- 21.07.2016, 13:02:50
- /
- OTS0110 OTW0110
Bettelnde Notreisende in Vorarlberg
Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der FH Vorarlberg präsentiert
Utl.: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der FH Vorarlberg
präsentiert =
Bregenz (OTS) - (VLK) – Im Auftrag des Landes Vorarlberg wurde an
der FH Vorarlberg eine Studie zum Thema "Bettelnde Notreisende in
Vorarlberg" erstellt. "Es war uns wichtig, mehr über jene Menschen zu
erfahren, die sich zum Betteln Vorarlberg als Destination aussuchen.
Erst dann können wir geeignete Maßnahmen erarbeiten", sagte
Landesrätin Katharina Wiesflecker bei der heutigen (Donnerstag, 21.
Juli) Präsentation der Ergebnisse im Landhaus.
Die Studie wurde von Erika Geser-Engleitner von der FH Vorarlberg
erstellt. Im Zentrum der quantitativen und qualitativen Erhebung
standen zwei Fragen:
- Wie viele Personen bettelten im Untersuchungszeitraum in
Vorarlberg?
- Welcher Gestalt ist die Lebenswelt der Menschen, die in Vorarlberg
betteln?
Die Erhebung wurde in zwei Phasen (Februar/März 2016; Mai 2016)
durchgeführt. Alle drei bis vier Tage wurden in Vorarlberger
Gemeinden und Städten bettelnde Menschen quantitativ erfasst. Bei den
Begehungen wurden der Ort, das Geschlecht, das ungefähre Alter, die
Tätigkeit u.a. festgehalten. Um einen besseren Zugang zu den
bettelnden Personen zu erhalten, haben zwei Roma-Angehörige die
Befragung durchgeführt.
Zentrale Ergebnisse
- Im Erhebungszeitraum wurden in Vorarlberg ausschließlich bettelnde
Menschen mit rumänischer Staatsbürgerschaft angetroffen, die sich
selber als "Zigeuner, Roma" bezeichneten.
- Rund 200 Personen sind in Vorarlberg bettelnd unterwegs,
überwiegend organisiert in Großfamilien.
- "Hot-Spots" sind die Städte Feldkirch, Bregenz und Dornbirn.
- Das Bahnhofsareal Dornbirn wurde im Erhebungszeitraum von den
Notreisenden als Checkpoint genutzt. Im ersten Erhebungszeitraum
versammelten sich dort täglich ca. 70 Notreisende, im zweiten bis zu
20 Notreisende.
- Ca. die Hälfte aller anwesenden Notreisenden betteln zur gleichen
Zeit, während die andere Hälfte etwas anderes tut.
- Der Frauenanteil (50,8 Prozent) ist höher als der Männeranteil
(40,4 Prozent). Der Anteil der bettelnden Kinder betrug 8,8 Prozent.
- Fast zwei Drittel der Befragten gaben an, nie eingeschult worden zu
sein. Diejenigen, die eine Schule besucht hatten, taten dies zwei bis
acht Jahre lang. Besonders ausgeprägt ist das Fehlen jeglicher
Schulbildung bei den Frauen.
- Der überwiegende Teil wurde von den eigenen Eltern in einem Alter
zwischen 13 und 19 Jahren (im Mittel 16 Jahre) verheiratet. Das
Mitspracherecht bei der Wahl des Ehepartners/der Ehepartnerin war
bescheiden bzw. nicht vorhanden.
- Die Befragten haben ein bis elf Kinder (durchschnittlich vier). Die
Einschulungsrate der Kinder beträgt 79 Prozent. Die Gründe, warum
ihre Kinder nicht in die Schule gingen oder diese nur kurz besuchten,
sind sehr ähnlich wie die der Eltern.
- Von der Hälfte der 16 Befragten ist ein Teil der Kinder in
Vorarlberg und ein Teil in Rumänien oder in einem anderen Land. Von
sechs Befragten sind alle Kinder in Rumänien oder einem anderen Land
als Österreich, während in zwei Fällen alle Kinder in Vorarlberg
sind.
- Die berufliche Situation und die Einkommenssituation der Befragten
in Rumänien werden als extrem schlecht beschrieben.
- Ein wesentlicher Faktor nach Vorarlberg zu kommen war die
Hoffnung/Erwartung, leichter als in Rumänien Arbeit zu finden und
bessere Verdienstmöglichkeiten anzutreffen. Bisheriger Aufenthaltsort
war Italien. Wegen der dort verschlechterten Situation -
Wirtschaftskrise und Konkurrenz am (illegalen) Arbeitsmarkt durch
Migranten aus Afrika – sind die befragten Personen nach Vorarlberg
gekommen.
- Der Gelderwerb in Vorarlberg erfolgt durch Betteln,
Zeitungsverkauf, Gelegenheitsarbeit und ganz vereinzelt mittels
Straßenkunst. Typisch ist die Kombination Zeitungsverkauf und
Betteln. Mitversorgt werden damit auch Familienmitglieder in
Rumänien. Pro Tag und Person sind in Vorarlberg zwischen zehn und 30
Euro zu erbetteln.
- Nahezu alle Befragten berichten von Erlebnissen mit der Polizei in
Form von Kontrollen und Strafen.
- 75 Prozent der Befragten gaben an, derzeit keine
Krankenversicherung für die Familie und sich selbst zu haben. Die
Mehrheit der Befragten hat mehrere akute oder chronische
Gesundheitsprobleme.
- Sieben von 16 Notreisenden wollen in Vorarlberg bleiben. Wobei der
geplante Verbleib weniger von Wunschvorstelllungen geleitet ist,
sondern von fehlenden Alternativen.
Fazit
Landesrätin Wiesflecker sieht in den Ergebnissen wichtige
Erkenntnise für die Zukunft: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass
bettelnde Menschen zu uns nach Vorarlberg kommen und wir einen Umgang
damit finden. Das Phänomen der Armutsmigration zu akzeptieren und die
Lebensrealitäten der betroffenen Menschen zu kennen, fördert eine
konstruktive Auseinandersetzung". Zudem sind Initiativen sowohl in
Vorarlberg als auch im Herkunftsland, notwendig, so die Landesrätin.
Die Arbeit der beiden Sozialarbeiterinnen ist dabei wesentlich: "Sie
leisten wichtige Kommunikations- und Vernetzungsarbeit zwischen den
bettelnden Notreisen, der Exekutive und der Mehrheitsgesellschaft".
Gemeinsames Ziel ist es, Kindern in Rumänien eine durchgängige
Schulbildung zukommen zu lassen, um Vererbung von Armut zu
durchbrechen.
Zwischen Land und Städten vereinbart ist, dass es im kommenden
Winter wieder zwei Notschlafstellen geben wird, eine im Oberland und
eine im Unterland. In Kooperation mit den Städten werden Standorte
gesucht.
In Zusammenarbeit mit Concordia Rumänien plant das Land Vorarlberg
eine Kooperation die direkt in den Gebieten der
Notreisenden-Familien, die in Vorarlberg sind, ansetzt. Die geplante
Kooperation basiert auf Daten von Concordia Rumänien sowie auf
Erkenntnissen aus der Studie der FH Dornbirn. Ziel ist es vor allem
den Kindern und über diese den Familien in der Region Perspektiven zu
bieten.
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NVL