Verfassungsausschuss schließt Beratungen über Volksbegehren ab
Utl.: Verfassungsausschuss schließt Beratungen über Volksbegehren ab =
Wien (PK) - Der Verfassungsausschuss des Nationalrats hat seine
Beratungen über das EU-Austritts-Volksbegehren ohne konkrete
Empfehlung abgeschlossen. Zwar stieß die massive Kritik der
InitiatorInnen des Volksbegehrens an der EU zum Teil auf offene
Ohren, der Forderung nach einem EU-Austritt wollte sich aber kein
Abgeordneter bzw. keine Abgeordnete dezidiert anschließen. Es sei
besser, bestehende Probleme gemeinsam mit den anderen EU-Staaten zu
lösen, als sich mit einem Austritt aus der Union zu isolieren, meinte
etwa SPÖ-Abgeordnete Christine Muttonen stellvertretend für
zahlreiche ähnliche Wortmeldungen. Die FPÖ will in der morgigen
Plenarsitzung einen Antrag auf Abhaltung einer Volksbefragung
einbringen, das Volksbegehren selbst zielt auf die Durchführung einer
Volksabstimmung ab.
Wohlmeyer sieht Gefahr eines Atomkriegs in Europa
Heute kamen im Ausschuss, ergänzend zum Expertenhearing im Dezember
(siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1381/2015) noch zwei von den
VertreterInnen des Volksbegehrens nominierte Experten zu Wort, die
beide einem EU-Austritt Österreichs das Wort redeten. So zeigte sich
etwa der Ökonom Heinrich Wohlmeyer davon überzeugt, dass es
Österreich zahlreiche Vorteile brächte, würde das Land der EU den
Rücken kehren. Konkret nannte er etwa mehr Spielräume in der
Handelspolitik und damit bei der Sicherung von Arbeitsplätzen.
Derzeit habe Österreich diesen Bereich vollständig an die EU
abgegeben und daher keine Möglichkeiten, Allianzen für faire
Handelsbedingungen zu schmieden, die das Land wettbewerbsfähig
erhalten, kritisierte er. Durch die Agrarpolitik der EU droht ihm
zufolge außerdem die Liquidation der vielfältig wirtschaftenden
Klein- und Mittelbetriebe, was die Ernährungssicherheit in
Krisenfällen gefährde.
Wohlmeyer warnte überdies vor der Gefahr eines Atomkriegs in Europa.
Die EU beteilige sich aktiv an den von den USA betriebenen
Eskalationen gegenüber Russland, was ein hohes Risiko eines
militärischen Befreiungsschlags Russlands berge, mahnte er.
Österreich tue es in diesem Zusammenhang nicht gut, dass es seine
Neutralität "de facto weggelegt hat". Wohlmeyer hält die EU auch
nicht für reformierbar, schließlich seien alle "Fehlkonstruktionen"
mit Verfassungsrang ausgestattet.
Schachtschneider: Wirtschaft Österreichs würde nach EU-Austritt
aufblühen
Ähnlich heftig fiel die Kritik an der EU durch den deutschen
Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider aus. Der Binnenmarkt
und die Währungsunion seien gescheitert, die EU-Mitgliedschaft bringe
Österreich viel mehr Nachteile als Vorteile, ist er sich sicher und
machte dies unter anderem an der hohen Arbeitslosigkeit durch
Produktionsverlagerungen und sinkenden Einkommen breiter
Bevölkerungsschichten trotz Wirtschaftswachstums fest. Der Euro und
die lockere Geldpolitik der EZB hätten die Probleme zudem noch
verschärft, dazu kämen fragwürdige Entscheidungen des Europäischen
Gerichtshofs.
Schachtschneider ist überzeugt, dass die österreichische Wirtschaft
nach einem EU-Austritt aufblühen würde. Gefahr für den Handel und die
Exportwirtschaft sieht er nicht, diese seien durch internationale
Handelsabkommen gesichert. Auch eine eigene, moderat aufgewertete
Währung würde Österreich seiner Einschätzung nach keineswegs schaden.
Mit der Einführung einer gemeinsamen Währung habe man einen
europäischen Bundesstaat erzwingen wollen, dadurch habe man aber den
langjährigen Vertrauensaufbau zwischen den EU-Ländern zerstört, übte
auch der Ökonom Wohlmeyer Kritik am Euro.
Ein EU-Austritt hätte laut Schachtschneider darüber hinaus den
Vorteil, dass die österreichische Bevölkerung ihre Souveränität
wieder frei ausüben könnte. Österreich könnte wieder demokratisch,
rechtstaatlich und sozial werden, meinte er. Derzeit gehe das Recht
weitgehend nicht mehr vom Volk aus. Das Subsidiaritätsprinzip werde
von der EU nicht berücksichtigt. Wenn es politisch opportun sei,
pflege die Union überdies Gesetze zu missachten, kritisierte
Schachtschneider. Sowohl er als auch Wohlmeyer glauben darüber
hinaus, dass Österreich die derzeit unkontrollierte Massenzuwanderung
außerhalb der EU leichter in den Griff bekommen würde.
InitiatorInnen des Volksbegehrens pochen auf Volksabstimmung
Anders als beim Expertenhearing im Dezember blieben die
ProponentInnen des Volksbegehrens heute bis zum Schluss der Debatte
anwesend. Inge Rauscher, Bevollmächtigte des Volksbegehrens, warf der
EU in Anlehnung an die Stellungnahme Wohlmeyers gefährliche
Großmachtpolitik im Sog der USA und der NATO vor. Diese Politik habe
die Flüchtlingsströme mitausgelöst, ist sie überzeugt. Für
"volkswirtschaftlich verheerend" hält Rauscher außerdem die Urteile
des Europäischen Gerichtshofs, bei einem Austritt aus der EU würde
die heimische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig werden. Zudem könne
Österreich wieder eine eigene Währung "anstelle des desaströsen Euro"
einführen. Generell machte Rauscher auf die mehr als 260.000
Unterstützungserklärungen für das Volksbegehren aufmerksam, die trotz
eines von ihr georteten Informationsboykotts der Medien erreicht
werden konnten.
Sowohl Rauscher als auch ihr Stellvertreter Helmut Schramm machten
darüber hinaus geltend, dass laut einer IMAS-Umfrage 45% der
ÖsterreicherInnen einen EU-Austritt befürworten. Schramm pochte in
diesem Sinn auf die Abhaltung einer Volksabstimmung. Die von
zahlreichen Ministerien eingeholten Stellungnahmen haben den
Mitinitiator des Volksbegehrens nicht überzeugt. Wenn die EU-
Mitgliedschaft ein solcher Erfolg wäre wie behauptet, warum sei dann
immer weniger Geld für den Sozialstaat da und warum würden die Löhne
und Gehälter nicht im selben Ausmaß steigen wie das BIP, fragte er.
Zudem kritisierte Schramm, dass Österreich "aufgrund der
Zwangsaushöhlung der Neutralität durch die EU" auf der schwarzen
Liste des Terrors gelandet sei. Alternativ zum EU-Beitritt regt er
eine EFTA-Mitgliedschaft an.
Auch der Volksbegehrens-Proponent Markus Lechner vermisst eine
öffentliche Diskussion über die Kosten und die Nutzen der EU-
Mitgliedschaft. Seiner Einschätzung nach gleicht das im Raum stehende
zusätzliche BIP-Plus von einem halben Prozent die Nachteile der EU
nicht aus. Lechner ortet unter anderem eine materielle Aushöhlung des
Mittelstands durch die EU-Finanzpolitik. Er drängte außerdem
insgesamt auf einen Ausbau der direkten Demokratie in Österreich.
SPÖ und ÖVP für Verbleib Österreichs in der EU
Etliche Kritikpunkte der VertreterInnen des Volksbegehrens wurden
zwar von den Abgeordneten geteilt, der Forderung nach einem EU-
Austritt wollte sich aber kein Mandatar anschließen. Die EU sei bei
weitem das Beste, was Europa für Frieden und Zusammenarbeit
geschaffen habe, zeigte sich etwa SPÖ-Abgeordnete Christine Muttonen
mit Blick auf die Geschichte überzeugt. Statt sich zu isolieren,
müssten bestehende Probleme gemeinsam mit den anderen europäischen
Staaten gelöst werden. Die SPÖ sehe die EU nicht als statisches
Projekt, sondern als Prozess, den Österreich mitentwickeln müsse.
Muttonen machte überdies geltend, dass Sicherheitsfragen nur
international zu lösen seien und nationalstaatliche Umweltstandards
nichts bringen würden.
Für einen Verbleib Österreichs in der EU machten sich auch Zweiter
Nationalratspräsident Karlheinz Kopf (V) und seine Fraktionskollegin
Beatrix Karl stark. Es gebe viele Probleme in der EU, räumte Kopf
ein, so funktioniere die Solidarität in der Flüchtlingsfrage nicht,
zudem wäre es notwendig, sich stärker auf Wesentliches zu
konzentrieren, insgesamt sei der europäische Integrationsprozess aber
eine 70-jährige Erfolgsgeschichte. Die EU sei auch nicht für die hohe
Verschuldung Österreichs verantwortlich, betonte er, "daran sind wir
selber schuld". Auch den Strukturwandel in der Wirtschaft habe die EU
nicht verursacht, dieser sei ein natürlicher Prozess. Die Schweiz
stehe mit ihrer Eigenständigkeit in Summe nicht besser da als
Österreich, ist Kopf insgesamt überzeugt. Karl verwies auf zahlreiche
Studien, denen zufolge Österreich enorm vom EU-Beitritt sehr
profitiert habe.
FPÖ kündigt Antrag auf Volksbefragung an
Seitens der FPÖ kündigte Abgeordneter Harald Stefan einen Antrag
seiner Fraktion bei der morgigen Plenarsitzung auf Abhaltung einer
Volksbefragung über einen EU-Austritt Österreichs an. 261.000
Unterschriften seien aussagekräftig, die große Skepsis der
Bevölkerung gegenüber der EU angebracht, argumentierte er.
Schließlich sei diese in vielen Bereichen unfähig, Lösungen zu
finden, etwa in Bezug auf die Masseneinwanderung. Viele
Versprechungen, die den ÖsterreicherInnen vor dem EU-Beitritt gemacht
wurden, seien zudem nicht eingetroffen. Für Stefan ist es in diesem
Sinn legitim, die Bevölkerung zu fragen.
Kritisch zur EU äußerte sich auch Team-Stronach-Abgeordneter
Christoph Hagen. Viele Argumente der Volksbegehrens-BefürworterInnen
hätten seine Unterstützung, betonte er. Einem EU-Austritt Österreichs
würde er derzeit aber nicht zustimmen, zu viele Fragen seien
ungelöst. Als Beispiele nannte Hagen die notwendige Wiedereinführung
von Zöllen und Fragen des freien Kapital- und Personenverkehrs. Als
ersten Schritt hält er stattdessen eine Umsetzung der vier
Forderungen Großbritanniens für sinnvoll.
Grüne für besseren Austausch zwischen Parlament und Bevölkerung
Gegen einen Austritt Österreichs aus der EU wandten sich auch die
Grün-Abgeordneten Daniela Musiol und Wolfgang Zinggl, auch wenn sie
sich mit der Entwicklung der EU unzufrieden zeigten. Jede Form der
nationalen Abschottung könne keine Lösung sein, ist sich Zinggl
sicher, es gebe wenige Probleme, die ein einzelner Staat heute noch
alleine bewältigen könne. Bei bilateralen Verträgen ziehe meist der
Stärkere den Schwächeren über den Tisch. Statt aus der EU
auszutreten, solle sich Österreich stärker in die EU einbringen und
soziale Aspekte forcieren, schlug Zinggl vor.
Musiol hob vor allem ihr jahrelanges Engagement für die
Weiterentwicklung der direkten Demokratie in Österreich hervor.
Bisher sei allerdings keine gesetzliche Regelung zustande gekommen,
was automatische Volksabstimmungen bzw. Volksbefragungen über
qualifiziert unterstützte Volksbegehren betrifft, bedauerte sie.
Direkte Demokratie könne parlamentarische Demokratie aber nicht
ersetzen, mahnte Musiol, vielmehr müsse man einen besseren Austausch
zwischen Parlament und Bevölkerung anstreben.
Eine Volksbefragung über das Anliegen des Volksbegehrens wäre
allerdings selbst dann nicht abgehalten worden, wenn das ursprünglich
gemeinsam von den Koalitionsparteien und den Grünen geschnürte
Demokratiepaket umgesetzt worden wäre. Das Paket sah eine
automatische Volksbefragung nur bei Unterstützung eines
Volksbegehrens durch 10% der Bevölkerung vor, wie Zweiter
Nationalratspräsident Kopf hervorhob.
Kritik am Verhalten der InitiatorInnen des Volksbegehrens übte NEOS-
Abgeordneter Nikolaus Scherak. Zur politischen Diskussion gehöre es
auch dazu, sich die Argumente des Anderen anzuhören und nicht
apodiktisch die eigene Meinung für die einzig richtige zu halten,
hielt er etwa zum Auszug von Rauscher und Schramm aus der letzten
Ausschusssitzung fest. Als Abgeordneter sei er zudem überzeugt, dass
er in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat lebe, wies Scherak
gleichzeitig überschießende Kritik an der EU zurück und betonte, die
Argumente der EU-Gegner hätten ihn nicht überzeugt. Keine der sechs
Parlamentsparteien befürworte einen EU-Austritt, glaubt er. Gegen
undifferenzierte Beschimpfungen und Unterstellungen gegenüber den
Parlamentsparteien durch die InitiatorInnen des Volksbegehrens setzte
sich auch Musiol zur Wehr.
EU-Austritts-Volksbegehren erhielt 261.056 Unterschriften
Begründet wird die Forderung nach einer Volksabstimmung über einen
EU-Austritt Österreichs von den InitiatorInnen des Volksbegehrens
damit, dass so gut wie alle vor dem EU-Beitritt gemachten
Versprechungen gebrochen worden seien. Statt eines Aufschwungs sei es
in den letzten Jahren zu einer enormen Abwärtsentwicklung Österreichs
gekommen, argumentieren die UnterzeichnerInnen mit Verweis auf die
hohe Arbeitslosigkeit, die steigende Staatsverschuldung und einen
Kaufkraftverlust der breiten Masse. Auch im Bereich der Umwelt und
der Landwirtschaft sowie bei den Sozialleistungen orten sie
Verschlechterungen, zudem machen sie auf demokratische Defizite der
EU aufmerksam. Unterstützt wurde das Volksbegehren (781 d.B.) von
261.056 ÖsterreicherInnen bzw. 4,12% der Wahlberechtigten.
Über die Beratungen im Verfassungsausschuss wird nun ein Bericht
erstellt, wie Ausschussobmann Peter Wittmann erklärte. Er wird unter
anderem die Stellungnahmen aller angehörten ExpertInnen enthalten,
auch die von verschiedenen Ministerien eingeholten Stellungnahmen
werden dem Bericht angeschlossen. Das Plenum des Nationalrats wird
bereits morgen darüber diskutieren. (Schluss) gs
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