Danach: Doku-Premiere „Eugenie Schwarzwald: Pionierin der Moderne“
Utl.: Danach: Doku-Premiere „Eugenie Schwarzwald: Pionierin der
Moderne“ =
Wien (OTS) - Der von Peter Schneeberger präsentierte „kulturMontag“
am 5. Dezember 2022 um 22.30 Uhr in ORF 2 thematisiert anlässlich
Maria Schraders neuem, Oscar-verdächtigen Film „She said“ über den
Harvey-Weinstein-Skandal, was in fünf Jahren #MeToo-Bewegung passiert
ist. Weiters befasst sich die Sendung u. a. mit der Wokeness-Debatte
sowie dem Moralbegriff in Kunst und Kultur, außerdem mit der
Meinungsmacht der Medien sowie dem Werk von Kim de l’Horizon. Der
Literatur-Shootingstar ist live zu Gast im Studio.
Anschließend an das Kulturmagazin zeichnet die Doku-Premiere „Eugenie
Schwarzwald: Pionierin der Moderne“ (23.15 Uhr) ein spannendes
Porträt der außergewöhnlichen österreichischen Sozialreformerin und
Frauenrechtsaktivistin. Als unangepasster Freigeist behauptete sie
sich mit unermüdlicher Stärke und viel Charisma in einer absoluten
Männerdomäne – dem Bildungswesen des 20. Jahrhunderts. Als
revolutionäre Schulgründerin machte Schwarzwald Mädchen den Zugang
zur Bildung möglich. Die „Schwarzwald Schule“ war die erste Schule in
Österreich, an der Frauen maturieren konnten. Erzählt man die
Geschichte der Schule, erzählt man auch die Geschichte der
aufregenden Wiener Moderne: Kokoschka, Loos, Wellesz – allesamt
prägende Persönlichkeiten dieser Zeit, die Eugenie Schwarzwald als
Lehrer gewinnen konnte. Das Porträt einer außergewöhnlichen Frau
gestaltete Alex Wieser.
Mehr zum „kulturMontag“:
„She said“ – Maria Schraders Oscar-verdächtiger filmischer Blick auf
#MeToo
Die #MeToo-Enthüllungen zu Hollywoods Filmproduzent Harvey Weinstein
im Jahr 2017 haben die US-amerikanische Traumfabrik in eine ihrer
größten Krisen gestürzt. Maria Schrader erzählt in ihrem jetzt schon
Oscar-verdächtigen Film „She said“ von jenen Wochen vor fünf Jahren,
in denen die abstoßende Kehrseite der berühmtesten Filmindustrie der
Welt ans Licht gebracht und eines ihrer schmutzigsten Geheimnisse von
systematischem sexuellen Machtmissbrauch gelüftet wurde. Die
Produktion basiert auf dem gleichnamigen, 2019 publizierten Buch der
„New York Times“-Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor –
dargestellt von Carey Mulligan und Zoe Kazan –, die Weinsteins
Verbrechen minutiös aufdeckten und die von Aktivistin Tarana Burke
angestoßene #Metoo-Bewegung ins Rollen brachten. Es ist Hollywoods
erster beherzter Versuch, sich seiner jüngeren Geschichte zu stellen.
Was alles die #MeToo Bewegung ins Rollen gebracht hat, ist jedoch
längst noch nicht ausgemacht.
Durchs wilde Wokistan – Kunst und Moral
Spätestens seit #MeToo, #OscarsSoWhite und der
Black-Lives-Matter-Bewegung kocht die „Woke“-Debatte auch in Europas
Kulturbranche hoch. Wokeness, also Wachheit und Wachsamkeit, scheint
die Political Correctness als Feindbild konservativer Kulturkämpfer
abgelöst zu haben. Die Frage nach der Moral in der Kunst ist laut
geworden. Im gesellschaftlichen Diskurs heizt die jüngere Generation
der älteren ordentlich ein, will man sich doch für den Schutz von
Minderheiten einsetzen und sensibel für Diskriminierung sein. Treibt
das identitätspolitische Aufbegehren einen KeiI in die Gesellschaft?
Führt die kulturelle Aneignung zu einer anhaltenden Marginalisierung
von Schwarzen, PoCs (People of Colour) oder Indigenen oder hat die
Kunst immer schon vom Austausch zwischen den Kulturen gelebt? Bleibt
die vielgerühmte Freiheit der Kunst dabei auf der Strecke? Wie weit
darf diese gehen und wo sind die Grenzen des moralisch Erlaubten?
Braucht die Gesellschaft gar ein neues kulturelles Benimm-Büchlein?
Anatomie eines Skandals – Die Meinungsmacht der Medien
Erst im Sommer war eine Diskussion um kulturelle Aneignung
losgetreten worden, als der Ravensburger Verlag zwei Bücher zum
gleichnamigen Film „Der junge Häuptling Winnetou“ auf den Markt
brachte. Von sozialen Medien aus wehte den Verlegern ein enormer
Shitstorm entgegen, die Bücher seien rassistisch und würden der
echten Lebenswelt der indigenen Völker, ihrer Unterwerfung und
Vertreibung in Reservate nicht gerecht werden. Eine große
Boulevardzeitung hielt dagegen. Der Verlag nahm die Produkte rasch
vom Markt. Auch die deutsche Punkband „Die Ärzte“ fand sich im Herbst
als Opfer des allgemeinen Empörungsbedürfnisses, das ihrem Kultsong
„Elke“ galt: Zeitungen hatten berichtet, die Gruppe hätte sich von
dem Titel mit dem frauenfeindlichen Text voller Fatshaming erst
jüngst distanziert, obwohl sie diesen bereits seit 2011 nicht mehr in
ihrem Repertoire hat. Wie entsteht vermeintliche Cancel Culture?
Welche Rolle spielen soziale Netzwerke und Medien?
Famose Metamorphose – Der Erfolg von Literatur-Shootingstar Kim de
l’Horizon
Mit dem Debütroman „Blutbuch“ feiert Kim de l’Horizon Triumphe und
erhielt nun nach dem renommierten Deutschen Buchpreis auch den
Schweizer Buchpreis. Der Literatur-Shootingstar, 30, geboren in der
Schweiz, ist eine nonbinäre Person. Schon die Preisverleihung bei der
Frankfurter Buchmesse im Oktober sorgte für Aufsehen, sei der
deutsche Buchpreis doch für Kim „ein Zeichen gegen den Hass und für
die Liebe“. Sagte es, stimmte ein Lied an und rasierte sich aus
Solidarität mit den Frauen im Iran die Haare ab. In dem „Roman des
Jahres“ dreht sich alles um ein Kind, das sich früh entschließt,
weder als Mann noch als Frau durch die Welt zu gehen. Ein
sprachgewaltiges, innovatives Werk zwischen Poesie und Biografie, in
dem Kim de l’Horizon die Ich-Erzählfigur auf intensive Spurensuche
nach der eigenen Identität schickt, einen Rückblick auf die eigene
Kindheit werfen lässt und beschreibt, wie es ist, mit seinem Körper
nicht zurecht zu kommen. „Blutbuch“ ist ein kunstvolles Konstrukt
über Werden und Vergehen, Leben und Sterben. Kim de l’Horizon spricht
live im Studio über Identität, das Schreiben als Befreiungsschlag,
politische Verantwortung und die aktuelle Gender-Debatte.
Dokumentation „Eugenie Schwarzwald: Pionierin der Moderne“ (23.15
Uhr)
Die junge Eugenie Schwarzwald will im Wien des Fin de Siècle den vom
damaligen Bildungssystem massiv benachteiligten Mädchen bessere
Chancen auf eine selbstbestimmte Zukunft ermöglichen. Im Alter von
nicht einmal 30 Jahren kauft sie kurzerhand eine Schule und engagiert
als Lehrer u. a. Oskar Kokoschka, Arnold Schönberg oder Adolf Loos.
Auf behördliche Sabotage ihrer revolutionären Pädagogik-Konzepte
reagiert sie nicht frustriert, sondern kämpferisch. Wie kommt es,
dass Schwarzwald heute so Wenigen ein Begriff ist? Regisseurin Alex
Wieser bereitet dieser Pionierin der Moderne die Bühne und erzählt
vom Widerstreit zwischen k .u. k.-Konservatismus und den
reformerischen Kräften jener Zeit.
„Genies sind im österreichischen Lehrplan nicht vorgesehen!“ Das war
die Replik aus dem Unterrichtsministerium, als Eugenie Schwarzwald
wortreich, aber vergeblich gegen die behördliche Entfernung von Oskar
Kokoschka aus ihrer Schule ankämpfte und seine Genialität hervorhob.
Der junge verquälte und bettelarme Künstler konnte keine
Lehramtsberechtigung vorweisen und pflegte Marotten, wie Mädchen
Buntstifte in die Hand zu geben und sie nach ihrer Meinung zu fragen.
Künstlerische Betätigung wurde damals Frauen nicht zugestanden und
außerdem: Sie könne ja der Gebärfähigkeit schaden. Es ist
erstaunlich, wie sich Schwarzwald von behördlicher Beton-Mentalität
nicht abbringen ließ und ihre Ideen konsequent weiterverfolgte. Sie
betrieb in ihrem Schulgebäude mehrere Bildungseinrichtungen, in der
Volksschule etwa saßen Mädchen wie Buben in einer Klasse. Sie setzte
auf Ko-Edukation, weil diese „Mädchen klüger und Knaben gesitteter“
machen würde. Dabei wurde in Wien nicht einmal ihr in der Schweiz
erworbener akademischer Titel anerkannt. So kam es, dass sie einen
von ihr engagierten Lehrer als Schuldirektor einsetzen musste. Ein
Strohmann, denn natürlich zog sie im Hintergrund weiter die Fäden.
Von ihren Freunden wurde sie nur noch „Fraudoktor“ genannt – immer in
einem Wort geschrieben.
Legendär sind die Feste, die Eugenie Schwarzwald gemeinsam mit ihrem
Ehemann in ihrem Salon ausrichtete: Zum einen, weil absolutes
Alkoholverbot bestand, zum anderen, weil sich dort „toute Vienne“,
jedenfalls die Avantgarde der Stadt, einfand. Schwarzwald ging es
nicht um das Einsammeln von Prominenz, sondern von Talenten, die sie
miteinander vernetzte. Zu organisieren und zu helfen war ihr in die
DNA eingeschrieben. Ein inniges Verhältnis pflegte sie zu Adolf Loos,
der bei ihr unterrichtete und Inneneinrichtungen gestaltete. Er
sollte auch ihr Lebenswerk architektonisch umsetzen: ein Schulzentrum
auf dem Semmering. Eugenie Schwarzwald spielte außerdem eine Rolle,
als es zum skandalösen Prozess gegen Loos kam: Er hatte zwei acht-
bzw. zehnjährige Mädchen nackt gemalt und missbraucht. Der Architekt
verantwortete sich mit einem „sittlichen Aufnahmetest“, den er für
Schwarzwalds Schule durchgeführt habe. Eugenie war erschüttert und
wies diese Darstellung zurück, verteidigte den Pädophilen dennoch als
großen Künstler.
Das geplante große Schulzentrum am Semmering sollte nie Realität
werden, das Nazi-Regime kam dem zuvor. Der Jüdin Eugenie Schwarzwald
gelang – schon schwer von einer Krebserkrankung gezeichnet – die
Flucht. 1940 starb sie in Zürich.
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