- 30.12.2015, 22:00:01
- /
- OTS0088 OTW0088
TIROLER TAGESZEITUNG, Ausgabe vom 31.12.2015, Leitartikel von Michael Sprenger: "Das Zögern der Männer"
Innsbruck (OTS) - Ich bin ein Bundespräsident für alle Österreicher.“
Nach der Angelobung eines jeden Bundespräsidenten gehörte bislang so
oder so ein ähnlicher Satz zur Startfloskel ins neue Amt. Das wird
nach der kommenden Wahl nicht anders sein. Auch dann nicht, wenn der
Satz aus dem Munde einer Frau kommen sollte.
Doch anders als in den früheren Wahlgängen geht es dieses Mal
darum, schon im Wahlkampf auf Unabhängigkeit zu setzen. Die frühere
OGH-Präsidentin Irmgard Griss hat sich dieses Attribut schon
zugeschrieben. Und sollte Alexander Van der Bellen antreten, und
vieles deutet darauf hin, dann wird er von Anfang an versuchen, sich
als Unabhängiger mit grün-liberaler Vergangenheit zu präsentieren.
Sein Abstand von der Tagespolitik, sein Habitus und ein
prominent-buntes Unterstützungskomitee werden dafür sorgen, dass er
den Status eines unabhängigen Kandidaten glaubwürdig vertreten kann.
Ein Unterfangen, das übrigens auch Josef Moser zugetraut werden
kann. Wer will dem amtierenden Rechnungshofpräsidenten unterstellen,
nichts anderes als ein blauer Parteigänger zu sein?
Da haben die Kandidaten von den beiden Regierungsparteien SPÖ und
ÖVP ein echtes Dilemma. Da können Spindoktoren noch so oft von
Persönlichkeitswahl und von Erfahrung reden, Erwin Pröll oder Rudolf
Hundstorfer nimmt man eine parteipolitische Unabhängigkeit nicht ab.
Das wäre an sich noch kein großes Problem. Aber mit dem
angeschlagenen Image, mit dem die beiden Regierungsparteien zu
kämpfen haben, ist es dann eins. Da können ihre Kandidaten
allenthalben nur mehr die jeweils schrumpfende Kernwählerschicht
ansprechen. Das wissen Pröll und Hundstorfer allemal.
Pröll würde trotz seiner Macht im flachen Land ein Verlust des
katholischen Flügels an Griss, des rechten CV-Flügels an Moser und im
Westen an Van der Bellen drohen. Zudem muss er damit rechnen, dass in
den sozialen Medien die Gerüchteküche angeheizt wird. Hundstorfer
weiß, dass es der SPÖ an Programmatik und an Kampagnefähigkeit fehlt.
Da droht ein regelrechtes Ausrinnen hin zu Van der Bellen, zu Griss
und auch Moser.
Bei so einer Ausgangslage ist zweierlei zu prognostizieren. Eine
wenig gewagte Vorhersage: Es wird eine Stichwahl geben. Keinesfalls
kühn scheint die zweite Prognose zu sein: Bei dieser Stichwahl wird
ein Regierungskandidat nicht mehr zur Wahl stehen – und ein
Regierungskandidat schwer angeschlagen sein.
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PTT