• 06.10.2015, 11:26:30
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ÖGB-Foglar: Wir werden um eine Verteilungsdiskussion nicht herumkommen

Dialog der Sozialpartner mit Arbeitsrechtler Risak, Betriebsrätin Spitz sowie den Unternehmern Schmutzer und Rohrmair-Lewis

Utl.: Dialog der Sozialpartner mit Arbeitsrechtler Risak,
Betriebsrätin Spitz sowie den Unternehmern Schmutzer und
Rohrmair-Lewis =

Wien (OTS) - "Es steht fest, dass Technologien wie das Internet der
Dienste, Internet der Dinge oder die Robotik massive Auswirkungen auf
die Arbeitswelt haben, wie wir sie kennen", sagte ÖGB-Präsident Erich
Foglar beim Dialog der Sozialpartner in Bad Ischl. Disruptive
(verdrängende) Entwicklungen würden Geschäftsfelder verändern. Etwa
das Online-Banking: die Möglichkeit über eine APP Bankgeschäfte
abzuwickeln, hat Konsequenzen für das Bankwesen. "Die bisherige
Ordnung durch Arbeitsverträge bricht auf. Die Grundlage unserer
kollektivvertraglichen Ordnung lautet: Zeit gegen Entgelt. Bei
anderen Arbeitsmodellen, Stichwort crowd-working, sind weder Ort,
noch Zeit, noch Person fix. Welche Rechtgrundlagen kommen dann zur
Anwendung?", fragt sich Foglar.++++

Wie wird der Staat künftig finanziert?
Diese Entwicklungen werden auch Auswirkungen auf die Finanzierung des
Staatshaushaltes haben: Von den 164 Mrd. Euro an Staatsteinnahmen
werden 62 Prozent durch den Erwerbsarbeitsplatz erwirtschaftet, etwa
durch Sozialversicherungsbeiträge, Lohnsteuer und andere Abgaben. Die
entscheidende Frage für Foglar: "Wenn der klassische Arbeitsvertrag
aber abgelöst wird, was tritt an dessen Stelle? Wie kann dann die
Finanzierung des sozialen Sicherheitsnetzes und anderer staatlicher
Aufgaben gewährleistet werden?"
Foglar: "Arbeit gibt dem Menschen Würde: Arbeit und Beschäftigung
sind aber nicht das gleiche. Wenn Menschen in der Zukunft ihren
Arbeitsplatz verlieren und völlig beschäftigungslos werden, wenn
Wertschöpfung und Produktivität zwar zunehmen, aber der Anteil an
menschlicher Arbeit schwindet - dann kommen wir um eine
Verteilungsdiskussion nicht herum. "Wir haben derzeit die höchste
Beschäftigung gemessen an Personen, die gearbeiteten Gesamtstunden
sind allerdings weniger als vor der Krise. Hier müssen wir nach
Lösungen suchen, um die Wertschöpfung gerecht zu verteilen."

Reichweite des Arbeitsrechts auf formal Selbständige ausweiten
Neu an der "neuen Arbeitswelt" sei nicht, dass Menschen von zu Hause
aus arbeiten, sagte Martin Risak vom Institut für Arbeits- und
Sozialrecht an der Universität Wien, sondern neben der Technologie
vor allem die Erschwinglichkeit von Endgeräten sowie die
Kontrollintensität: "Die Arbeiter können die Beschäftigten
kontrollieren, als ob sie daneben stehen würden, auch wenn sie
außerhalb des Betriebs arbeiten."
"Faire Bezahlung, gesunde Arbeitsumgebung, Sicherung arbeitsfreier
Zeiträume und Absicherung gegen Lebensrisiken bleiben trotz aller
Veränderungen die Kernaspekte von guter Arbeit", so Risak. Die Frage
sei, wer dafür verantwortlich ist: Jeder für sich selber, die
Vertragspartner, der Staat oder solidarische Sicherungssysteme.
Eventuell müsse man die Reichweite des Arbeitsrechts erhöhen - "auch
auf manche Menschen, die formal selbständig sind." Und es stelle sich
die Frage, wie man es schaffen könne, Strukturen zur Mitbestimmung
auch in neuen Unternehmensformen zu etablieren.

Unternehmern, die offen agieren, droht rechtlicher Graubereich
"Die neue Arbeitswelt wird eine sehr bunte werden, aber die
rechtliche Situation ist diesen neuen Herausforderungen noch nicht
angepasst. Die MitarbeiterInnnen haben neue Vorstellungen von Arbeit
und bringen Dinge, die sie in ihrem Privatleben nutzen, in den Job
ein. Die Herausforderung für die Unternehmen ist heute sehr groß,
denn sie können sich entscheiden ob sie sicher bleiben und ganz
straffe Rahmenbedingungen haben oder ob sie weit offener agieren und
sich dabei in einem Graubereich bewegen", erläutert Thomas Schmutzer,
Geschäftsführer der HMP Beratungs-GmbH, die derzeitige Situation in
Bezug auf die Digitalisierung der Arbeitswelt.

Mehr zulassen und nicht sofort alles regulieren
Für Herbert Rohrmair-Lewis, Bundesvorsitzender der Jungen Wirtschaft,
sind die Sozialpartner deutlich zusammengewachsen: "Das Thema Zukunft
ist scheinbar eines, das uns mehr zusammenschweißt. Wenn Präsident
Kaske gestern sagte ‚Zu Tode gefürchtet, ist auch gestorben‘,
interpretiere ich das so, dass wir mehr Mut brauchen. Denn wie schon
gesagt wurde, wird die Arbeitswelt eine viel buntere werden. In den
USA wurden diese neuen Entwicklungen einfach zugelassen und erst
später reguliert. Auch wir müssen hier einfach mehr zulassen und
nicht sofort alles regulieren. Und wir brauchen uns nicht zu
fürchten, denn wir haben die Experten und sind bestens gerüstet, um
diese Herausforderungen der Zukunft zu meistern."

Zu 80 Prozent entscheidet die Maschine über Kreditvergaben
Für Verena Spitz, Betriebsrätin bei der BAWAG P. S. K., sind
Selbstbedienungs- und SB-Foyers noch nicht die Spitze der
Umstrukturierungen: "Es gab in den Banken früher Tätigkeiten, die
sehr papierbehaftet waren - dieser Bereich ist ohnehin schon
weggefallen. Aber jetzt wird auch die Arbeit von
EntscheidungsträgerInnen digitalisiert, die sich bisher sehr sicher
gefühlt haben." Das betreffe zum Beispiel jene, die über Kredite
entscheiden: "Zu 80 Prozent trifft der Computer die Entscheidungen,
ob jemand einen Kredit bekommt, nur zu 20 Prozent entscheidet noch
der Mensch." Der Mensch mache eigentlich nur mehr die
"Übersetzungsarbeit" zwischen Maschine und Kunden. Und, so Spitzer:
"Sobald sich die Kundin oder Kunde daran gewöhnt hat, werden
vielleicht auch diese letzten 20 Prozent wegfallen." Die Arbeitgeber
hätten gerne, dass die Kunden immer mehr selbst machen, über Tablets
uns Apps, aber die MitarbeiterInnen, die sie davon überzeugen sollen,
sind auf sich allein gestellt: "Hier sind die Arbeitgeber in die
Pflicht zu nehmen, sie müssen die notwendigen Devices und Schulungen
zur Verfügung stellen.

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