• 15.10.2025, 08:00:02
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ASCII & WIFO: Neue Analyse warnt: EU-Omnibus-Paket immer noch zu bürokratisch und wenig wirksam

Neue Analyse warnt: EU-Omnibus-Paket immer noch zu bürokratisch und wenig wirksam WIFO und ASCII kritisieren neuen Vorschlag der EU-Lieferkettenrichtlinie und plädieren für Negativlisten für nicht-konforme Unternehmen Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes beschlossen: Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments hat am 13. Oktober 2025 für eine Abschwächung des Lieferkettengesetzes durch das Omnibus-Paket gestimmt. Aufarbeitung gut und notwendig: Die derzeitige Fassung der EU-Lieferkettenrichtlinie wird aufgrund der hohen Kosten und schwierigen Umsetzung zurecht kritisiert. Omnibus-Paket: Das Omnibus-Paket beschränkt Kontrollen nun vorrangig auf direkte Zulieferer und senkt dadurch regulatorische Kosten. Ein beträchtlicher Aufwand für Unternehmen besteht weiterhin. Netzwerkanalyse zeigt: Verstöße treten aber oft in tieferen, schwer kontrollierbaren Stufen der Lieferketten auf. Somit verfehlt die EU-Richtlinie ihr Ziel. Reform ist notwendig: Forscher:innen plädieren für Paradigmenwechsel und Zertifizierungssysteme mit Positiv- und Negativlisten für Unternehmen.

Wien, am 15.10.2025 – Die 2024 in Kraft getretenen EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD) verpflichtet Unternehmen zu Überprüfung der Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz entlang ihrer gesamten Lieferketten. Das Gesetz wurde aufgrund der schwierigen Umsetzung und damit verbundener Kosten wiederholt kritisiert. Der Ausschuss des EU-Parlaments stimmte am 13. Oktober 2025 für die Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes durch das im April 2025 von der EU-Kommission vorgeschlagene Omnibus-Paket. Demnach würden die Regeln nur noch für Großunternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mindestens 1,5 Mrd. Euro gelten. Unternehmen sind künftig dazu verpflichtet, vorrangig nur noch ihre direkten Zulieferer zu kontrollieren – nur bei begründetem Verdacht müssen auch tiefer liegende Stufen der Lieferkette überprüft werden. Zudem entfällt die Pflicht, Geschäftsbeziehungen mit nicht-konformen Partnern zu beenden, während Unternehmen gleichzeitig weniger Informationen von ihren Zulieferern über deren Geschäftspraktiken einfordern dürfen. Die volle Umsetzung der EU-Richtlinie wurde bis 2028 verschoben.

Eine aktuelle Analyse des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) und des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) warnt nun, dass die grundlegenden Konstruktionsfehler der EU-Richtlinie auch im Omnibus-Paket nicht repariert wurden. Zudem bleiben durch die Beschränkung der Kontrollen auf direkte Zulieferer die meisten Missstände unsichtbar, da diese hauptsächlich in den tieferen Stufen der Lieferketten auftreten.

Die meisten Verstöße bleiben unreguliert

„Die EU-Lieferkettenrichtlinie sollte nicht nur kosteneffizient sein, sondern auch nachhaltig das Verhalten von Unternehmen verändern. Das Omnibus-Paket untergräbt die Wirksamkeit der Regulierung, schafft aber weiterhin bürokratische Anforderungen, die Unternehmen schultern müssen“, kritisiert Klaus Friesenbichler, stellvertretender Direktor des ASCII und Senior Economist am WIFO.

Statt, wie ursprünglich geplant, entlang der gesamten Lieferkette zu greifen, beschränkt das Omnibus-Paket die Verantwortung von Unternehmen künftig weitgehend auf direkte Zulieferer. Dadurch würden die meisten Verstöße und Risiken unberührt bleiben. Denn die Netzwerkanalyse zeigt, dass die größten Menschenrechts- und Umweltverstöße vorrangig in der zweiten Ebene der Lieferkette und darüber hinaus auftreten – wo die Intransparenz am größten ist. Besonders deutlich zeigt sich das Problem am Beispiel Kobalt – einem zentralen Rohstoff für Batterien in Smartphones und Elektroautos. Ein Großteil des weltweit geförderten Kobalts stammt aus der Demokratischen Republik Kongo – oft unter Einsatz von Kinderarbeit und unter lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen. Diese Lieferstufe liegt jedoch meist mehrere Ebenen von europäischen Endabnehmern entfernt – und fällt durch das Omnibus-Paket somit aus dem Prüfungsraster.

„Die schwersten Verstöße ereignen sich überwiegend tief in der Lieferkette – bei Zulieferern, die oft niemand sieht. Wenn vorrangig die erste Lieferstufe reguliert wird, bleiben Missstände oft nicht erkannt. Das Omnibus-Paket erfüllt die Anforderung von einfacher Umsetzbarkeit und Wirksamkeit nicht und verfehlt somit seinen eigentlichen Zweck“, erklärt Friesenbichler.

Weiterhin hohe bürokratische Kosten

Das Omnibus-Paket wurde als Reaktion auf die anhaltende Kritik an der Bürokratie und den hohen Kosten der Lieferkettenrichtlinie beschlossen. Laut EU-Kommission könnten die jährlichen finanziellen Aufwände für die Sorgfaltspflicht zwischen 37.000 Euro für große KMU und über 500.000 Euro für Großkonzerne liegen. Die Umsetzungskosten des Omnibus-Pakets liegen zwar unter jenen der derzeitigen Regulierung, bleiben jedoch beträchtlich.

Das Hauptproblem liegt darin, dass sich beide Formulierungen auf die Lieferbeziehungen einzelner Unternehmen fokussieren. Viele direkte Zulieferer arbeiten gleichzeitig für mehrere europäische Unternehmen und sehen sich dadurch mit einer Vielzahl an Prüfungen und Berichtsanforderungen konfrontiert. Ein Zulieferer mit zehn Großkunden könnte künftig auch zehn verschiedene Audits bestehen müssen. Gleichzeitig sieht das Omnibus-Paket vor, dass jedes Unternehmen eigene Risiko- und Berichtssysteme aufbaut – allerdings ohne eine einheitliche Methodik vorzuschreiben. Das Ergebnis: ein Flickenteppich von Insellösungen, die hohe Kosten verursachen, aber wenig Wirkung entfalten.

Europa zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Forscher plädieren für Paradigmenwechsel

Statt auf kostspielige und oft wenig wirksame Einzelprüfungen von Lieferbeziehungen zu setzen, sollten laut Analyse systemische, europaweit koordinierte Ansätze entwickelt werden. Die Forscher:innen sprechen sich für zentrale Zertifizierungssysteme und gemeinsame Datenbanken aus, die klare, harmonisierte Standards für das Verhalten von Zulieferern festlegen. Solche Systeme könnten beispielsweise unabhängige Positiv- und Negativlisten für ganze Branchen führen – also Listen mit geprüften, verlässlichen Zulieferern, die Unternehmen ohne weiteren Aufwand beauftragen können, sowie Listen mit nachweislich problematischen Akteuren. Auf diese Weise müssten Unternehmen nicht mehr unzählige kostspielige Einzelprüfungen durchführen. Mehrfachprüfungen von Zulieferern könnten vermieden werden. Das würde die Kosten senken, Bürokratie abbauen und gleichzeitig dafür sorgen, dass Sozial- und Umweltverstöße nicht länger unter dem Radar bleiben. Zusätzlich würde es Transparenz über ganze Branchen hinweg schaffen und globale Lieferketten mit den sozialen und ökologischen Zielen der EU in Einklang bringen.

Sowohl die bisherige Fassung der Lieferkettenregulierung als auch das neue Omnibus-Paket leiden unter dem selben Konstruktionsfehler: Ersteres ist ineffizient, Letzteres ist ineffektiv. Die EU hat jetzt die Chance, die Lieferkettenregulierung so zu gestalten, dass sie sowohl wirksam als auch effizient ist. Dafür ist ein einheitliches System zur Zertifizierung von Unternehmen erforderlich. So können unnötige Mehrfachüberprüfungen und ein Flickenteppich von Insellösungen vermieden werden“, erläutert Klimek.

US-Kritik

Kritisch beäugt wird die Regulierung von Lieferketten auch international. So hat die US-Regierung sie kürzlich als ungerechtfertigt bezeichnet und Ausnahmen für US-Unternehmen gefordert. Ein einheitliches Zertifizierungssystem mit Positivlisten könnte leicht dazu genutzt werden, Erleichterungen für Unternehmen aus Regionen mit hochwertigen Lieferkettenregulierungen zu schaffen. Tatsächlich hat die EU im jüngsten Zollabkommen mit den USA Erleichterungen dieser Art in Aussicht gestellt. Viele Stimmen meinen, die EU sollte dem Druck der USA hier nicht nachgeben. Friesenbichler: “Wenn die EU sich entschließt, europäische Werte gesetzlich vorzuschreiben, kann sie das auf ihrem Gebiet tun. Hier aktive in- und ausländische Unternehmen sollten gleich behandelt werden, was auch passiert. Der US-Regierung steht es natürlich frei, derartige Regeln abzulehnen, aber die EU unterliegt nicht der US-Rechtssprechung”.

 

Über die Analyse

Die Analyse „The Dual Challenge of Cost Efficiency and Effectiveness in EU Supply Chain Regulation“ wurde vom Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) und dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) als Policy Brief auf der Plattform SUERF – The European Money and Finance Forum veröffentlicht. SUERF ist ein europaweites Forschungsnetzwerk von Notenbanken, Aufsichtsbehörden, Finanzinstitutionen und Universitäten, das seit über 50 Jahren den Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis fördert. Mit dieser Publikation fließen wissenschaftliche Erkenntnisse zu globalen Lieferketten direkt in die europäische Debatte über die künftige Ausgestaltung der CSDDD ein. Link zur Publikation: SUERF Policy Brief

Über das Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII)

Das Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) ist ein unabhängiges, weltweit führendes Lieferketteninstitut für interdisziplinäre, datengetriebene Analysen globaler Produktions- und Logistiknetzwerke – mit dem Ziel, resiliente, nachhaltige und zukunftsfähige Lieferketten zu gestalten. Das Institut wurde als Forschungs-Joint Venture vom Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) gemeinsam mit dem Complexity Science Hub (CSH), dem Logistikum der Fachhochschule Oberösterreich und dem Verein Netzwerk Logistik (VNL) gegründet. www.ascii.ac.at

Rückfragen & Kontakt

Kontakt für Rückfragen:

Wissenschaftliche Leitung: Klaus Friesenbichler, friesenbichler@ascii.ac.at, +43 17982601296
Presse: press@ascii.ac.at, +43 664 25 41 320

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