- 13.06.2012, 12:38:15
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- OTS0155 OTW0155
Neue Entscheidungen des Senats 1 des Presserats
Wien (OTS) -
1. Gewissenhafte Recherche und Diskriminierung von Migranten
(Fall 2012/7)
In einem Artikel in der Kronen-Zeitung vom 29.12.2011 wurde
behauptet, dass im Wiener AKH jährlich "50 kranke Inzest-Babys"
geboren werden, bei denen es sich "zumeist [um] Migrantenkinder aus
sozial schwachen Familien" handle.
Als einzige Quelle für diese Behauptungen wird "ein Mediziner des
AKH" angeführt.
Die Leiterin der Abteilung "Informationszentrum und PR" des Wiener
AKH hat auf Anfrage des Presserates die Aussagen im Artikel nicht
bestätigt.
Nach Ansicht des Senates 1 des Presserates wäre es im Sinne einer
korrekten und gewissenhaften Recherche notwendig gewesen, dass der
Autor des Artikels die Aussagen des anonym gebliebenen Mediziners im
Sinne einer Gegenrecherche durch eine Anfrage bei den für
Medienkommunikation zuständigen Stellen des AKH überprüft und die
Aussagen dadurch entweder untermauert oder relativiert.
Da dies unterblieben ist, entspricht die dem Artikel zugrunde
gelegte Recherche nicht den Erfordernissen des Ehrenkodex für die
österreichische Presse (siehe dessen Punkt 2.1.).
Die Behauptung, dass es sich bei den Inzest-Babys zumeist um Kinder
aus sozial schwachen Migrantenfamilien handelt, die schwere
Behinderungen aufweisen, ist - wenn dies wie hier nicht fundiert
belegt wird - nach Meinung des Senats eine unzulässige
Diskriminierung von Migranten (siehe Punkt 5.5 des Ehrenkodex).
2. Veröffentlichung von Fotos einer Leiche eines mutmaßlichen
Straftäters (Fall 2012/23)
In der Tageszeitung "Österreich" wurde dem Artikel "Wurde
Natascha-Entführer ermordet?" vom 29.2.2012 ein Foto der Leiche von
Wolfgang P. beigefügt (das Gesicht war dabei verpixelt).
Die Abbildung der Leiche des Wolfgang P. ist nach Ansicht des Senats
1 grundsätzlich geeignet, in die Persönlichkeitsrechte des
Verstorbenen einzugreifen. Andererseits hat die Öffentlichkeit ein
Recht auf Information, insbesondere über bedeutende Ereignisse wie
die Geschehnisse rund um die Entführung von Natascha K. und den Tod
ihres Entführers Wolfgang P.
Im vorliegenden Fall geht die Veröffentlichung des Fotos jedoch
über ein legitimes Informationsinteresse hinaus, da es neben dem Text
keine zusätzlichen Informationen bietet und die Leserin oder der
Leser daraus keine weiteren Schlussfolgerungen ziehen kann. Deshalb
lag ein postmortaler Verstoß gegen Punkt 5 des Ehrenkodex
(Persönlichkeitsschutz) vor.
Die Entscheidungen im Langtext finden Sie auf der Homepage des
Presserates (www.presserat.at).
In den vorliegenden Fällen hat der Presserat aufgrund von
Mitteilungen von Lesern selbständige Verfahren durchgeführt, in denen
der zuständige Senat des Presserats seine Meinung äußert, ob ein
Medienbericht den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die
"Kronen-Zeitung" und die Tageszeitung "Österreich" sind nicht
Mitglieder des Presserats und haben an den Verfahren nicht
teilgenommen.
Rückfragehinweis:
Dr. Tessa Prager
Sprecherin des Senats 1
Tel.: 01/21312-1169
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