- 14.09.2016, 16:18:35
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Enquete zu CETA und TTIP: Unterschiedliche Expertenmeinungen zur Freihandelspolitik
Ökonomische Effekte, ökologische Auswirkungen sowie soziale Kosten strittig
Utl.: Ökonomische Effekte, ökologische Auswirkungen sowie soziale
Kosten strittig =
Wien (PK) - Die aktuelle Freihandelspolitik der Europäischen Union,
die insbesondere durch die "neue Generation" von Freihandelsabkommen
mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) zum Ausdruck kommt, stand sodann
im Mittelpunkt von vier Referaten von Wirtschaftsexperten. Während
Fritz Breuss (WIFO) die ökonomischen Effekte als gering einstufte,
gab Verena Madner (Wirtschaftsuniversität Wien) zu bedenken, dass es
im CETA-Vertrag zwar viele Ausnahmen gebe, die aber teilweise
beschränkt sind und zudem zu Rechtsunsicherheiten führten. Außerdem
werden den Schiedsgerichten nicht unbeträchtliche Spielräume
ermöglicht. Bei CETA und TTIP gehe es nicht mehr um bloße
Handelsverträge, sondern um sehr umfassende Regulierungsabkommen,
erklärte Werner Reza (ÖFSE). Den zu erwartenden geringen
Wachstumseffekten und Effizienzgewinnen stehen aber zum Teil negative
Verteilungseffekte und ökologische Kosten gegenüber. Eine gemeinsame
Handelspolitik mache die EU schlagkräftiger und glaubwürdiger in der
Welt, meinte Jörg Wojahn von der EU-Vertretung in Wien, und davon
profitieren vor allem exportorientierte Länder wie Österreich und
insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen.
Breuss: "Viel Lärm um Nichts" bei CETA; TTIP ist wohl politisch tot
Globalisierung fördert Wachstum und Wohlfahrt, stellte
Universitätsprofessor Fritz Breuss zu Beginn seiner Wortmeldung fest,
allein zwischen 1990 und 2014 konnte Österreich das BIP pro Kopf um
real 880 € pro Jahr steigern. Dass internationaler Handel auch einen
wettbewerbsstimulierenden Effekt hat, beweise u.a. die Tatsache, dass
Österreich durch die schrittweise Öffnung seiner Volkswirtschaft
(Osteuropa 1989, EU-Mitgliedschaft 1995 plus EU-Osterweiterung) bis
zuletzt profitiert habe. Sowohl CETA als auch TTIP stehen nun für
eine neue Wirtschaftspolitik der EU, die auf einen umfassenden Abbau
von Handelshemmnissen abzielt, erklärte der WIFO-Experte Fritz
Breuss. Ähnliche Verträge habe man bereits mit Südkorea und Japan
abgeschlossen bzw. verhandelt, die aber interessanterweise keinen
Niederschlag in der öffentlichen Debatte gefunden hätte.
Seiner Einschätzung nach sei CETA grundsätzlich ein guter Vertrag,
der (fast) alle gegenseitigen Wünsche berücksichtigt, aber aufgrund
der geringen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Kanada und
Österreich seien die ökonomischen Effekte mit der Lupe zu suchen.
TTIP wiederum sei ein Abkommen zwischen den zwei größten globalen
Handelsregionen und würde somit 54% des gesamten Welthandels
umfassen. Da auf EU-Seite die höheren Schranken bestehen (sowohl in
Bezug auf Zölle als auch bei nicht-tarifären Hemmnissen), werde die
Union durch das Abkommen weniger profitieren als die USA. Politisch
umstritten seien überdies die institutionellen Rahmenbedingungen
(Streitbeilegungsverfahren, regulatorische Kooperation etc.), gab
Breuss zu bedenken, außerdem stehe gerade die österreichische
Bevölkerung dem Vertrag negativ gegenüber (70% Ablehnung).
Möglicherweise sind die genannten Freihandelsabkommen zu ambitioniert
angelegt, um auf ausreichend Akzeptanz in der Bevölkerung und in der
Politik zu stoßen, urteilte er. Wenn man schon so komplexe Verträge
haben will, dann hätte man auch das Wettbewerbsrecht inkludieren
sollen, regte Breuss an, um einen unfairen Standortwettbewerb und
somit Steuergeschenke für multinationale Konzernen vermeiden zu
können. Mitdenken müsse man auch die Auswirkungen des Brexit, da
Kanada und die USA sicher weniger Interesse an einem Abschluss der
Verträge haben, wenn Großbritannien nicht mehr dabei ist.
Madner: Handelsabkommen werfen Fülle von rechtlichen
Interpretationsfragen auf
Universitätsprofessorin Verena Madner (WU Wien) bezeichnete TTIP und
CETA als ehrgeizige und weitreichende Abkommen, die vor allem in den
Bereichen Daseinsvorsorge und Investitionsschutz die bisher
ambitioniertesten Regelungen, die jemals von der EU ausverhandelt
wurden, enthalten. Öffentliche Dienstleistungen nehmen eine besondere
Rolle im europäischen Gesellschaftsmodell ein, ihr Stellenwert ist im
EU-Primärrecht ausdrücklich verankert, betonte sie. Allerdings
enthalte gerade der CETA-Vertrag, der in allen Details bereits
vorliegt, eine Reihe von Ausnahmen, wie z.B. für die Abfallwirtschaft
oder für öffentlich finanzierte Dienstleistungen in den Sektoren
Gesundheit, Soziales und Bildung. Was auf den ersten Blick als
ausreichender Gestaltungsspielraum aussieht, ergebe bei näherer
Betrachtung ein etwas differenzierteres Bild. Einerseits sind nämlich
die Ausnahmen in ihrer Reichweite beschränkt und andererseits
bestehen Rechtsunsicherheiten, analysierte Madner. Im Besonderen hob
sie hervor, dass Investoren auch im Bereich der Daseinsvorsorge auf
Schadenersatz klagen können.
Außerdem zeigen die Erfahrungen in der Vergangenheit, dass die
öffentlichen Interessen bei Schiedsgerichtsverfahren oft nicht
angemessen berücksichtigt wurden. Offen sei ihrer Meinung auch, ob
die CETA-Klarstellungen nicht umgangen werden können. Auch wenn
einige Reformvorschläge auf dem Tisch liegen, wurde die entscheidende
Grundsatzfrage nicht beantwortet, weshalb Sonderklagebefugnisse für
ausländische Investoren ein notwendiges Rechtsschutzinstrument
darstellen. Warum enthalte CETA zwar Verpflichtungen zur Einhaltung
von Umwelt- und Sozialstandards, aber keine Klage- und
Sanktionsmechanismen? Weshalb sieht der Vertrag explizit vor dass
BürgerInnen und inländische Unternehmen sich vor Gerichten und
Behörden nicht auf CETA berufen können? Generell müsse Europa aber
klären, welche Werte es bei der Mitgestaltung der Globalisierung
einbringen möchte. Dies sei in erster Linie eine politische und
weniger eine rechtliche Entscheidung, so Madner.
Raza drängt auf eine nachhaltige Handelspolitik und warnt vor
sozialen und ökologischen Kosten
Über die ökonomischen, ökologischen und sozialen Effekte von CETA und
TTIP referierte Werner Raza von der Österreichischen
Forschungsstiftung für internationale Entwicklung (ÖFSE). Er schickte
seiner Wortmeldung voraus, dass es sich bei dieser neuen Generation
an Handelsverträgen im Grunde um Regulierungsabkommen handelt. Das
heißt, dass es dabei um die Angleichung, die Harmonisierung, die
gegenseitige Anerkennung und Vereinfachung von innerstaatlichen
Regeln geht. Was die Wachstumseffekte betrifft, so pflichtete er
Breuss bei, dass diese zwar positiv sind, aber als klein bis sehr
klein (zwischen 0 und etwas über 1%) eingestuft werden können. Der
Hauptgrund dafür sei, dass die durchschnittlichen Zollsätze im
bilateralen Handel ohnehin schon sehr niedrig sind. Auch der Abbau
nicht-tarifärer Handelsbarrieren - also die Angleichung
unterschiedlicher Standards in sehr vielen Bereichen - bringe nur
geringe Effizienzgewinne. Schließlich ging Raza noch auf die
möglichen Anpassungskosten am Arbeitsmarkt ein, wobei einige Sektoren
verlieren und andere wieder profitieren werden. Eine aktuelle Studie
der Kommission kommt zum Schluss, dass möglicherweise über 1 Million
Jobs betroffen sein werden, was in Bezug auf TTIP hochgerechnet zu
Kosten von etwa 24 Mrd. € führen wird (bei CETA 2, 4 Mrd. €). Daher
müsse in diesem Bereich gegensteuern, forderte Raza, er bezweifle
aber, dass der EU-Globalisierungsfonds dafür der geeignete
Mechanismus sei. Weniger qualifizierte Arbeitskräfte müssten zudem
mit geringen Reallohnverlusten rechnen. Bedauern äußerte Raza
darüber, dass die ökologischen Aspekte in der Diskussion zu wenig
Berücksichtigung finden, denn eine starke Ausweitung des Handels
führe zu einem Anstieg der Emissionen insbesondere im Flug- und im
Schiffverkehr.
Wojahn: Gemeinsame Handelspolitik sichert Wohlstand und Schlagkraft
der EU in der Welt
Die Republik Österreich ist schon vor etlichen Jahren einem
Freihandelsabkommen beigetreten, das "über TTIP und CETA unendlich
weit hinausgeht" erinnerte Jörg Wojahn, der Vertreter der
Europäischen Kommission in Wien, und bezog sich damit auf die EU-
Mitgliedschaft. Die Debatten, die im Vorfeld des Beitritts
stattgefunden haben, sind den heutigen, die über CETA und TTIP
geführt werden, nicht unähnlich, meinte er. Auch damals war oft von
Untergangsszenarien die Rede, die sich aber alle nicht bewahrheitet
hätten. Da die WTO-Verhandlungen ins Stocken geraten sind, musste
sich die EU andere Wege überlegen, um den Außenhandel, der zu mehr
Wohlstand und einer Absicherung der Arbeitsplätze führt,
voranzutreiben. Wojahn widersprach Aussagen, wonach CETA und TTIP nur
den großen Staaten nütze. Es mache viel mehr Sinn, wenn alle EU-
Mitgliedsstaaten gemeinsam an einem Strang ziehen; dies zeige etwa
auch der Konflikt mit dem Apple-Konzern in Irland. Davon profitieren
dann wieder die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in
einem geschützten Rahmen ihre Produkte in andere Länder exportieren
können, war Wojahn überzeugt.
Parlamentarier: Mehr Chancen für KMUs oder zu viele Nachteile für
Umwelt, Soziales und Arbeitsmarkt?
In einer ersten Debattenrunde meldeten sich zahlreiche VertreterInnen
der Parlamentsfraktionen zu Wort. SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder
etwa bedauerte, dass im Fall von CETA dem Wunsch nach Einrichtung
eines eigenen Handelsgerichtshofs nicht entsprochen wurde.
Nachbesserungen wären zudem in Bezug auf den Schutz der
Daseinsvorsorge notwendig. Wesentlich wichtiger als diese zwei
Abkommen seien eine Regulierung der Finanzmärkte, europäische
Wachstumsinitiativen oder ein Investitionspakt mit der USA als
Antwort auf den Klimawandel.
ÖVP-Abgeordneter Peter Haubner bekannte sich dazu, den globalen
Handel aktiv mitzugestalten und nicht nur zuzusehen. Gerade
Österreich sei als kleines exportorientiertes Land davon abhängig,
dass es Freihandelsabkommen gibt, die den Zutritt zu Märkten
erleichtern und Rechtssicherheit schaffen. Jeder zweite Arbeitsplatz
in Österreich sei direkt oder indirekt vom Export abhängig, stellte
er mit Nachdruck fest.
Im Sinne der Generationengerechtigkeit müssten in der Frage des
Freihandels, der Wohlstand schafft, nun die nächsten Schritte gesetzt
werden, verlangte NEOS-Vertreterin Claudia Gamon. Auch sie sah
bessere Chancen für kleinere und mittlere Unternehmen, wenn ein
gemeinsamer Rechtsrahmen geschaffen wird, weil dann für alle freie
und faire Marktbedingungen herrschen.
Natürlich sei Handel, den es schon seit der Steinzeit gibt, zu
begrüßen, meinte Werner Kogler von den Grünen, die Frage sei nur,
unter welchen Bedingungen er stattfindet. In der konkreten Diskussion
gehe es vorrangig aber nicht um den Freihandel, sondern um
Investitionen, Regulierungen und um die Standards. Was CETA betrifft,
so stünden den ökonomischen Vorteilen in homöopathischen Dosen aber
eine Perforierung des Vorsorgeprinzips gegenüber. Außerdem würde man
auch eine Zweiklassenjustiz einführen, kritisierte Kogler. Er
forderte daher den Kanzler auf, das Abkommen derzeit nicht zu
unterzeichnen, um eine vorläufige Anwendung zu stoppen.
FPÖ-Mandatar Johannes Hübner sprach von einer Irreführung der
europäischen Öffentlichkeit und befürchtete, dass nach dem Abschluss
von TTIP die USA die EU noch viel stärker am Gängelband führen wird.
Sie hätten dann nämlich legale Mittel in der Hand, um in interne
demokratische Entscheidungen der Union einzugreifen bzw.
Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe einzuklagen.
Waltraud Dietrich vom Team Stronach hingegen machte sich große Sorgen
um den Fortbestand der EU, da die EU-VertreterInnen die Sorgen der
Bevölkerung nicht ernst nehmen und mit einer gewissen Arroganz Dinge
von oben verordnen wollen. Wenn schon Handelsabkommen abgeschlossen
werden, dann müssen die Partner auf Augenhöhe agieren und gleiche
Standards gewährleistet werden, forderte sie. (Fortsetzung Enquete)
sue
HINWEIS: Fotos von der Enquete finden Sie auf der Website des
Parlaments unter www.parlament.gv.at/SERV/FOTO/ARCHIV.
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