- 15.05.2012, 11:27:07
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- OTS0151 OTW0151
Suizidberichterstattung: Presserat mahnt Zurückhaltung ein
Wien (OTS) - Der Senat 2 des Presserats überprüfte zwei Artikel
über den Suizid eines jungen Mannes, die in der Tageszeitung
"Österreich" und auf der Webseite www.oe24.at im Dezember 2011
erschienen sind.
Die Persönlichkeit eines Menschen verdient nach Ansicht des Senats
grundsätzlich über den Tod hinaus Schutz. Jeder Tote war einmal ein
lebendes Individuum mit Selbstbestimmungsrechten.
Medienberichterstattung über Suizidfälle sollte zwar nicht völlig
unterbleiben, da dies einer unerwünschten Tabuisierung des Themas
gleichkäme, so der Senat weiter. Bei Berichten über Suizide ist
jedoch große Zurückhaltung geboten.
In den vorliegenden Artikeln kam es zu schwerwiegenden Verstößen
gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse, insbesondere
gegen dessen Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Schutz der
Intimsphäre).
Eingriffe in die Intimsphäre und Würde des Verstorbenen
Den Artikeln wurden Fotos beigefügt, die den Verstorbenen
unverpixelt zeigen. Zudem wurden viele Details aus seinem Privatleben
angeführt und seine Abschieds-SMS wortwörtlich wiedergegeben. Daraus
ergibt sich eine postmortale Verletzung der Intimsphäre.
Der Senat weist darauf hin, dass der Verstorbene keine öffentliche
Funktion ausübte und auch sonst nicht im Blickpunkt der
Öffentlichkeit stand.
Die Beschreibung des Leichnams des Verstorbenen unmittelbar nach
dem dramatischen Geschehen ist eine Verletzung der Menschenwürde.
Jemand, der durch so tragische Umstände wie hier verstirbt, hat
Anspruch darauf, dass die Würde seiner Person insbesondere in
Hinblick auf Art und Weise seines Todes von den Medien respektiert
wird.
Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Angehörigen
Durch die Offenbarung der privaten Details über den Verstorbenen
wurde auch das Pietätsgefühl der nahen Angehörigen verletzt und ihre
Trauerarbeit erschwert. In der schwierigen Situation, in der sich die
Angehörigen befunden haben, sind persönlichkeitsverletzende Berichte,
die das Andenken an den Verstorbenen gefährden, besonders gravierend.
Verantwortungsvoller Journalismus muss auch die Folgen der Berichte
für die Angehörigen berücksichtigen.
Beurteilung der Foren zu den vorliegenden Artikeln auf
www.oe24.at
Nach Meinung des Senats sollte bei einer so sensiblen
Angelegenheit wie dem Suizid eines jungen Mannes kein Forum für die
Leser eröffnet werden, weil von vornherein mit verletzenden Postings
zu rechnen ist. Bedauerlicherweise hat sich dies im vorliegenden Fall
bestätigt. In den Postings wurden außerdem viele weitere private
Details über den Verstorbenen preisgegeben.
Suizidprävention
Medienberichte über Suizide können Nachahmungstaten zur Folge
haben. Dieser Effekt basiert auf einer sensationellen Präsentation
des Falles, die die Aufmerksamkeit stark auf sich zieht (Aufmachung
auf der Titelseite, spektakulärer Stil in Sprache und Darstellung).
Um keine Identifikationsmöglichkeiten bzw. Anregungen zu bieten,
sollten Journalisten die Bekanntgabe von Details zur betroffenen
Person und zur Suizidmethode möglichst unterlassen. All diese
wissenschaftlich erforschten Grundsätze wurden in den vorliegenden
Berichten nicht beherzigt.
Es verfestigt sich der Eindruck, dass die über Jahrzehnte
vorherrschende freiwillige Zurückhaltung der österreichischen Medien
bei der Suizidberichterstattung nicht mehr eingehalten wird. Die
beiden vorliegenden Artikel sind hierfür ein missliches Beispiel.
Der Senat mahnt die erforderliche Maßhaltung bei diesem heiklen
Thema ein, da es hier aufgrund der potentiellen Nachahmungstaten von
gefährdeten Personen im wahrsten Sinne des Wortes um eine Frage von
Leben und Tod geht.
Unter www.presserat.at finden Sie den Langtext der Entscheidung.
Im vorliegenden Fall hat der Presserat aufgrund einer Mitteilung
einer Leserin ein selbständiges Verfahren durchgeführt, in dem der
zuständige Senat des Presserats seine Meinung äußert, ob ein
Medienbericht den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die
Tageszeitung "Österreich" ist nicht Mitglied des Presserats und hat
am Verfahren nicht teilgenommen.
Rückfragehinweis:
Dr. Andreas Koller, Sprecher des Senats 2, Tel.: 01-53153-830
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