- 03.01.2016, 22:00:01
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TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: "Frau sein ist kein Programm", von Anita Heubacher
Ausgabe vom 4. Jänner 2016
Utl.: Ausgabe vom 4. Jänner 2016 =
Innsbruck (OTS) - Die Partizipation von Frauen in der Politik
stagniert. Je näher Kandidatinnen beim Wähler sind, desto weniger
trauen sie sich zu. Nach dem Biedermeier der letzten Jahre bleibt die
Hoffnung für beide Geschlechter auf eine Trendumkehr.
Seit den 1970er-Jahren stieg der Anteil der Frauen in der
österreichischen Politik auf verschiedenen Ebenen kontinuierlich,
wenn auch nicht in lichte Höhen. Seit 2000 scheint der Zenit
erreicht, Stagnation macht sich breit. Vor fünfzig Jahren waren die
Errungenschaften der Frauenpolitikerinnen brandaktuell, wurden über
Jahrzehnte wertgeschätzt, um dann mehr und mehr in Vergessenheit zu
geraten. Junge Frauen sehen sich heute nicht ob ihres Geschlechts
diskriminiert. Sie geben in Umfragen an, gleichberechtigt zu sein.
Beim genaueren Hinsehen wird aber klar, dass die „Gleichberechtigung“
ab dem ersten gemeinsamen Haushalt nach den tradierten Rollenbildern
verläuft. Wunsch und Wirklichkeit spiegelt auch eine Umfrage im
Auftrag der TT wider. Dort erklären Männer wie Frauen, dass der
Anteil von Frauen in der Gemeindepolitik oder in Führungspositionen
ohnehin steige. Eine kurze Bestandsaufnahme zeigt das Gegenteil:
Sechs Prozent der österreichischen Gemeinden haben eine
Bürgermeisterin, im EU-Schnitt sind es 14 Prozent, es gibt keine
einzige Landeshauptfrau, in Ober-österreich erdreistet sich ein alter
Landeshauptmann, eine Regierung ohne Frau zu bilden. Das war nicht
vor hundert Jahren, sondern im Herbst 2015.
Dass das überhaupt durchgeht, ist nur durch schwindendes Interesse
an Politik und den Mief des Biedermeiers zu erklären, in dem
Österreich sich seit Jahren suhlt. Parteien suchen im
unterschiedlichen Ausmaß, aber mit zunehmender Resignation Frauen,
die sich politisch beteiligen wollen. Je näher Kandidatinnen beim
Wähler sind, desto weniger trauen sie sich zu. Am niedrigsten ist
daher der Frauenanteil in den Gemeinderäten. Von den Agenden der
Kommunalpolitik, der Kinderbetreuung bis zur Altenpflege, die beide
noch in weiblicher Hand liegen, stark betroffen, lassen Frauen lieber
entscheiden, als mitzubestimmen. Schade.
Es wird nicht alles besser, nur weil mehr Frauen mitreden. Frau
sein ist kein Programm. Aber der Blickwinkel ändert sich, auch das
hat die Vergangenheit gezeigt. Vielleicht kommt der frische Wind für
Gleichberechtigung von anderer Seite. Von jungen Männern, die das
Rollenbild ihrer Altvorderen satt haben, die keine
16-Stunden-Arbeitstage, aber eine Lastenverteilung wollen und ohnehin
auf der Suche nach einem neuen Bild des Mannes sind. Vielleicht legen
sie den Hebel um. Schließlich ermöglicht der Erfolg der Frauen die
Emanzipation der Männer.
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