• 03.12.2015, 14:06:01
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Auftakt zu den Beratungen über EU-Austritt-Volksbegehren

InitiatorInnen verlassen aus Protest gegen Redezeitregelung die Sitzung des Verfassungsausschusses

Utl.: InitiatorInnen verlassen aus Protest gegen Redezeitregelung
die Sitzung des Verfassungsausschusses =

Wien (PK) - Mit einem Hearing leitete der Verfassungsausschuss heute
den parlamentarischen Verhandlungsprozess über das EU-Austritts-
Volksbegehren ein und erteilte ExpertInnen das Wort. Stefan Griller
(Universität Salzburg), Gerhard Hesse (Verfassungsdienst im
Bundeskanzleramt), Eva Lichtenberger (ehemalige Abgeordnete zum
Europäischen Parlament), Sigmar Stadlmeier und Yvonne Toncic-Sorinj
(Leiterin der EU-Grundsatzabteilung im Außenministerium) unterzogen
dabei das Thema EU-Austritt aus ihrer fachlichen Sicht einer
kritischen Bewertung. Die Bevollmächtigte des Volksbegehrens Inge
Rauscher legte Protest gegen das Procedere im Ausschuss ein und
beklagte, die Proponenten der Initiative hätte gegenüber Regierung
und Parlamentsfraktionen nicht ausreichend Möglichkeit, ihr Anliegen
zu vertreten. Sie sprach von einer "parlamentarischen Farce" und zog
gemeinsam mit ihrem Stellvertreter Helmut Schramm noch vor der
Anhörung der ExpertInnen aus dem Ausschuss aus.

In der heutigen Sitzung traf der Ausschuss noch keine endgültige
Entscheidung über das Volksbegehren. Die Abgeordneten verständigten
sich vielmehr darauf, zunächst noch schriftliche Stellungnahmen
einzuholen, und richteten entsprechende Ersuchen an das
Bundeskanzleramt, das Wirtschaftsministerium, das Finanzministerium,
das Sozialministerium, das Außenministerium, das
Verteidigungsministerium und das Landwirtschaftsministerium. Bis
spätestens 7.Februar 2016 muss der Verfassungsausschuss dem
Nationalrat über das Ergebnis seiner Verhandlungen berichten.

4,12% der Wahlberechtigten fordern Volksabstimmung über Austritt aus
der EU

Das Volksbegehren (781 d.B.), das von 261.056 ÖsterreicherInnen -
4,12% der Wahlberechtigten - unterzeichnet wurde, verlangt eine
Volksabstimmung über einen Austritt aus der EU, wobei die
InitiatorInnen vor allem das Argument vorbringen, es seien so gut wie
alle Versprechungen vor dem EU vor 20 Jahren gebrochen worden. Statt
des angekündigten Aufschwungs sei es zu einer Abwärtsbewegung
Österreich gekommen - von der Landwirtschaft über die Umwelt bis hin
zu den Bereichen Beschäftigung und Staatsverschuldung. Durch einen
Austritt aus der EU könnte weiterer Schaden abgewendet werden, lautet
die dem Volksbegehren zugrunde liegende Einschätzung.

Inge Rauscher kritisiert Hearing als "parlamentarische Farce"

In ihrem Statement vor dem Auszug aus der Sitzung bezeichnete Inge
Rauscher das Volksbegehren als zutiefst demokratische Forderung und
erinnerte an jüngste Umfragen, denen zufolge die Befürworter eines
Austritts mit 45% der Gesamtbevölkerung bereits gleichauf mit den
Austrittsgegnern liegen. Die Anliegen der Initiative seien mehr als
berechtigt, gehe es doch um nichts weniger als um die Wiedergewinnung
der Substanz eines freien, selbständigen und neutralen Österreich, um
die Umkehr von Rekordarbeitslosigkeit und Rekordstaatsverschuldung,
um den Wiederaufbau der volkswirtschaftlichen Basis, der
mittelständischen Wirtschaft und der Ernährungssouveränität durch
unsere Bauern. Angesprochen sind nach den Worten Rauschers aber auch
die Abwehr des transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP sowie eine
Neubesinnung auf die immerwährende Neutralität, die ihrer Meinung
nach mit der EU-Mitgliedschaft und der Nähe der Union zur NATO
unvereinbar sei.

Als unzumutbar und einer gelebten Demokratie unwürdig kritisierte
Rauscher die vom Verfassungsausschuss gewählte Vorgangsweise für die
Behandlung des Volksbegehrens. Die UnterstützerInnen würden gegenüber
den ExpertInnen der Parteien zu wenig Redezeit erhalten, klagte sie.
Durch die heutige Anhörung würde mehr als eine Viertelmillion
ÖsterreicherInnen mundtot gemacht und deren VertreterInnen zu
Statisten degradiert werden. Rauscher forderte die Beiziehung von
ExpertInnen des Volksbegehrens in gleicher Zahl und mit gleicher
Redezeit, wie für die von den Fraktionen nominierten ExpertInnen
vorgesehen ist, und regte dafür eine weitere Sitzung des
Verfassungsausschusses an. Das heutige Hearing sei bloß eine Farce
und eine Selbstbeweihräucherung der Fraktionen, urteilte sie und
verließ gemeinsam mit ihrem Stellvertreter Helmut Schramm aus Protest
die Sitzung.

Stefan Griller: Argumente des Volksbegehrens sind "blanker Unsinn"

Das Volksbegehren gehe von falschen oder völlig verzerrten Prämissen
aus, sämtliche von den InitiatorInnen vorgebrachten Argumente seien
"blanker Unsinn", lautete der Grundbefund von Stefan Griller. Die
makroökonomische Entwicklung werde von allen namhaften Fachleuten als
positiv beurteilt, von einem allgemeinen Abschwung könne keine Rede
sein. Österreich sei vielmehr einer der größten Profiteure der EU-
Mitgliedschaft. Griller untermauerte dies durch den Hinweis auf die
Steigerung des BIP von jährlich 0,9% und wies überdies auf die
Schaffung von 18.000 Arbeitsplätzen pro Jahr hin. Die
Arbeitslosenrate sei um 0,1% niedriger als bei einem Nicht-Beitritt,
durch den EU-Beitritt habe sich überdies das Preisniveau um 0,2%
reduziert. Als Nicht-Mitglied wäre Österreich in allen Bereichen
schlechter dran, resümierte er.

Gerhard Hesse: Volksabstimmung kein praktikables Mittel für Austritt

Gerhard Hesse hielt einen Austritt aus der EU für rein rechtlich zwar
möglich, sah dabei aber große Probleme in der Praxis. Aus
verfassungsrechtlicher und innerstaatlicher Sicht sei eine
Volksabstimmung über diese Frage jedenfalls mangelhaft, zumal Art. 50
der Bundesverfassung für eine Änderung der Vertragsgrundlage der EU
eine andere Abstimmungsmodalität - nämlich eine 2/3 Mehrheit -
vorsieht. Das Unionsrecht wiederum verfügt nach Einschätzung Hesses
über ausreichende Instrumentarien, um auf durchaus berechtigte Kritik
an der Politik Brüssels zu reagieren, betonte Hesse und wandte sich
gegen eine Institutionendebatte in der EU. Für Änderungen mangele es
am politischen Willen. Dieser könne nicht durch einen weiteren
Konvent ersetzt werden, der zudem ja auch keinerlei demokratische
Legitimation habe.

Eva Lichtenberger will auf Defizite in der EU durch demokratische
Mitwirkung reagieren

Die entscheidende Frage für Eva Lichtenberger war, wie man
Veränderungen in der EU herbeiführen und auf Defizite reagieren
könne. Sie kam dabei zu dem Schluss, dass dies nur durch eine
demokratische Mitwirkung in der Union möglich sei. Ein Blick in die
Schweiz zeige nämlich, dass ein Nicht-Mitglied sehr viele von der EU
erlassenen Gesetze autonom nachvollziehen muss. Für Österreich, das
ja ökonomisch und politisch sehr stark mit den EU-Staaten verflochten
ist, würde sich die Notwendig ergeben, seine Verbindungen zur Union
über Verträge zu gestalten. Dies wäre dann aber einem diplomatischen
Procedere unterworfen, dem es an Transparenz ebenso fehlt wie an
einer demokratischen Komponente, argumentierte Lichtenberger.

Sigmar Stadlmeier: Austritt würde zu Verlust der Mitwirkung führen

Sigmar Stadlmeier ging in seiner Einschätzung von dem Umstand aus,
dass Österreich wirtschaftlich zu 70% mit der EU verwoben ist. Ein
Austritt wäre zwar theoretisch möglich, die entsprechenden Details
müssten aber in einem Austrittsvertrag geregelt werden. Sollte es
dabei zu keiner Einigung kommen, trete eine Fallfrist von 2 Jahren in
Kraft, nach deren Auslaufen der Austritt wirksam wird. De facto hätte
Österreich also 2 Jahre Zeit, sich auf den Austritt vorzubereiten. Ob
man nun für eine EWR-Mitgliedschaft oder für ein Modell nach
Schweizer Vorbild optiert, in beiden Fällen hätte Österreich keinen
materiellen Einfluss auf die Gestaltung der Binnenmarktregeln und
wäre damit wieder beim autonomen Nachvollzug der 80er Jahre
angelangt, betonte Stadlmeier.

Yvonne Toncic-Sorinj: Bevölkerung würdigt positive Beitrittseffekte

Yvonne Toncic-Sorinj sprach ebenfalls von positiven Beitrittseffekten
und nannte dabei neben der Wirtschaft den Wohlstand und den
Modernisierungsschub in Verwaltung und Politik, hob aber auch die
neuen Chancen für Studierende im Rahmen der Vernetzung mit Europa
hervor. Die Vorteile der EU würden auch von der Bevölkerung
gewürdigt, betonte sie und wies auf Meinungsumfragen hin, denen
zufolge 67% für einen Verbleib in der EU und 42% für eine weitere
Vertiefung der Union eintreten. Während sich zum Zeitpunkt des EU-
Beitritts nur 11% der Bevölkerung als Europäer gefühlt haben, seien
es jetzt bereits 77%.

Regierungsparteien für Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in der EU

Der EU-Beitritt hat sich ausgezahlt, bestätigte in der Debatte auch
SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Bestehende Defizite der Union können
seiner Meinung nach nicht durch einen Austritt behoben werden,
vielmehr bedürfe es einer Weiterentwicklung der EU im Sinne einer
tieferen Integration vor allem in den Bereichen Rechtspolitik,
Europapolitik und Sozialpolitik. Die positive Einschätzung Schieders
teilte auch ÖVP-Mandatar Wolfgang Gerstl mit Blick auf Wirtschaft und
Arbeitsmarkt. Durch den verstärkten Austausch und den Abbau der
Grenzen befinden sich die Menschen heute in einem Raum, den sie sich
vor 30 Jahren noch nicht vorstellen konnten, fügte er an und
erinnerte an die verstärkte Mobilität von Studierenden, Beschäftigten
und Reisenden. Dazu komme noch die Sicherung von Frieden und
Freiheit, die für Gerstl letztlich das entscheidende Argument für die
Europäische Union darstellt. Es führe kein Weg an mehr Zusammenarbeit
unter den EU-Mitgliedstaaten vorbei.

Grüne und NEOS wollen durch Mitwirkung innerhalb der EU auf Defizite
reagieren

Nach Ansicht der beiden Grün-Abgeordneten Albert Steinhauser und
Wolfgang Zinggl ist das Ringen um Ideen und Weltanschauungen in der
EU, und nicht außerhalb zu führen. Auch in Österreich gebe es ja viel
Unzufriedenheit mit der eigenen Politik, niemand käme deshalb aber
auf die Idee, aus dem Land auszutreten. Mit den Volksbegehren
auseinandersetzen will sich NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak. Faktum
bleibe aber, dass die Initiative von einer Minderheit unterstützt
wurde und dass die Fraktionen im Parlament einen Austritt aus der EU
ablehnen. Die Kritik an den Institutionen der EU sei aber berechtigt
und müsse geführt werden. Dazu sollte man aber in der EU bleiben und
nicht aus ihr austreten, zeigte sich Scherak überzeugt.

FPÖ und Team Stronach: Kritik an EU muss ernst genommen werden

Namens der FPÖ erinnerte Harald Stefan an die große Zahl von
Unterstützungserklärungen und betonte, an erfolgreiche Volksbegehren
müssten Konsequenzen geknüpft werden. Das verbreitete Misstrauen
gegenüber der EU und die Bedenken der Bevölkerung sollten nicht
einfach weggewischt werden. Vielmehr gelte es, im Parlament offen mit
den Argumenten des Volksbegehrens umzugehen

Seitens des Team Stronach interpretierte Christoph Hagen das
Volksbegehren als Protestkundgebung gegen Missstände in der EU, wie
etwa Korruption und Lobbyismus. Dazu komme noch Kritik an der
wirtschaftlichen Entwicklung, die Hagen als nachvollziehbar
bezeichnete. Konkret erinnerte er an Kaufkraftverlust und
Preissteigerungen seit dem Beitritt zur Euro-Zone.

Sonja Steßl: Politik muss positive Errungenschaften des Beitritts
stärker betonen

Viele Menschen seien mit der EU unzufrieden, dieses schlechte
Stimmungsbild dürfe man nicht einfach schulterzuckend zur Kenntnis
nehmen, mahnte Staatssekretärin Sonja Steßl und sprach von einem
Auftrag an die Politik, die positiven Errungenschaften des EU-
Beitritts stärker herauszustreichen. Klar ist für sie dabei, dass
manche EU-Entscheidungen zu früh gekommen sind, in anderen Bereichen
hingegen ein Mehr an europäischer Integration durchaus wünschenswert
gewesen wäre. Einen Austritt aus der EU lehnt Steßl aber mit
Nachdruck ab. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) hof

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