- 16.02.2017, 08:29:56
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Soziale Ausgrenzung in virtuellen Realitäten hat negative soziale und emotionale Auswirkungen auf das „echte“ Leben
Wien (OTS) - Soziale Ausgrenzung in virtuellen Welten gewinnt in
Zeiten von realitätsnahen Computerspielen und der steigenden
Beliebtheit sozialer Netzwerke immer mehr gesellschaftliche
Bedeutung, wie auch zunehmend Fälle von „Cybermobbing“ zeigen.
Besonders die Auswirkungen von sozialer Ausgrenzung in der digitalen
Welt auf das Sozialverhalten in der Realität wurden bislang jedoch
wenig untersucht, am wenigsten noch unter Einbezug neuester
Entwicklungen wie den Virtuellen-Realitäts-(VR)-Brillen. Anna
Felnhofer von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde
der MedUni Wien und Oswald Kothgassner von der Abteilung für
Klinische Psychologie und der Universitätsklinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie des AKH Wien konnten nun zeigen, dass der
Ausschluss aus einer virtuellen Gruppe deutliche negative
Auswirkungen auf die Hilfsbereitschaft und die soziale Distanz in der
realen Welt hat.
Das Experiment wurde mit dem sogenannten Cyberball-Paradigma
durchgeführt, einem in die virtuelle Realität übertragenen Ballspiel,
bei dem eine Versuchsperson ohne einen für sie erkennbaren Grund von
den anderen BallspielerInnen ausgeschlossen wird. In vorangegangenen
Studien konnten Felnhofer und Kothgassner bereits zeigen, dass
Kränkungen und Ausgrenzung in virtuellen Umgebungen dieselben
Emotionen auslösen und ähnliche körperliche Reaktionen bedingen wie
in der Realität. „Wenn die Testperson vom Ballspiel ausgeschlossen
wurde bzw. zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr mitspielen
durfte, wurden die gleichen physiologischen Prozesse gestartet wie im
normalen Leben. Cortisol wurde vermehrt ausgeschüttet, der Herzschlag
wurde schneller, der oder die Betroffene war betrübt und zog sich
zurück“, erklären die StudienautorInnen.
Bedrohung der menschlichen Grundbedürfnisse
In der aktuellen Studie wurde erneut das Cyberball-Paradigma mittels
einer VR-Brille 45 jungen Erwachsenen (23 Frauen und 22 Männern)
vorgegeben. Mit der sozialen Ausgrenzung wurden die vier evolutionär
verankerten sozialen Grundbedürfnisse „soziale Kontrolle“,
„Zugehörigkeit“, „Selbstwert“ und „Daseinsberechtigung“ maßgeblich
bedroht. Und diese Bedrohung wurde auch mit ins reale Leben genommen
– und zwar umso mehr, wenn die soziale Ausgrenzung durch einen
„Avatar“ erlitten wurde, also einer virtuellen Figur, hinter der in
der Annahme des Betroffenen ein echter Mensch steckt. Leichter
ertragen wurde die Ausgrenzung durch einen sogenannten „Agenten“,
also einen Charakter, der offensichtlich computergesteuert ist. „Die
Ausgrenzung wurde bei Agenten aus Selbstschutz beispielsweise eher
einem Computerfehler zugeschrieben“, so Felnhofer.
Die persönliche „Niederlage“ im Netz kann sich, so die ForscherInnen,
ganz leicht auf die Realität übertragen, da die Emotionen dieselben
sind. „So kann es passieren, dass jemand, der Cybermobbing oder
virtuelle Ausgrenzung erfahren hat, sich im realen Leben plötzlich
zurückzieht, passiv wird und jegliche Selbstsicherheit verliert. Das
kann bis zu einer Depression oder einer Trauma-Folgestörung führen“.
Gleichzeitig verloren die in der VR ausgeschlossenen Versuchspersonen
nachfolgend ihre Bereitschaft, anderen in der Realität zu helfen oder
benötigten mehr Zeit, sich wieder auf reale soziale Interaktion
einzulassen. „Dies stellt einen Teufelskreis dar, da dieses Verhalten
die Verbindung zu einer anderen sozialen Gruppe konterkariert und
sich in weiterer Folge soziale und emotionale Probleme zu psychischen
Störungen entwickeln können“, so die StudienautorInnen.
Medienkompetenz entwickeln, Interesse zeigen, Gefahren besprechen
Daher ist es wichtig, Medienkompetenz für virtuelle Welten zu
entwickeln – sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei deren
Eltern und LehrerInnen. „Soziale Medien und Computerspiele sind per
se nichts Böses, und dass sich Jugendliche in virtuellen Welten
bewegen, ist ohnehin nicht zu verhindern“, sagt Kothgassner, „aber es
gibt dort dieselben Gefahren wie zum Beispiel auch auf dem Schulweg.“
Diese müssten bereits vorher besprochen und ernst genommen werden –
nur dann könne man die sozialen Effekte aus dem Netz in der Realität
verhindern oder abfedern.
Diese sozialen Effekte spürt übrigens jeder – es kommt nur darauf an,
wie lange und wie sehr man sich auf die virtuelle Welt einlässt: „Die
einen spüren es bereits nach fünf Minuten, die anderen brauchen fünf
Stunden.“ Und sie müssen nicht ausschließlich negativ sein: Auch
virtuelle soziale Erfolge spiegeln sich im wahren Leben wider und
können für ein erhöhtes Selbstbewusstsein sorgen.
Service: Computers in Human Behavior
„Real-life prosocial behavior decreases after being socially excluded
by avatars, not agents.“ Kothgassner, O.D., Wayan, K., Griesinger,
M., Kettner, K., Hlavacs, H., Beutl, L., Völkl-Kernstock, S., &
Felnhofer, A. Computers in Human Behavior, Jan. 2017.
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0747563216308883.
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