- 26.10.2015, 13:04:11
- /
- OTS0057 OTW0057
Rede von Bundespräsident Heinz Fischer zum Nationalfeiertag 2015
Bitte beachten: Sperrfrist 17.00 Uhr
Utl.: Bitte beachten: Sperrfrist 17.00 Uhr =
Wien (OTS) - Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Österreicherinnen und Österreicher!
Heute, am 26. Oktober 2015, feiert Österreich den 60. Geburtstag
unseres Neutralitätsgesetzes.
Ich bin fest überzeugt, dass damals - im Oktober 1955 - eine gute
Entscheidung getroffen wurde, die sich seither in vielfacher Hinsicht
bewährt hat.
Die Österreichische Neutralität ist für mich Ausdruck einer
Friedensgesinnung, die den Krieg nicht als Fortsetzung der Politik
mit anderen Mitteln betrachtet und die Hauptaufgaben unseres
Bundesheeres in der Landesverteidigung, in der Beteiligung an
internationalen Friedensaktionen und in der Unterstützung unserer
verfassungsmäßigen Einrichtungen sieht.
Liebe Österreicherinnen und Österreicher!
In diesen Tagen beschäftigt uns ein sehr sensibles Thema ganz
besonders, nämlich die Flüchtlingsbewegung.
Ihre Wurzeln liegen vor allem in den kriegerischen Konflikten des
Mittleren Ostens, insbesondere in Syrien.
Dass Menschen aus dieser Hölle, aus diesem gefährlichen Chaos fliehen
und sich und ihre Familien in Sicherheit bringen wollen, ist
verständlich.
Daraus entstehen große und schwierige Probleme für ganz Europa.
Immer wieder wird die Frage gestellt, ob es sich bei diesen 10.000en,
die allein in den letzten Tagen und Wochen die Grenzen unseres Landes
überschritten haben, wirklich nur um asylberechtigte Flüchtlinge
handelt oder wie viele davon einfach die Gelegenheit beim Schopf
packen wollen, um in ein Land mit höherem Lebensstandard
auszuwandern.
Darauf darf ich folgende Antwort geben:
Im Jahr 2015 werden nach aktuellen Schätzungen unserer Behörden mehr
als 500.000 Menschen als Flüchtlinge das Staatsgebiet der Republik
Österreich betreten.
Der weitaus überwiegende Teil davon - wahrscheinlich mehr als 85% -
sind allerdings Durchreisende, die unser Staatsgebiet innerhalb
weniger Tage wieder verlassen.
Etwa 80.000 werden heuer einen Asylantrag stellen oder haben ihn
schon gestellt. Diese Anträge werden sorgfältig geprüft und nur wenn
wirklich ein Asylgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention
vorliegt, dann erhalten sie Asyl.
Meine Damen und Herren!
Natürlich gibt es viele Österreicherinnen und Österreicher, die sich
Sorgen machen, Unsicherheit verspüren und sich vor Belastungen
fürchten, die mit dieser Flüchtlingsbewegung verbunden sind.
An diese Österreicherinnen und Österreicher wende ich mich mit
besonderer Aufmerksamkeit und bitte Sie Folgendes zu bedenken: Es
handelt sich bei Asylsuchenden, die sich in einer Notsituation
befinden, nicht um eine anonyme Masse, sondern um einzelne Menschen
mit Namen, Gesichtern und individuellen Schicksalen.
Vielleicht hilft es, wenn wir - wenigstens einen Augenblick lang -
versuchen uns in ihre Lage zu versetzen.
Es ist wahrscheinlich die wichtigste Errungenschaft unseres vom
Christentum und von der Aufklärung geprägten europäischen
Menschenbildes, dass es von der Gleichwertigkeit aller Menschen und
der gleichen Menschenwürde ausgeht. Dieser Grundsatz darf auch in
schwierigen Situationen nicht über Bord geworfen werden.
Gleichzeitig möchte ich aber mit aller Deutlichkeit klarstellen, dass
wir von Menschen, die in Österreich Zuflucht suchen, erwarten, dass
sie europäische Werte und unsere Rechtsordnung beachten und
respektieren.
Das ist für ein reibungsloses Zusammenleben unverzichtbar.
Liebe Österreicherinnen und Österreicher!
Eine wichtige Frage lautet: Wie wird es auf diesem Gebiet
weitergehen?
Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass uns das Flüchtlingsthema
auch in Zukunft stark beschäftigen wird.
Ich hoffe aber, dass der Zeitpunkt näher rückt, wo der Bürgerkrieg in
Syrien zumindest eingedämmt, werden kann, weil immer mehr Staaten
erkennen, wie viele Übel und Probleme dieser mörderische Konflikt zur
Folge hat.
Ich gehe auch davon aus, dass die geplante Einrichtung von
Aufnahmezentren für Flüchtlinge an den Außengrenzen der Europäischen
Union im kommenden Jahr Wirkungen erzielen wird, dass die
Außengrenzen dadurch besser kontrolliert werden und wir auch einer
gerechteren Verteilung der Flüchtlinge in Europa näher kommen.
Meine Damen und Herren!
Lassen Sie mich auch auf das Bedürfnis unserer Bevölkerung nach
Sicherheit eingehen.
Bilder, die uns zu diesem Thema in den letzten Tagen in den Medien
erreichen, wirken für viele Menschen verstörend und machen Angst.
Meine Antwort lautet: Wir treten aus fester Überzeugung dafür ein,
Flüchtlingen menschenwürdig zu begegnen. Aber wir können und werden
nicht darauf verzichten, ein souveräner Staat zu sein, der die
Sicherheit unserer Bürger garantiert.
Unsere staatlichen Institutionen können das.
Dass aber der Einsatz staatlicher Machtmittel immer nur unter
sorgfältiger Anwendung des Grundsatzes der Angemessenheit und der
Verhältnismäßigkeit erfolgt, ist in Österreich eine bewährte Praxis
und unterscheidet einen demokratischen Rechtsstaat von autoritären
Systemen.
Zum Abschluss darf ich noch etwas sehr Erfreuliches sagen:
Sehr viele Österreicherinnen und Österreicher leisten bei der
Betreuung von Flüchtlingen beispielhafte Hilfe. Das gilt auch für
Polizei, Bundesheer, ÖBB und viele andere öffentliche Einrichtungen,
auf die wir sehr stolz sein können.
Es ist mir ein Anliegen, gerade auch heute, am österreichischen
Nationalfeiertag allen zu danken, die bereit sind, sich in den Dienst
der Menschlichkeit zu stellen.
Vergessen wir nicht, dass jedes Land und jeder Mensch im Laufe der
Geschichte in eine Situation kommen kann, in der man auf die Hilfe
anderer angewiesen ist.
Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | BPK