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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 2. Oktober 2015 von Marco Witting "Mehr als nur ein Warnschuss"
Innsbruck (OTS) - Wenn Einheimische Waffen kaufen, weil Fremde bei
uns Schutz vor Hunger und Terror suchen, dann hat die Gesellschaft
versagt. Die Schrotflinte im Kasten wird keines der aktuellen
Probleme lösen - ganz im Gegenteil.
Schrotflinten? Ausverkauft. Gewehre? Tagesgeschäft. Hier geht es
nicht um Sportschützen. Die Rede ist auch nicht von berüchtigten
Vorstädten in den Vereinigten Staaten. Wir reden hier über jene unter
uns, die Angst haben: Einheimische in Österreich und auch Tirol.
Selbst wenn es wohl nur ein paar Hundert sind, die sich dieser Tage
eine Waffenbesitzkarte zulegen, oder daran denken, sich eine Flinte
daheim in den (hoffentlich) versperrten Kasten zu stellen: Diese
Entwicklung ist eine Bankrotterklärung für uns alle, für unsere
Gesellschaft. Doch wovor haben die Menschen eigentlich so große
Angst?
Ängste gehören zum Leben. Und als solche müssen sie ernst genommen
werden. Ganz besonders von der Politik. Hier wurden entscheidende
Fehler gemacht. Anrainer wurden über Nacht vor vollendete Tatsachen
gestellt. Es wurden keine Lösungen präsentiert. Dazu das komplette
Versagen in Traiskirchen und die anfangs zaghafte Quartiersuche in
den Ländern. Aber was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass
österreichweit die Waffenkäufe steigen, weil Menschen bei uns vor
Krieg, Terror, Hunger und entsetzlicher Not Schutz suchen? Definitiv
nichts Gutes.
Und das muss sowohl der Politik als auch uns Medien zu denken geben.
Das beginnt bei der Definition, wie wir den "Flüchtlingsstrom" schon
benennen. Wenn wir von "Krisen" sprechen, von "Quoten" und nicht von
"Menschen", die uns bereichern, oder "Chancen", die sich daraus
ergeben. Das hört letztlich genau dort auf, wo die Politik für
Wahlerfolge hemmungslos diese Angst schürt, wenn Konzeptlosigkeit und
Führungsschwäche den Populisten eine Bühne bieten. Wenn Menschen das
Gefühl haben, die Regierenden haben die Sache nicht im Griff.
Doch Waffen sind nie eine Antwort. Sie werden die Probleme in letzter
Konsequenz irgendwann eskalieren lassen. Der Kauf einer Flinte mag
legal und gesetzlich in Ordnung sein, eine Legitimation dafür gibt es
trotzdem nicht. Bei allen vorhandenen Ängsten in der Bevölkerung
dürfen wir dies nie außer Acht lassen.
Österreich ist ein sicheres Land. Wer sich ohne Not ein Gewehr in den
Kasten stellt, trägt zur Unsicherheit bei. Die Angst liegt dem
Menschen im Blut, ist ein Schutzmechanismus. Angst ist aber auch ein
schlechter Ratgeber und er wird die Barrieren den Menschen gegenüber
nicht abbauen, die zu uns kommen. Denn eines haben diese Menschen
auch: Angst.
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