• 22.01.1998, 15:58:10
  • /
  • OTS0237

Antibiotika: Alles begann mit Penicillin.....=

HINTERGRUND/Anlässlich der Vorstellung der neuen Therapie-
Empfehlung "Infekt" (Antibiotika) der Initiative Arznei & Vernunft
gestern, Mittwoch, 21.1.1998, in Wien:

Wien (OTS) - Heute sind Antibiotika bei der Bekämpfung
bakterieller Infektionen eine Selbstverständlichkeit. Kaum jemand
denkt noch an die Zeiten, in denen - aus heutiger Sicht - relativ
leicht behandelbare Krankheiten wie etwa eine Lungenentzündung
fast einem Todesurteil gleichkamen. Louis Pasteur (1822-1895)
erforschte als erster die Rolle, die Bakterien bei Zersetzungs-
und Gärungsprozessen spielen. Alexander Fleming und Howard W.
Florey waren zwischen 1928 und 1938 Wegbereiter der Antibiotika-
Therapie. - Antibiotika als therapeutisches "Allgemeingut" gibt es
dennoch erst etwa seit Mitte unseres Jahrhunderts. Eine wichtige
und ganz besondere Rolle spielten auch österreichische
Wissenschafter bei der Herstellung und Weiterentwicklung des
Penicillins.

Die eigentliche Geburtsstunde des Penicillins schlug im Jahre 1928
in London, als Dr. Alexander Fleming in seinem Laboratorium
Studien über Krankheitserreger machte. Zu seiner Überraschung war
eines Tages eine seiner Bakterienkulturen "verdorben" und nur auf
einer Hälfte der Platte weitergewachsen; die andere Hälfte war mit
blau-grünem Schimmel bedeckt. Fleming schrieb: "Erstaunlicherweise
zersetzen sich die Staphylococcus-Kolonien in einem beträchtlichen
Umkreis um den Schimmelwuchs. Was früher eine ausgewachsene
Kolonie war, war jetzt nur noch ein kümmerlicher Rest."
Glücklicherweise war Fleming interessiert genug, um die Sache
weiter zu verfolgen, und erkannte, daß die Substanz, die der
Schimmel erzeugte, ein Mitglied der Penicillium-Gruppe war.
Demgemäß taufte er sie Penicillin. Viel wesentlicher aber war
seine nächste Entdeckung, nämlich, daß seine neu gefundene
Substanz die Ausbreitung vieler tödlicher Keime verhinderte,
darunter die Verursacher von Lungenentzündung, Wundeiterung,
Abzessen und von Krankheiten des Kehlkopfes, der Nasenhöhle und
des Rückenmarks. Sie erwies sich zwar als unwirksam gegen die für
Darmkrankheiten verantwortlichen Bakterien, aber sie tötete die
Erreger von Gonorrhoe, spinaler Hirnhaut- und
Herzinnenhautentzündungen und Kindbettfieber. Außerdem zeigten
sich keine Vergiftungserscheinungen im Tierversuch. So weit, so
gut. Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen beließ es
Fleming bei diesen Erkenntnissen und wandte sich anderen
Forschungsgebieten zu.

Zwt.: Penicillin gerät bis 1938 in Vergessenheit

So wie Fleming das Penicillin durch Zufall entdeckt hatte, führte
auch ein Zufall eine Verkettung von unglücklichen Umständen
herbei, die für Jahre von den Möglichkeiten des Penicillins
ablenkten. 1933 wurde das bereits halbvergessene Penicillin noch
weiter in den Hintergrund gedrängt, als der deutsche Chemiker Dr.
Gerhard Domagk (Nobelpreis 1939) aus Farbstoffen Schwefelanilin
erzeugte, das auf Streptokokken und gewisse andere Bakterien
tödlich wirkte. Das löste eine intensive Suche nach weiteren
derartigen Stoffen aus, doch wurden die Mängel der neuen
Substanzen bald eindeutig sichtbar; besonders im inneren Gebrauch
erwiesen sie sich als giftig und somit als unbrauchbar.

Zwt.: Florey´s Kampf mit der "Badewanne"

Erst 1938 wandte sich Dr. Howard Walter Florey an der Universität
in Oxford wieder dem Penicillin zu. Monatelang arbeitete er an der
Erzeugung von 100 Litern Schimmelbrühe, die letztendlich zu einem
Gramm rotbraunen Pulvers führten: dem Natriumsalz des Penicillins.
Weiterführende Versuche ergaben, daß das Pulver das Wachstum von
Bakterien verhinderte, und das schon bei einer Verdünnung von eins
zu zwei Millionen. Tierversuche verliefen sehr vielversprechend,
dennoch war die Übertragung der Florey’schen Erkenntnisse auf den
Menschen nicht einfach. Weitere Tests zeigten, daß der menschliche
Körper die Substanz, die mittels Injektion verabreicht wurde, so
schnell wieder ausschied, daß sie bereits eine Stunde nach der
Gabe nicht mehr im Blut nachzuweisen war. Florey sagte damals:
"Ebensogut könnte man versuchen, eine Badewanne zu füllen, ohne
den Ablauf zuzustöpseln."

Zwt.: Der Wettlauf zwischen Bakterien und Herstellerfirmen

Anfang 1941 gelang es erstmals einem britischen Hersteller, die
nötige Menge Penicillin für einen halbwegs tauglichen Versuch am
Menschen zu produzieren. Ein durch eine Blutvergiftung im Sterben
liegender Polizist erhielt Penicillin in die Armvene injiziert.
Innerhalb von 24 Stunden konnte die Infektion gestoppt werden.
Nach fünf Tagen war der Patient fieberfrei, aber leider auch die
Verfügbarkeit des "Wundermittels" zu Ende. Die Bakterien konnten
sich wieder ausbreiten; für den Patienten gab es keine Rettung
mehr.

Einen glücklicheren Verlauf einer Penicillin-Behandlung schilderte
Fleming anläßlich eines Wienbesuches im Jahr 1947: "1945 sah ich
während eines Aufenthalts in Amerika den ersten dort mit
Penicillin behandelten Patienten. Es handelte sich um eine Frau im
Kindbettfieber. Sie war mit Sulfonamiden behandelt worden;
trotzdem lag sie im Sterben. Sie erhielt Penicillin und reagierte
prompt, sodaß sie der Gefahr zu entrinnen schien. Aber dann war
wiederum alles Penicillin verbraucht und die Anwendung mußte
eingestellt werden. Ihr Zustand verschlimmerte sich - aber es
entstand sozusagen ein Wettrennen zwischen dem Penicillin-
Erzeuger, der alles daran setzte, schnellstmöglichst Penicillin
herzustellen, und dem Streptokokkus, der die Kranke zu töten
versuchte. Gottlob gewann der Fabrikant das Rennen, und die Frau
ist heute völlig gesund."

Zwt.: Zweiter Weltkrieg zeigt Wert des Penicillins erstmals
dramatisch auf

Nur die leistungsfähige amerikanische Arzneimittelindustrie war
während des zweiten Weltkrieges in der Lage, Penicillin in
genügend großen Mengen herzustellen, sodaß es nicht nur bei
Armeeangehörigen, sondern manchmal auch bei Zivilpersonen
therapeutisch eingesetzt werden konnte. Bis zum Ende des zweiten
Weltkriegs im Jahr 1945 boten bereits zwölf amerikanische und zwei
kanadische Firmen Penicillin an. Die neue Substanz wurde sowohl in
den Armeelazaretten, als auch in zivilen Spitälern auf allen
Kriegsschauplätzen mehr als dringend gebraucht, blieb jedoch
Mangelware. - Die ungeheure Nachfrage nach dem "Lebensretter"
Penicillin im zerbombten Europa führte aber auch zu Schwarzhandel
und zu manch anderen unsauberen Machenschaften - nachzulesen etwa
auch in Graham Greene’s Roman "Der dritte Mann", der bekanntlich
in Wien spielt.

Allerdings gab es in dieser Zeit auch positive Initiativen in
Sachen Penicillin: in Österreich gelang es dem französischen
Besatzungsoffizier und Chemiker Michel Rambaud und Dr. Hermann
Auer, einem Vorstandsmitglied der Brau AG Linz, die Direktion der
Brau AG von der Idee zu überzeugen, im Tiroler Kundl eine
Penicillin-Produktion zu starten.

Zwt.: Not macht erfinderisch - Der abenteuerliche Aufbau der
ersten österreichischen Penicillin-Produktion

Die ersten Versuche fanden im Laboratorium der Österreichischen
Brau AG in Innsbruck statt. Sie gaben die notwendigen
Anhaltspunkte für die geplante Produktion in der stillgelegten
Brauerei in Kundl. Es mangelte an allem. Es fehlte vor allem an
Geld, Geräten und Rohstoffen. So wurden also findig u.a. Behälter
der deutschen V2-Raketen zu Fermentern umgebaut, und für die
Drucklufterzeugung mußten die Mitarbeiter auf Motoren der
Tigerpanzer zurückgreifen, die immerhin jeweils sieben Kubikmeter
Luft in der Stunde lieferten. Die Entwicklung eines brauchbaren
Produktionsverfahrens war also schlichtweg abenteuerlich. Trotz
allem konnten bereits 1947 die ersten erfolgreichen
Fermentationschargen mit einer Ausbeute von 80-100 Einheiten pro
ml verzeichnet werden. Zum Vergleich: heute beträgt eine Charge
des in Kundl produzierten Penicillins das tausendfache.

Zwt.: 1952: Brandl entdeckt orales Penicillin

Kundl blieb aber weiterhin "am Ball": Am 7. Jänner 1952
unterrichtete der Forscher Dr. Ernst Brandl seine Geschäftsleitung
von seiner Entdeckung des säurestabilen Penicillins - einer
Sensation, wie sich herausstellen sollte. Damit war nämlich
erstmals ein Weg gefunden, den Wirkstoff auch als Tablette oder
Sirup zu verabreichen. Am 10. Februar desselben Jahres gelang
Brandls Kollegen Dr. Hans Margreiter die Isolierung der Penicillin
V-Säure, und bereits am 22. April wurden die neue Substanz und ihr
Herstellverfahren in Österreich zum Patent angemeldet. Eine
Sternstunde auch insofern, als so erstmals der
gesamtösterreichische Penicillin-Bedarf aus heimischer Produktion
gedeckt werden konnte.

Zwt.: Die Suche nach neuen Antibiotika hält weiter an

Millionen Menschen werden heute mit Antibiotika gegen sonst oft
vermutlich tödlich verlaufende Infektionen behandelt und in den
meisten Fällen auch geheilt. Die Suche nach neuen
Chemotherapeutika hält aber weltweit nach wie vor unvermindert an.
(Anm.: "Chemotherapeutika" dient als Oberbegriff für Antibiotika
(ursprünglich biologischen Ursprungs, meist von Pilzen
synthetisiert), egal ob biologisch oder synthetisch erzeugt und
für Chemotherapeutika, die ausschließlich vollsythetisch
hergestellt werden). Das hat im wesentlichen zwei Gründe: Zum
einen umfaßte das Wirkungsspektrum von Benzylpenicillin nur
bestimmte Arten von Erregern; dies hatte die Herstellung neuer
biosynthetischer bzw. halbbiosynthetischer Penicillinabkömmlinge
zur Folge, die das Behandlungsspektrum erweitern und/oder auch
nach oraler Gabe gut wirksam waren. Und zum zweiten stellte sich
bald heraus, daß die Therapie mit Antibiotika bei zahlreichen
Erregern zum Auftreten resistenter (= gegen die betreffende
Substanz unempfindlicher) Stämme führen kann, eine Tatsache, die
zwangsläufig die Suche verstärkt. - In Österreich sind
Antibiotika-Resistenzen jedoch nach wie vor selten. Die Erklärung
dafür ist darin zu suchen, daß ganz offensichtlich die heimischen
Ärzte Antibiotika sehr sorgfältig verordnen und die Patienten ein
hohes Maß an Einnahme-Compliance zeigen.

Zwt.: Was kostet ein historischer Schimmelpilz?

Übrigens: der Schimmelpilz, der Fleming 1935 zur Entdeckung des
Penicillins führte, ist im vergangenen Juli in England um
umgerechnet 313.000.-- Schilling versteigert worden. Der in einer
Holzkiste mit Messingschild verwahrte Schimmelpilz erzielte damit
das Doppelte des erwarteten Verkaufspreises. +++/ri

Quellen: APA, Biochemie, Unterrichtsmaterialien der Pharmig, Bd. 1
und 3, Archiv

Rückfragehinweis: Pharmig-Pressestelle,

Rosemarie Rist, Ruth Mayrhofer
Tel.: (+43/1) 523 29 56/21 DW
e-mail: pharmig-rist@apanet.at

ORIGINALTEXT-SERVICE UNTER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | NEE/ANTIBIOTIKA

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel