- 04.11.2015, 12:42:46
- /
- OTS0111 OTW0111
Wachsende Ungleichheit der Einkommen bringt neue Herausforderungen für die soziale Absicherung - BILD/VIDEO
9. Sozialstaatsenquete im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger
Utl.: 9. Sozialstaatsenquete im Hauptverband der österreichischen
Sozialversicherungsträger =
Wien (OTS) - Die Armutsfalle schnappt auch in Österreich immer öfter
zu. Ursache dafür ist die Wirtschaftsflaute, die auch zur Folge hat,
dass eine wachsende Anzahl von Personen etwa wegen fehlender
Qualifikationen in der Einkommensentwicklung zurückfällt. Die
Betroffenen sind dann nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- bis
langfristig mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert. Denn geringe
Einkommen bedeuten niedrige Sozialleistungsbezüge und eine schwache
soziale Absicherung.
„Die Sozialversicherung, die mit ihren drei Bereichen Kranken-,
Unfall- und Pensionsversicherung mit einem Volumen von 56 Mrd. Euro
die wichtigste Säule im Netz der sozialen Sicherheit Österreichs ist,
stellt die wachsende Ungleichheit in der Einkommensverteilung in der
Zukunft vor neue Herausforderungen. Diese gilt es rechtzeitig,
abseits des Tagesgeschäftes gemeinsam mit Expertinnen und Experten zu
diskutieren und über Lösungen nachzudenken“, so Dr. Josef Probst,
Generaldirektor Hauptverband der Sozialversicherungsträger.
„Da sich der Hauptverband nicht nur als Verwalter sondern vor allem
auch als Mitgestalter des heimischen Sozialsystems versteht, haben
wir die heute stattfindende 9. Sozialstaatsenquete diesem Thema
gewidmet, das uns immer intensiver beschäftigen wird“, betont der
Generaldirektor des Hauptverbandes.
Besonderen Wert legt der Hauptverband auch auf den regen Austausch
mit der Wissenschaft. Daher fungiert auch bei der 9.
Sozialstaatsenquete zum Thema „Ungleiche Einkommensverteilung und
soziale Absicherung: Wie hängt das zusammen?“ das Österreichische
Institut für Wirtschaftsforschung als wissenschaftlicher Partner.
WIFO-Chef Aiginger für eine neue „investive Sozialpolitik“
„Verteilungsprobleme werden auch in Europa immer wichtiger“, betont
der Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung
(WIFO), Prof. Dr. Karl Aiginger. Es sinke zwar die absolute Armut,
aber nicht immer die Einkommensunterschiede. „Die Finanzkrise,
Globalisierung, Budgetkonsolidierung führen zu einer tendenziellen
Erweiterung der Einkommensdifferenzen, der durch eine neue ‚investive
Sozialpolitik‘ begegnet werden muss. Ihr Schwerpunkt liegt in der
Bildungspolitik inkl. vorschulischer Erziehung“, so Aiginger.
Der Erfolg des europäischen Modells könne nur zum Teil an der Dynamik
der Einkommen gemessen werden. Für reichere Länder werden
Beschäftigungschancen, Einkommensverteilung, Zugang zu Gesundheit und
Pflege sowie ökologische Nachhaltigkeit immer wichtiger. Ein System
von Wohlfahrtsindikatoren löse daher immer mehr die traditionelle
Erfolgsmessung am Brutto-Inlandsprodukt ab, konstatiert der
WIFO-Leiter.
BM Hundstorfer: Sozialer Zusammenhalt ist kein zufälliger
Zustand oder Glücksfall
„Sozialer Zusammenhalt ist vor allem auch Ergebnis sozial- und
wirtschaftspolitischer Entscheidungen“, so Bundesminister Rudolf
Hundstorfer anlässlich der 9. Sozialstaatsenquete. „Wir brauchen
Vollzeitarbeitsplätze, von denen die Menschen auch leben können. Die
Arbeitszeit muss gerechter verteilt werden, samt Reduzierung von
Überstunden. Vollzeit-Arbeitsplätze dürfen nicht durch ungewollte
Teilzeitbeschäftigung oder prekärer Beschäftigung ersetzt werden“.
Generell muss über die Zukunft der sozialen Absicherung nachgedacht
werden. Mit der Steuerreform wurde ein erster richtiger Schritt zur
Entlastung des Faktors Arbeit gesetzt. Eine Verbreiterung der
Abgabenstruktur kann aber unser Sozialsystem langfristig absichern
und letztendlich mehr Beschäftigung schaffen.
OECD-Ökonom Förster: Wirtschaftswachstum lässt Geringverdiener
zurück
Vom Wirtschaftswachstum profitieren hohe Einkommen
überdurchschnittlich, während Geringverdiener zurückgelassen wurden.
„Diese Entwicklung hat mehrfache negative Konsequenzen, nicht nur für
die Betroffenen“, so Dr. Michael Förster, Ökonom und Chefanalyst in
der Direktion für Beschäftigung, Arbeit und soziale Angelegenheiten
in der OECD in Paris, in seinem Beitrag zur Sozialstaatsenquete.
Durch eine schwache Einkommensentwicklung kommt es bei
einkommensorientierten Sozialversicherungssystemen, allen voran in
der Kranken- und Pensionsversicherung, zu Finanzierungsproblemen. Die
hohe Einkommensungleichheit bremst darüber hinaus die wirtschaftliche
Entwicklung eines Landes: Steigt die Einkommensungleichheit um einen
Prozentpunkt reduziert sich das Wirtschaftswachstum um 0,12
Prozentpunkte, stellt Förster fest.
Zwei Hauptgründe sind nach Ansicht des OECD-Experten für die
steigenden Einkommensungleichheiten mitverantwortlich:
Jobs mit geringen Qualifikationsanforderungen sind gering bezahlt,
während höher qualifizierte Jobs hohe Einkommenszuwächse bieten.
Daneben sinkt die Zahl der Vollzeitjobs bzw. der Ganzjahresjobs,
ebenfalls eine Entwicklung die mit einer steigenden Einkommenskluft
verbunden ist.
Zum anderen senkten zahlreiche Reformmaßnahmen der Vergangenheit das
Niveau von staatlichen Transfers. Auf der Ebene der privaten
Haushalte kann die schwache Markteinkommensentwicklung immer weniger
durch das Steuer-Transfersystem ausgeglichen werden.
Die OECD, so Förster abschließend, sehe mehrere Ansatzpunkte zur
Reduktion der Einkommensungleichheiten. Sowohl für die Betroffenen
als auch für Wirtschaft wäre es insgesamt positiv, wenn Frauen mehr
und intensiver am Erwerbsleben teilnehmen, Maßnahmen zur
Beschäftigungsförderung gesetzt, Aus- und Weiterbildung intensiviert
und nicht zuletzt effiziente Umverteilungsmaßnahmen im Steuer-,
Transfersystem unternommen würden.
Deutschland: Je jünger, desto geringer das Lebenseinkommen
Mit den Auswirkungen der Einkommensungleichheit auf das
Lebenseinkommen beschäftigte sich Prof. Dr. Timm Bönke, Ökonom an der
Freien Universität Berlin in seinem Referat. Sein Fazit auf Grund der
Analyse der Erwerbsbiografien sozialversicherungspflichtig
beschäftigter Arbeitnehmer in Deutschland: die Ungleichheit der
Lebenserwerbseinkommen vom Jahrgang 1935 bis zum Jahrgang 1972 hat
sich verdoppelt.
Hierfür sieht Bönke zwei zentrale Ursachen: „Neben einer zunehmenden
Lohnspreizung zum Beispiel durch die sinkende Nachfrage nach
unqualifizierter Beschäftigung sind es häufigere und längere Zeiten
der Erwerbslosigkeit überwiegend bei Personen mit niedrigem
Einkommen“.
Die dargestellte Entwicklung der Lebenseinkommen, so Bönke weiter,
spiegelt eine tiefgreifende Veränderung der ökonomischen Struktur der
Arbeitnehmerschaft wider. Während im oberen Teil der Verteilung
derzeit noch stabile Beschäftigungsverhältnisse und Lohnwachstum
vorherrschen, ist der untere Teil durch zunehmend prekäre
Verhältnisse geprägt. Hier sinkt das Niveau der Löhne sowie des
Lebenseinkommens und die Einkommensschwankungen und
Arbeitsplatzunsicherheit nehmen zu.
Einkommensungleichheiten beseitigen, aber keine Fehlanreize
setzen
Univ. Prof. Dr. Viktor Steiner, Leiter des Lehrstuhles für Empirische
Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik, Freie Universität
Berlin, stellt in seinem Referat fest, dass der österreichische
Wohlfahrtsstaat „ein hohes Niveau der sozialen Sicherung durch die
bedarfsorientierte Mindestsicherung sowie relativ hohe Pensionen
bietet“. Dies reduziere die Einkommensungleichheit, könnte aber unter
Umständen auch mit negativen Arbeitsanreizen insbesondere für
Geringqualifizierte und mit Fehlanreizen zur Frühpensionierung
verbunden sein. Es gelte daher, meint Steiner, bei Reformen im
Sozialstaat mit dem Ziel der Beseitigung von Einkommensunterschieden
mögliche Fehlanreize nicht aus den Augen zu verlieren. Derartige
bestünden seiner Ansicht nach etwa im Bereich der geringfügigen
Beschäftigung.
Die Sozialversicherung garantiert unabhängig von Alter, Einkommen,
sozialer Herkunft und Bildung hochwertige Gesundheitsversorgung und
eine sichere Pensionsvorsorge. Aktuell sind rund 8,5 Millionen
Menschen anspruchsberechtigt (Versicherte und mitversicherte
Angehörige). Der Behandlungsanspruch aus der Krankenversicherung wird
beim Mediziner durch das e-card-System angezeigt: Die e-card als
Schlüsselkarte enthält keine medizinischen Daten, ermöglicht dem/der
Arzt/ Ärztin aber die Überprüfung des Versicherungsstatus eines
Patienten und die Nutzung weiterer Services. Der Hauptverband der
österreichischen Sozialversicherungsträger ist das organisatorische
Dach über der solidarischen Kranken-, Unfall- und
Pensionsversicherung Österreichs.
Weitere Bilder unter: http://www.apa-fotoservice.at/galerie/7190
Video-Download- und -Einbindungsdetails unter:
http://www.ots-video.at/v/statement-prof-dr-karl-aiginger/
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NHS