- 18.08.2015, 12:59:33
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Armutskonferenz-Studie: 15 Punkte für weniger Barrieren im Gesundheitssystem
Gesundheit und soziale Ungleichheit: Lücken und Barrieren im österreichischen Gesundheitssystem aus Sicht von Armutsbetroffenen.
Utl.: Gesundheit und soziale Ungleichheit: Lücken und Barrieren im
österreichischen Gesundheitssystem aus Sicht von
Armutsbetroffenen. =
Wien (OTS) - Die Armutskonferenz präsentierte heute eine Studie zu
Lücken und Barrieren im österreichischen Gesundheitssystem aus Sicht
von Armutsbetroffenen. Thematisiert wurde der mangelnde Zugang zu
Gesundheitsleistungen, die Unterschiede Stadt-Land,
Nicht-Leistbarkeit, Unverständlichkeit von Diagnosen & Befunden,
Schwierigkeiten bei Gutachten, Beschämung und Ängste.
Diese qualitative Erhebung hatte zum Ziel, Armutsbetroffene selbst zu
fragen, ihre Erfahrungen und ihr Wissen in den Mittelpunkt zu
stellen, und: Themen und Felder mangelnder Barrierefreiheit zu
erheben, an denen vertieft weiter gearbeitet werden kann.
Auf Basis der in der Untersuchung festgestellten Lücken in der
Gesundheitsversorgung wurden Möglichkeiten zur Verbesserung der
identifizierten Problembereiche diskutiert. Die Armutskonferenz
schlägt in fünfzehn Punkten Verbesserungen vor:
1. Begleitdienste ("Mitgehen") für Armutsbetroffene bei Gutachten und
Gesundheitsdiensten. Auch bei Ämtern und Behörden.
2. Persönliche Begleitung, Mentoring, Buddies: Jemanden haben,
der/die einfach da ist und Gemeinsames unternimmt,
Freizeitaktivitäten etc.
3. Psychotherapie und psychosoziale Notdienste: erleichterter Zugang
zu kostenloser Psychotherapie, Ausbau von Therapie- und
Beratungseinrichtungen und psychosozialen Notdiensten außerhalb der
Ballungszentren.
4. Prävention und Rehabilitation: erleichterter Zugang zu präventiven
Gesundheitsmaßnahmen wie Kuren etc., uneingeschränkter Zugang zu
REHA-Maßnahmen; Personen mit multiplen Beeinträchtigungen sind wegen
Betreuungsbedarf von Kuren ausgeschlossen.
5. Finanzielle Unterstützung: Unbürokratische finanzielle
Unterstützung bei Behandlungen mit hohen Selbstbehalten (Zahnersatz,
Regulierungen, etc.) sowie bei notwendigen Heilbehelfen (Hörgeräte,
orthopädische Hilfen etc.); Selbstbehalte außerhalb der
Rezeptgebührenbefreiung sind für Prekarisierte und Einkommensschwache
nicht leistbar.
6. Bessere räumliche Erreichbarkeit von Gesundheitseinrichtungen:
Menschen mit wenig Geld haben besonders im ländlichen Raum große
Probleme, Gesundheitseinrichtungen zu erreichen. Auch kleinere Wege
sind ohne Auto kaum machbar. Kommen Armut und Krankheit zusammen ist
die Mobilität völlig eingeschränkt.
7. Kein Zwang zu krankmachender Erwerbsarbeit: Die Erfahrung "ganz
unten" ist, dass Arbeit nicht automatisch "integriert", sondern
"sozial exkludieren" kann, was Fragen rund um Sanktionen, Krankheit,
Invaliditätspension und "Arbeit um jeden Preis" aufwirft. Wenn Arbeit
krank macht, prekarisiert, ohne Anerkennung und Wertschätzung,
entsteht soziale Ausgrenzung durch die Arbeit selbst. "Arbeit um
jeden Preis?": AMS, Sanktionen und Angst machen krank.
8. Krank und vor dem Nichts? Wiedereinführung des
Pensionsvorschusses: Der Pensionsvorschuss war bisher eine
finanzielle Absicherung für Menschen, deren Anspruch auf Krankengeld
nach einem Jahr Bezug ausgeschöpft war. Gerade schwere Unfälle,
langwierige Krebserkrankungen oder die zunehmenden psychischen
Erkrankungen bringen eine längere Arbeitsunfähigkeit mit sich. Jetzt
stehen die Betroffenen vor dem Nichts.
9. Medizinische Gutachten: Mehr Respekt und Beachtung vorliegender
Befunde: Bessere Ausbildung und Sensibilisierung von GutachterInnen.
Bereits vorliegende Befunde dürfen nicht missachtet werden.
10. Gleiche Behandlung und gleiche Therapien - egal ob arm oder
reich: Werden Armutsbetroffene gleich behandelt, bekommen sie die
gleiche Medizin, die gleiche Therapie? Keine Klassenmedizin - ob
bewusst oder unbewusst!
11. Keine Kürzung für soziale Dienste und Einrichtungen: Sparpakete
und Austeritätspolitik verschlechtern die Unterstützung von sozialen
Diensten.
12. Rechtshilfe und Anwaltschaft: Gleicher Zugang zum Recht für alle
- egal ob arm oder reich. Vertretung von Betroffenen bei
Krankenkasse, Pensionsversicherung, AMS und Sozialamt.
Rechtsberatung, Rechtshilfe und Rechtsdurchsetzung.
13. Krankenversicherung: Schließen der Lücken für Menschen ohne
Krankenversicherung: Für viele ist der mangelnde
Krankenversicherungsschutz kurzzeitlich, für manche dauerhaft. Es ist
ein Mix aus strukturellen Lücken, sozialen Benachteiligungen,
fehlenden persönlichen Ressourcen und mangelnder Information. Davon
betroffen sind Menschen in prekärer Beschäftigung, Personen in
schweren psychischen Krisen, Arbeitssuchende ohne Leistungsanspruch,
Hilfesuchende, die ihren Mindestsicherungsanspruch aus Scham nicht
einlösen.
14. Verständlichkeit und Lesbarkeit von Formularen, Diagnosen und
Therapien: Eine angemessenere und leichter verständliche
Formularsprache. Mehr Zeit für die Erklärung von Diagnosen bzw.
Therapien.
15. Dialogforen mit ÄrztInnen, EntscheidungsträgerInnen und anderen
Gesundheitsberufen: Armutsbetroffene kommen ins Gespräch mit
AkteurInnen des Gesundheitssystems. Sensibilisierung für Anliegen und
Situation Einkommensschwacher, Erfahrungsaustausch am runden Tisch
(z.B. mittels "Weltcafé").
Die Armutskonferenz wird die Ergebnisse dieser Erhebung in den
nächsten Wochen den zuständigen Ministerien, Gebietskörperschaften
und Krankenversicherungsträgern vorstellen.
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