, während nach den bundesrechtlichen Normen im Rahmen der
Gewerbeordnung ihre Errichtung abgelehnt wird.

So bezieht sich auch der Vorschlag der Wirtschaftskammer Salzburg
für ein Sachprogramm auf die derzeitige Farnleitner-Verordnung.
Grundsätzlich sollte nach dem Vorschlag der Wirtschaftskammer jede
Ausweisung (Neuausweisung oder Erweiterung) einer Fläche für
Handelsgroßbetriebe auf ihre überörtliche Auswirkung auf die
Handelsstruktur und die Nahversorgung überprüft werden.
Abschöpfungsquoten und Einzugsbereiche orientieren sich dabei nach
den Kriterien der Verordnung des Wirtschaftsministers.

Seit 1993 gewaltige Flächenexpansion
"Wenn die Expansionspolitik im Handel von der Landespolitik weiter
unterstützt wird, genügen in Zukunft etwa fünf Megazentren im
ganzen Bundesland, die die Umsätze aller konsumnahen Branchen auf
sich konzentrieren. Demgegenüber wird die Handels- und
Dienstleistungsstruktur in den über 100 kleinen und mittleren
Landgemeinden in einem immer schneller werdenden Auflösungsprozeß
von Betriebsschließungen verlorengehen", warnt Sektionsobmann
Berendt vor den prekären Auswirkungen.

Im Handel dominiert ein reiner Verdrängungswettbewerb, bei
sinkenden Umsätzen: Der Einzelhandelsumsatz fiel in Salzburg ab
1993 bis 1997 auf 34,8 Mrd. S ab (minus 2,4%), also nominell um
eine halbe Milliarde S. Österreichweit nahmen die Umsätze hingegen
um 4,9% zu. Die Gründe sind nicht nur auf die EU-bedingte
Preisanpassung zurückzuführen, sondern auch auf den über den Preis
geführten Kampf großer Handelsfirmen um Marktanteile.

Gleichzeitig erfolgte in Salzburg eine gewaltige Flächenexpansion,
von 1993 bis 1997 wurde die Verkaufsfläche um über 143.000 m2 bzw.
um 20,2% gesteigert. Salzburg ist neben Wien das Bundesland mit
der höchsten Verkaufsfläche pro Einwohner, verbunden mit einer
starken Umsatzverlagerung auf Großformen des Handels. Bezeichnend
ist, daß in Wien und Salzburg mit der größten Verkaufsfläche pro
Einwohner die Zahl der Beschäftigten deutlich stärker rückläufig
ist als in anderen Bundesländern. Gleichzeitig nimmt die Zahl der
Teilzeitkräfte im Handel zu.

"Damit eine gesunde Wirtschaftsstruktur im Handel noch eine letzte
Chance hat, fordert die Sektion Handel die Landesregierung auf,
den Entwurf des Sachprogrammes zurückzunehmen und grundlegend zu
überarbeiten. Ansonsten wird die ohnehin schon schleichende
Erosion der Wirtschaftsstrukturen zunehmend zu Arbeitslosigkeit in
den Gemeinden und Ortskernen führen. Es kann nicht sein, daß die
Politik ihre eigenen Bemühungen um Dorf- und Stadterneuerung und
Arbeitsplätze durch eine zahnlose Raumordnungspolitik selbst in
Frage stellt!", faßte Sektionsobmann Berendt zusammen.

Rückfragehinweis: Wirtschaftskammer Salzburg

Presseabteilung
Tel.: 0662/8888 DW 345
bbauer@sbg.wk.or.at

ORIGINALTEXT-SERVICE UNTER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | HKS/HKS

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