- 30.11.2015, 12:19:44
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Presserat: Verunglimpfung von Flüchtlingen als Terroristen in „Kronen Zeitung“
Wien (OTS) - Der Senat 1 des Presserats beschäftigte sich mit dem
Artikel „Der IS auf dem Weg zu uns“, erschienen in der „Krone Bunt“
vom 12. Juli 2015. Nach Meinung des Senats verstoßen der Artikel und
das dazugehörige Bildmaterial gegen die Punkte 5
(Persönlichkeitsschutz) und 7 (Schutz vor Pauschalverunglimpfungen
und Diskriminierung) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.
In dem Artikel wird unter Berufung auf „Geheimdienste und
Polit-Größen“ sowie einen „Insider der heimischen politischen
Gemeinde“ berichtet, dass der IS Anschläge in Europa plane und
gezielt Leute nach Europa schicke, um islamistische Netzwerke zu
fördern, Jugendliche in Moscheen zu ködern und Schläfer-Zellen zu
aktivieren. Für diese Terroristen sei es kein Problem, nach Europa zu
kommen, sie würden „[a]usgestattet mit dem nötigen ‚Kleingeld‘ und
professionell gefälschten Dokumenten … einfach auf der
Flüchtlingswelle“ mitsurfen. Unter Berufung auf einen namentlich
genannten Mitarbeiter des „griechischen Instituts für Sicherheits-
und Verteidigungsanalytik“ wird angemerkt, dass im Vorjahr „an die
100 mutmaßliche Islamisten ins Netz“ gegangen seien, „die als
‚Flüchtlinge‘ gestrandet, aber von unterschiedlichsten Ländern wegen
des Verdachts des Terrorismus international gesucht“ worden seien. Es
komme daher nicht selten vor, dass Flüchtlinge auf ihrer Flucht genau
auf jene Menschen treffen, vor denen sie geflohen seien.
„Die Sicherheitsbehörden in ganz Europa“ stünden laut Artikel „ vor
schier unlösbaren Aufgaben“, da „auch wenn als Flüchtlinge getarnte
Islamisten ins Netz gehen – ‚Terrorist‘ … keiner auf dem Kopf stehen“
habe, und sich auch keiner „[f]reiwillig outen“ werde.
Dem Artikel sind zahlreiche Bilder beigefügt. Ein Bild mit der
Bildunterschrift „Flüchtlinge beziehen ihre Zelte“ zeigt Flüchtlinge
in einem Zeltlager, ein weiteres mehrere Flüchtlinge in einem
Schlauchboot. Bei vielen sind ihre Gesichter zu erkennen. Schließlich
werden auch noch zwei Bilder von IS-Kämpfern und ein Bild mit
Flüchtlingsrouten und dem vom IS kontrollierten Gebiet
veröffentlicht.
Nach Ansicht des Senats werden in dem Artikel und den beigefügten
Bildern Flüchtlinge pauschal verunglimpft und diskriminiert. Es wird
suggeriert, dass jeder, der sich als Flüchtling ausgebe, eigentlich
auch ein Terrorist sein könnte, und dass man sich bei keinem sicher
sein könne, da keiner von selbst zugeben werde oder es „auf dem Kopf
stehen“ habe, dass er ein Terrorist sei. Das geht nach Ansicht des
Senats weit über eine Berichterstattung hinaus, dass Terroristen
versuchen könnten, auf diese Weise nach Europa zu gelangen. Es wird
den Leserinnen und Lesern suggeriert, dass sie in jedem Flüchtling
einen potentiellen Terroristen sehen müssen (Diskriminierung und
Pauschalverunglimpfung iSd. Punkt 7 des Ehrenkodex).
Dies gilt insbesondere auch für die Flüchtlinge, deren Gesichter auf
den beigefügten Fotos unverpixelt gezeigt werden. Durch die
unverpixelte Abbildung in diesem Kontext werden sie auch persönlich
als potenzielle Terroristen diffamiert und verunglimpft
(Persönlichkeitsverletzung iSd. Punkt 5 des Ehrenkodex).
Der Senat fordert die betroffene Medieninhaberin auf, die vorliegende
Entscheidung in der „Kronen Zeitung“ freiwillig zu veröffentlichen.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND VON MITTEILUNGEN VON LESERINNEN UND
LESERN
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen
Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und
Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des
Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall hat der Senat 1 des Presserats aufgrund von
Mitteilungen von Leserinnen und Lesern ein Verfahren durchgeführt
(selbständiges Verfahren aufgrund von Mitteilungen). In diesem
Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob ein Artikel den
Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin der
„Kronen Zeitung“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren
teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
Bisher hat sich die Medieninhaberin der „Kronen Zeitung“ der
Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats nicht unterworfen.
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