• 29.04.2016, 22:00:01
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Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 30. April; Leitartikel von Alois Vahrner: "Kein Stein bleibt auf dem anderen"

Innsbruck (OTS) - Spätestens seit dem Erdbeben bei der
Bundespräsidentenwahl letzten Sonntag ist klar, dass Österreichs
Politiksystem massiv durchgeschüttelt und neu aufgestellt wird.
Rot-Schwarz taumelt dem Ende entgegen.

Auch sechs Tage nach der Präsidentenwahl, die einen Erdrutschsieg
für den blauen Kandidaten Norbert Hofer sowie verheerende Schlappen
für SPÖ und ÖVP gebracht hat, reiben sich wohl noch viele im Land
ungläubig die Augen.
Das war nicht nur eine Protestwahl, es war letztlich die Abwahl
des rot-schwarzen Machtsystems, das mit über 22 Prozent selbst
zusammen um die Hälfte weniger Stimmen bekam als Hofer allein. Sowohl
SPÖ als auch ÖVP sind noch immer im Schockzustand. Bei den Roten tobt
nach dem Wahldesaster, bei dem man selbst im „roten“ Wien zur
Bedeutungslosigkeit abgewatscht wurde, eine heftige Debatte über
Inhalte und Personen. Etliche wollen gerade auch in der
Ausländerpolitik weiter nach links, dabei sind weite Teile der
Wählerschaft längst in der anderen Richtung, bei der FPÖ. Zusammen
mit der ebenfalls in den Seilen hängenden ÖVP wurde ein „Neustart“
der Koalition ausgerufen: nicht mehr öffentlich streiten, endlich
mutig reformieren. Um das zu glauben, muss man schon grenzenloser
Optimist sein. Obwohl sich Kanzler Faymann und Wiens Bürgermeister
Michael Häupl darin einig sind. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich
Rot-Schwarz kraftlos seinem Ende zutreiben lässt.
Bundeskanzler Faymann, auf den SPÖ-untypisch das Dauerfeuer
eröffnet wurde, ist wohl ein Parteichef mit Ablaufdatum – von Gnaden
und bis auf Widerruf des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl, der in
einem schräg anmutenden TV-Interview den Paten Faymanns gab.
Botschaft: Die Personaldiskussion sei zu beenden.
In der ÖVP, sonst absolute Spezialistin für das Abmontieren ihrer
Parteichefs, ist es diesbezüglich überraschend ruhig. Dort wird eher
über die Ausweglosigkeit lamentiert, entweder Juniorpartner der SPÖ
oder künftig einer erstarkten FPÖ spielen zu können. Ein Wechsel zum
erklärten Hoffnungsträger Sebastian Kurz kommt wohl nur relativ kurz
vor einer Neuwahl in Frage.
Und die beiden Präsidentschaftskandidaten Hofer und Alexander Van
der Bellen? Diese kommen abseits der im Umfeld hochschaukelnden
Emotionen und einiger Wahlkampf-Attacken persönlich offenbar gar
nicht schlecht miteinander zurecht. Und haben, etwa beim TTIP-Nein,
sogar Gemeinsamkeiten. Es wird sicher noch heißer werden, man wird
sich auch voneinander noch stärker abgrenzen. Gewinnen können aber
beide nur, wenn sie die Mehrheit der Gesellschaft nicht verprellen –
sowohl Van der Bellen in der Flüchtlingsfrage (da gibt es eine klare
Mehrheit für Obergrenzen) wie auch Hofer bei der Frage eines sicher
nicht mehrheitsfähigen EU-Austritts. Sich gegenseitig Links- oder
Rechtsextremismus vorzuwerfen, ist sicher zu wenig.

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