- 21.09.2015, 10:29:53
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Offener Brief an BM Dr. Sabine Oberhauser, Ärztekammer-Präsident Dr. Artur Wechselberger und HVB-Vorsitzenden Mag. Peter McDonald.
Im Auftrag von Univ.-Prof. Dr. Manfred Maier dürfen wir nachfolgenden offenen Brief veröffentlichen
Utl.: Im Auftrag von Univ.-Prof. Dr. Manfred Maier dürfen wir
nachfolgenden offenen Brief veröffentlichen =
Wien (OTS) - Sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Oberhauser!
Sehr geehrter Herr Präsident Dr. Wechselberger!
Sehr geehrter Herr Verbandsvorsitzender Mag. McDonald!
Vor kurzem hat Frau Bundesministerin Sabine Oberhauser Eckpunkte für
ein Gesetz zur Regelung der geplanten Primary Health Care Center
vorgestellt. Die unmittelbar darauf folgenden Proteste der
Ärztekammer und die ihnen folgenden Reaktionen und Stellungnahmen
verschiedener Institutionen des österreichischen Gesundheitswesens in
den Medien veranschaulichen deutlich, wie es um die
Kommunikationskultur in Österreich bestellt ist. In meiner Funktion
als akademischer Vertreter des Faches Allgemeinmedizin an der
Medizinischen Universität Wien nehme ich diese letzte, leider sehr
exemplarische, Entwicklung zum Anlass, um auf folgende Aspekte
hinzuweisen:
- Es ist schwer nachvollziehbar, warum Teilinformationen bzw.
Eckpunkte eines in Ausarbeitung befindlichen Gesetzes vorgestellt
werden und dieser Ankündigung ein sofortiger Protest folgt, ohne dass
der ausgearbeitete Gesetzesentwurf auf dem Tisch liegt, interpretiert
und diskutiert werden kann.
- Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum es dieses Gesetz zum
jetzigen Zeitpunkt überhaupt geben soll, zumal die Implementierung
der Primary Health Care Zentren an Pilotstandorten erfolgt und
evaluiert werden muss. Warum wartet man nicht die Ergebnisse der
Evaluierung ab, um daraus für die Erstellung des Gesetzes auf Daten
basierende Schlüsse ziehen zu können?
- Das international anerkannte, evidenzbasierte Modell der Primary
Health Care Teams und das darauf aufbauende Konsenspapier der
Bundeszielsteuerungskommission vom Juni 2014 wird vielfach
missverständlich und beliebig zugunsten der eigenen Interessen
interpretiert.
- Die Primärversorgung und damit die medizinische Grundversorgung
durch Ärzte für Allgemeinmedizin soll aufgewertet und gestärkt
werden, schenkt man den mittlerweile jahrzehntelangen Ankündigungen
und Absichtserklärungen Glauben. Die Realität sieht anders aus: die
Ausbildung der Studierenden an der Medizinischen Universität Wien im
Fach Allgemeinmedizin wurde von einem Pflicht- zu einem Wahlfach
umgewandelt, frei gewordene Assistentenstellen für den
wissenschaftlichen Nachwuchs werden nicht nachbesetzt, die
Weiterbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin (z.B. Lehrpraxis) hinkt
immer weiter hinter den internationalen Entwicklungen nach und die
Reform der Primärversorgung von Einzelpraxen zu künftigen Aufgaben
gewachsenen Primärversorgungsteams wird bekämpft. Jede dieser
Fehlentwicklungen ist für sich schon schlimm genug, der kumulative
Effekt im gleichen Zeitraum und für dieselbe Generation von jungen
Ärzten ist jedoch fatal.
- Die seit Juni dieses Jahres geltende neue Ärzteausbildungsordnung
und ihre Umsetzung haben bereits in kurzer Zeit zu deutlichen
negativen Konsequenzen geführt. Wie ich erfahren habe, haben
Krankenhäuser wenig Interesse, Medizin-AbsolventInnen für den Common
Trunk aufzunehmen, wenn sie die Absicht haben, später das Fach
Allgemeinmedizin zu ergreifen. Den Bewerbern werden bereits vor dem
Common Trunk Verträge für spätere Facharztausbildungsstellen
vorgelegt und jene KollegInnen, die sich trotzdem für
Allgemeinmedizin entscheiden, bekommen eine geringere Bezahlung!
- Ein großer Teil der Absolventen der medizinischen Universitäten
verlässt Österreich, um zumindest ihre Weiterbildung unter besseren
Bedingungen im Ausland zu absolvieren. Zusammen mit der laufenden
Pensionierungswelle von niedergelassenen Ärzten hat sich damit
innerhalb weniger Jahre in Österreich aus einem Ärzteüberschuss ein
Ärztemangel ergeben.
- Kassenärztliche Planstellen für Allgemeinmediziner können immer
häufiger nicht mehr nachbesetzt werden, insbesondere im ländlichen
Raum. Eines der letzten Beispiele ist die Wildschönau in Tirol. In
Anbetracht der geschilderten Gesamtsituation ist dies nicht weiter
verwunderlich; darüber hinaus trägt noch die unsinnige Regelung für
Hausapotheken sowie die Nichtbeachtung der geänderten
Berufsvorstellungen von jungen ÄrztInnen wesentlich zu dieser
Entwicklung bei. Dieses derzeit in ländlichen Regionen bereits
vorhandene Problem kann in Bälde unschwer auch für städtische
Bereiche vorhergesagt werden.
In Anbetracht der hier nur kurz angesprochenen Fakten und
Entwicklungen sehe ich für alle beteiligten Institutionen dringenden
und ernsthaften Handlungsbedarf, um ihrer Verantwortung zur
Aufrechterhaltung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung
auch in Zukunft nachkommen zu können. Deshalb appelliere ich an alle,
zu einer neuen Kultur der gemeinsamen und sachorientierten
Kommunikation zu finden sowie unterschiedliche Aufgaben, Leistungen
und Standpunkte der Beteiligten in dieser Diskussion zu respektieren,
damit die höchst unbefriedigenden Entwicklungen rund um die
medizinische Grundversorgung in Österreich beendet werden. Es ist
allerhöchste Zeit, möglichst rasch ein Gesamt-Sanierungskonzept für
eine zeitgemäße Primärversorgung auch in Österreich umzusetzen.
Mit der Bitte um Kenntnisnahme und freundlichen Grüßen
Univ. Prof. Dr. Manfred Maier
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