- 24.01.2017, 19:13:51
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Parteien einig: Neue Verwaltungsgerichtsbarkeit ist Erfolgsgeschichte
Verfassungsausschuss befasst sich mit Arbeit der Verwaltungsgerichte und der Höchstgerichte
Utl.: Verfassungsausschuss befasst sich mit Arbeit der
Verwaltungsgerichte und der Höchstgerichte =
Wien (PK) - Anfang 2014 trat das neue System der
Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich in Kraft. Die Unabhängigen
Verwaltungssenate (UVS), der Unabhängige Finanzsenat, das
Bundesvergabeamt und Dutzende weitere weisungsfreie Sonderbehörden
wurden durch neun Verwaltungsgerichte der Länder und zwei
Verwaltungsgerichte des Bundes - das Bundesverwaltungsgericht und das
Bundesfinanzgericht - ersetzt. Drei Jahre danach ziehen sowohl
Kanzleramtsminister Thomas Drozda als auch sämtliche
Parlamentsparteien eine positive Bilanz.
Die Reform sei eine "Erfolgsgeschichte", waren sich die Fraktionen
heute im Verfassungsausschuss des Nationalrats einig. Die Akzeptanz
der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte ist hoch, laut Rudolf
Thienel, Präsident des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), werden mehr
als 90% der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht
angefochten. Ähnliches gilt auch für die Verwaltungsgerichte der
Länder. Einen gewissen Nachholbedarf sieht der Justizsprecher der
Grünen Albert Steinhauser bei der Sicherstellung der Unabhängigkeit
der neuen Verwaltungsgerichte, sowohl der Leiter des
Bundesverwaltungsgerichts Harald Perl als auch Kanzleramtsminister
Drozda wiesen jedoch kolportierte Interventionen bei der jüngsten
Besetzung von 40 Richterstellen mit Nachdruck zurück.
Zur Diskussion im Ausschuss standen auch die Tätigkeitsberichte des
Verfassungsgerichtshofs (VfGH) und des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH)
2014 und 2015, wobei laut VfGH-Vizepräsidentin Brigitte Bierlein das
2015 eingeführte Instrument der Gesetzesbeschwerde zwar häufiger in
Anspruch genommen wird als ursprünglich erwartet, entsprechende
Parteianträge auf Normenkontrolle bisher aber nur in sehr wenigen
Fällen erfolgreich waren. Nach wie vor stark belastet sind beide
Höchstgerichte mit Asylbeschwerden.
Großes Lob für neue Verwaltungsgerichtsbarkeit
Ausschussvorsitzender Peter Wittmann (S) erinnerte daran, dass mit
der Einführung der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit 120 Behörden
aufgelöst wurden. Seiner Meinung nach hätte sich "die größte
Verwaltungsreform seit 1929" ein breiteres Echo in der Öffentlichkeit
verdient. Abgeordneter Johann Singer (V) hob aus der Sicht eines
Bürgermeisters insbesondere die rasche und praxistaugliche Abwicklung
von Verfahren hervor. Für ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl ist
die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein gutes Beispiel dafür,
dass Reformen bei entsprechendem Wollen möglich sind. Großes Lob kam
auch von Seiten der Opposition, durch das neue System habe man
europäische Rechtsschutzstandards in der Verwaltung sichergestellt,
sagte etwa Harald Stefan (F).
Noch nicht ganz zufrieden sind Albert Steinhauser (G) und Nikolaus
Scherak (N) mit der Sicherstellung der Unabhängigkeit der
Verwaltungsgerichte und der Durchlässigkeit zwischen ordentlicher
Gerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Steinhauser
kritisierte insbesondere die jüngste Bestellung dreier ehemaliger
Ministersekretäre als Verwaltungsrichter und meinte, eine solche
Vorgangsweise wäre in der Justiz undenkbar. Auch Scherak sieht -
unabhängig von der Qualifikation der Betroffenen - eine äußerst
schiefe Optik.
28.000 Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht
Die Zahl der neu anhängigen Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht
ist laut Perl sukzessive gestiegen, und zwar von 20.000 im Jahr 2014
auf 23.000 im Jahr 2015 und 28.000 im Jahr 2016, wobei von den 28.000
76% Asylverfahren waren. Diese werden weiter zunehmen, ist Perl
überzeugt. Um den Andrang zu bewältigen, wurde die Zahl der
Planstellen deutlich aufgestockt. Das Bundesverwaltungsgericht ist
mittlerweile mit 592 Planstellen, 220 davon für RichterInnen, das
größte Gericht Österreichs.
Dass weniger als 10% der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
angefochten werden, ist für VwGH-Präsident Thienel ein Zeichen für
die hohe Akzeptanz der Entscheidungen. Auch bei den
Verwaltungsgerichten der Länder ist die Revisionsquote laut Patrick
Segalla, Präsident des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich,
ähnlich gering. Ihm zufolge hat es, mit Ausnahme einiger weniger
Kompetenzkonflikte, auch so gut wie keine Umstellungsprobleme
gegeben. Die Verfahrensdauer sei mit durchschnittlich fünf Monaten
sehr niedrig. Die Verwaltungsgerichte würden einen wirksamen
Rechtschutz leisten, ist Segalla insgesamt überzeugt.
Verfahrensrecht soll in einzelnen Punkten noch verbessert werden
Was das Verfahrensrecht betrifft, sehen sowohl Segalla als auch Perl
die Notwendigkeit, noch an einzelnen Schrauben zu drehen, wiewohl sie
grundsätzlich zufrieden sind. Als ein offenes Feld sehen sie etwa die
Frage der "Präklusion", also des Verfahrensschlusses.
Kanzleramtsminister Drozda plant, in den nächsten zwei Monaten dazu
einen Gesetzentwurf vorzulegen. Langfristig kann sich Segalla auf
Basis von Erfahrungen in der Praxis auch ein neu kodifiziertes
Verfahrensrecht für die Verwaltungsgerichte vorstellen.
Unisono skeptisch äußerten sich Perl, Segalla, Thienel und Bierlein
zum Vorschlag, die Ausbildung von VerwaltungsrichterInnen an jene von
RichterInnen der ordentlichen Gerichtsbarkeit anzugleichen. Perl und
Thienel gaben zu bedenken, dass eine fünfjährige berufliche Praxis
ein Ernennungserfordernis für VerwaltungsrichterInnen sei. Man
brauche schließlich die Expertise von Personen, die aus der
Verwaltung kommen, sagte Thienel. In der ordentlichen Gerichtsbarkeit
sei das System mit dem richterlichen Vorbereitungslehrgang und der
vierjährigen Ausbildung dagegen ein anderes, so Bierlein. Segalla
machte überdies geltend, dass VerwaltungsrichterInnen - im Gegensatz
zu RichterInnen - von Anfang an in der Rechtsmittelinstanz tätig
sind. Es gebe aber gemeinsame Fortbildungsangebote, auch an einem
einheitlichen richterlichen Berufsbild werde gearbeitet.
Detailliert ging Perl auf die im Herbst erfolgte Bestellung von 40
neuen RichterInnen des Bundesverwaltungsgerichts ein und bekräftigte,
dass die Entscheidung wie üblich im Personalsenat des Gerichts -
einem siebenköpfigen, von der Vollversammlung gewählten
Richtergremium - getroffen worden sei. Man habe dabei ausschließlich
nach Qualifikation entschieden. Verteidigt wurden von ihm auch die
Kreuzreihungen bei den Dreier-Vorschlägen, diese seien üblich, um
sicherzustellen, dass letztlich die bestgeeigneten BewerberInnen
ausgewählt werden. Jemanden nicht zu nehmen, nur weil er einmal in
einem Ministerbüro oder sonst irgendwo gearbeitet habe, wäre unfair.
Bei ihm habe jedenfalls niemand interveniert, versicherte Perl. Auch
Drozda stellte jegliche Intervention von seiner Seite oder in seinem
Auftrag in Abrede.
Gesetzesbeschwerde ist beliebt, aber wenig erfolgreich
Die so genannte Gesetzesbeschwerde und die Belastung sowohl des
Verfassungsgerichtshofs als auch des Verwaltungsgerichtshofs mit
Asylverfahren standen im Mittelpunkt der Diskussion über die
Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofs und des
Verfassungsgerichtshofs 2014 (III-221 d.B.) und 2015 (III-273 d.B.,
III-253 d.B.). Seit Anfang 2015 können sich auch Verfahrensparteien
in Gerichtsverfahren direkt an den Verfassungsgerichtshof wenden,
wenn sie Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer vom Gericht
anzuwendenden Rechtsvorschrift haben. Im ersten Jahr hat es mit 321
Parteianträge auf Normenkontrolle weit mehr gegeben als erwartet,
2016 waren es, wie VfGH-Vizepräsidentin Bierlein bekanntgab, 221. Die
Zahl der erfolgreichen Anträge sei mit sechs bisher allerdings
relativ gering gewesen. Das Instrument müsse sich erst einspielen,
einige Fragen seien auch noch nicht ausjudiziert.
Eine enorme Herausforderung sowohl für den Verfassungsgerichtshof als
auch für den Verwaltungsgerichtshof ist die hohe Zahl von
Asylverfahren. Anders als erwartet ist die Zahl der Asylbeschwerden
beim VfGH mit der Einführung der neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit
nicht zurückgegangen. Nach wie vor betreffen rund 50% der beim
Höchstgericht anhängigen Fälle Asylsachen. Das sei einzigartig in
Europa, stimmte Bierlein ÖVP-Abgeordnetem Wolfgang Gerstl zu. Der
VfGH könne damit aber umgehen und wickle Asylverfahren grundsätzlich
sehr schnell ab. Überlegungen, eine bestimmte Rechtsmaterie von der
Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs auszunehmen, hält Bierlein
für nicht unsensibel und nicht ungefährlich.
Dass die Höchstgerichte extrem belastet sind, liegt laut VwGH-
Präsident Thienel auch daran, dass auch jene Flüchtlinge, die nicht
zum Asylverfahren zugelassen werden, die Entscheidung der Behörden
anfechten können. Damit spiele die angedachte Obergrenze für den
Verwaltungsgerichtshof keine Rolle. Zudem hat die Verschlechterung
des Status für subsidiär Schutzberechtigte dazu geführt, dass sich
Personen, die subsidiären Schutz erhalten haben, bemühen, Asylstatus
zu erhalten. VwGH-Präsident Thienel äußerte allerdings Verständnis
für die Ausschöpfung des Instanzenzugs durch AsylwerberInnen.
Schließlich stehe für die Betroffenen viel auf dem Spiel. Derzeit ist
die Arbeit für den Verwaltungsgerichtshof laut Thienel noch
bewältigbar - Asylverfahren werden durchschnittlich in weniger als
zwei Monaten durchgeführt -, bei anhaltender Tendenz könnte es aber
2018 ohne Aufstockung des richterlichen und nicht-richterlichen
Personals eng werden.
Verwaltungsgerichtshof hat Aktenrückstand erfolgreich abgebaut
Zuletzt ist es dem Verwaltungsgerichtshof jedenfalls gelungen, den
Aktenrückstand sukzessive abzubauen und die durchschnittliche
Verfahrensdauer deutlich auf 6,9 Monate zu verkürzen. Grund dafür ist
insbesondere die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die eine
spürbare Entlastung des Verwaltungsgerichtshofs zur Folge hatte.
Durch die Einführung der Verwaltungsgerichte erster Instanz könne
sich der VwGH auf die Rolle als Höchstgericht konzentrieren, hob
Thienel hervor. Laut aktuellen Zahlen waren Ende 2016 lediglich 2.100
Verfahren offen, bei einer jährlichen Erledigung von rund 5.500
Fällen. Durch die weiter steigenden Asylverfahren könnte sich der
Trend allerdings wieder umkehren, fürchtet Thienel. Die FPÖ werde
eine Personalaufstockung jedenfalls unterstützen, betonte
Abgeordneter Harald Stefan.
Ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs zur Rückschiebung von
Flüchtlingen nach Ungarn sprach Team-Stronach-Abgeordneter Christoph
Hagen an. Es sei "purer Unfug", dass der Verwaltungsgerichtshof die
Abschiebung von Flüchtlingen nach Ungarn gemäß Dublin-Verfahren
gestoppt habe, sagte Thienel dazu. Man habe vielmehr die Behörden
angehalten, bei ihren Entscheidungen nicht auf eineinhalb Jahre alte
Berichte zurückzugreifen, sondern sich aktuelle Informationen zu
beschaffen.
Beim Verfassungsgerichtshof betrug die durchschnittliche
Verfahrensdauer 2016 laut Bierlein weniger als vier Monate, und das,
obwohl die Anfechtung der Bundespräsidenten-Stichwahl eine besondere
Herausforderung für den VfGH war. Sie ist zuversichtlich, diesen Wert
beibehalten zu können. Allerdings wäre eine Aufstockung der
juristischen MitarbeiterInnen eine große Hilfe, meinte sie. Nicht
rütteln will Bierlein daran, dass ein Teil der
VerfassungsrichterInnen neben der Richterfunktion einen Beruf ausübt.
Das Mischsystem habe sich gut bewährt, hielt sie NEOS-Abgeordnetem
Nikolaus Scherak entgegen.
Bestellung des neuen VfGH-Präsidenten: Drozda sichert Transparenz zu
Kanzleramtsminister Drozda ging auf die Forderung von Scherak und
Albert Steinhauser (G) ein, die Bestellung des neuen Präsidenten des
Verfassungsgerichtshofs transparent zu gestalten. Die Regierung werde
ausführlich über die Beweggründe der Entscheidung informieren,
versicherte er. Ob ein Hearing abgehalten wird, ist noch offen. Was
das Informationsfreiheitsgesetz betrifft, zeigte sich Drozda "guter
Hoffnung", in den nächsten Wochen zu einem Abschluss zu kommen.
Insgesamt gingen beim Verfassungsgerichtshof 2015 laut
Tätigkeitsbericht 679 Anträge auf Gesetzesprüfung ein, was einer
Steigerung gegenüber 2014 (256) von 265% entspricht.
27 von 84 geprüften Gesetzesnormen wurden aufgehoben. Alles in allem
hat der VfGH 3.488 Verfahren abgeschlossen, in lediglich 8% der Fälle
war die Beschwerde erfolgreich. 10 Entscheidungen traf das
Höchstgericht in seiner neuen Rolle als Streitschlichter in Sachen
Untersuchungsausschuss.
Deutlich höher ist die Erfolgsquote beim Verwaltungsgerichtshof. Er
hat 2015 5.393 Verfahren abgewickelt und in 1.255 Fällen der
Beschwerde stattgegeben, angefochtene Bescheide also aufgehoben bzw.
abgeändert. Alle drei vorliegenden Berichte wurden von den
Abgeordneten einstimmig zur Kenntnis genommen. (Schluss
Verfassungsausschuss) gs
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