Wien (OTS) - Der Artikel „Depesche aus Ösien – Die Integrationsfalle
oder der größte Irrtum der europäischen Geschichte“, erschienen am
20.08.2016 im Magazin „Wirtschaft Spezial“, einer Beilage zum Magazin
„NEWS“, verstößt laut Senat 2 des Presserats gegen den Ehrenkodex für
die österreichische Presse.
Der Artikel enthält die folgende Passage: „Der größte Irrtum der
europäischen Geschichte wird es in der Nachbetrachtung einmal gewesen
sein, geglaubt zu haben, die muslimischen Zuwanderer wären auf den
alten Kontinent gekommen, um sich in das reiche, opulente, vielleicht
über dem Zenit stehende Europa zu integrieren und uns ihre Kinder zu
schenken. Sie kamen, um die saturierten, schwachen, vor lauter
Intellekt wehrlosen Europäer zu integrieren und sich unsere Kinder zu
nehmen. Sie zeigen nicht das geringste Interesse für unsere
historischen und technischen Errungenschaften von der Aufklärung bis
zur Hochtechnologie; sie kennen keinen Respekt vor unserer Kultur
oder unserer sozialen Entwicklung. Sie empfinden nicht die geringste
Sympathie für unseren Lebensstil und haben keinerlei Leidenschaft für
unsere hart erkämpfte Vorstellung von Freiheit. Das ist kein
Vorurteil, kein Verdacht, sondern schlichte Empirie: Sehr viele von
ihnen lassen ihre eigene, aus unserer Perspektive oft sozial,
technologisch und kulturell rückständige Welt nicht etwa erleichtert
zurück; nein, sie sind geradezu wütend erpicht darauf, ihre Form von
Kultur von der Kleidung über die Küche bis zum Ehrenmord an den
weiblichen Familienangehörigen und zur Blutfehde mit Andersdenkenden
in Mitteleuropa fortzusetzen. Sie wollen bei uns leben, wie sie in
ihrer alten Heimat gelebt haben, nur materiell besser. Und wenn man
den Berichten über die öffentliche Unterstützung vielköpfiger
Familien glauben darf, dann gelingt das vielen von ihnen ganz
hervorragend.“
Der mitteilende Leser ist der Ansicht, dass diese Passage eine
Vielzahl von unhaltbaren Pauschalurteilen enthalte. Der Autor des
Beitrags hat dem Leser direkt eine Stellungnahme übermittelt, in der
er seine Position verteidigt. Europa stehe der Migrationswelle ohne
wirkungsvolle Antworten gegenüber. Weder die Integration noch die
Sicherung der Außengrenzen funktioniere. Auch wenn es einige positive
Integrationsbeispiele gebe, interessiere sich der Großteil der
Zugewanderten lediglich für das Sozialsystem, nicht aber für unsere
Kultur. Die Medieninhaberin verweist auf die Stellungnahme des
Autors, sie gehe nicht von einem Ethikverstoß aus.
Der Senat weist darauf hin, dass die Meinungsfreiheit bei Kommentaren
besonders weit reicht. In Kommentaren können auch Meinungen
vertreten werden, die nicht von allen geteilt werden oder sogar
verstören und schockieren. Dennoch kann es auch in einem Kommentar
vorkommen, dass die ethischen Vorgaben des Ehrenkodex missachtet
werden.
Im vorliegenden Beitrag wird die Flüchtlingskrise behandelt – ein
Thema, das von besonderem öffentlichem Interesse ist. Die Meinungen
zu diesem Thema gehen in der Gesellschaft weit auseinander. Nach
Auffassung des Senats ist es legitim, dieses Thema auch kritisch zu
beleuchten und vorhandene bzw. zukünftige Probleme aufzuzeigen.
Ungeachtet dessen bewertet der Senat mehrere Aussagen des Beitrags
als unzulässige Pauschalverunglimpfung und Diskriminierung iSd.
Punktes 7 des Ehrenkodex. Der pauschalierende Charakter dieser
Aussagen ist nach Auffassung des Senats evident.
Besonders problematisch empfindet der Senat jene Ausführungen, wonach
die muslimischen Zuwanderer nicht gekommen wären, um sich zu
integrieren und uns ihre Kinder zu schenken, sondern vielmehr
deshalb, um die Europäer zu integrieren und ihnen ihre Kinder zu
nehmen. Dies schürt Vorurteile und Ängste.
Ein weiteres Negativbeispiel ist die Äußerung, dass sehr viele
Zuwanderer „geradezu wütend erpicht darauf seien, ihre Form von
Kultur von der Kleidung über die Küche bis zum Ehrenmord an den
weiblichen Familienangehörigen und zur Blutfehde mit Andersdenkenden
in Mitteleuropa fortzusetzen.“ Problematisch sind für den Senat auch
die Aussagen, dass muslimische Zuwanderer nicht das geringste
Interesse für die Ideen der Aufklärung und für Hochtechnologie
zeigten und auch nicht die geringste Sympathie für den westlichen
Lebensstil hätten.
Aus der Sicht des Senats ist entscheidend, dass der Verfasser des
Beitrags ohne zu differenzieren allen muslimischen Zuwanderern sehr
negative Haltungen und Eigenschaften bis hin zu Ehrenmord und
Blutfehde zuschreibt. Der Verfasser erweckt bei den Lesern den
Eindruck, dass diese Zuwanderer durch die Bank rückständig,
respektlos und integrationsunwillig wären.
Der Hinweis des Autors, dass es sich bei seinen Einschätzungen nicht
um Vorurteile oder einen bloßen Verdacht handle, sondern dass sie
„schlichte Empirie“ seien, verstärkt die Diskriminierungen noch. Der
Autor versucht damit nämlich, seine subjektiven Eindrücke und
Pauschalierungen als Fakten darzustellen.
Der Senat fordert die „Verlagsgruppe NEWS Ges.m.b.H“ auf, die
vorliegende Entscheidung freiwillig zu veröffentlichen.
Selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung eines Lesers
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen
Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und
Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des
Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führt der Senat 2 des Presserats aufgrund einer
Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren
aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat
seine Meinung, ob ein Artikel den Grundsätzen der Medienethik
entspricht. Die Medieninhaberin des Magazins „Wirtschaft Spezial“ hat
von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberin des Magazins „NEWS“ hat sich der
Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats unterworfen.
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