• 07.07.2015, 20:07:59
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  • OTS0255 OTW0255

Nationalrat verabschiedet Strafrechtsreform

Umfangreiche Modernisierung des StGB, Zustimmung von SPÖ, ÖVP und NEOS

Utl.: Umfangreiche Modernisierung des StGB, Zustimmung von SPÖ, ÖVP
und NEOS =

Wien (PK) - Die Strafrechtsreform ist beschlossene Sache. Der
Nationalrat verabschiedete heute ein Strafrechtsänderungsgesetz, das
das Strafgesetzbuch (StGB) nach mehr als 40 Jahren grundlegend
modernisiert und neben einer Neugewichtung der Strafandrohungen auch
Nachschärfungen und Präzisierungen in zahlreichen Bereichen - vom
Sexualstrafrecht bis zu den Wirtschaftsdelikten - bringt. Die
Regierungsparteien, aber auch die NEOS begrüßten die Novelle als
guten Kompromiss und sahen darin vor allem auch eine Reaktion auf die
geänderte gesellschaftspolitische Realität. Die FPÖ vermisste
Verschärfungen in aus ihrer Sicht wesentlichen Teilbereichen, so etwa
ein Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen für einschlägig verurteilte
Sexualtäter oder strengere Strafen bei Gewaltattacken gegen
Exekutivbeamte. Die Grünen wiederum konnten keine klare
kriminalpolitische Linie erkennen, kritisierten etwa die Änderungen
beim Landfriedensbruch als zu wenig weitgehend und sprachen beim
Untreuetatbestand von Anlassgesetzgebung. Das Team Stronach
schließlich warf der Reform Wirtschaftsfeindlichkeit im Zusammenhang
mit den Bilanz- und Untreuedelikten vor.

Als miterledigt mit der Strafrechtsreform gelten ein Antrag der
Regierungsparteien betreffend Neuformulierung des Untreuetatbestands,
ein Team Stronach-Vorstoß auf Erhöhung des Strafrahmens bei
Tierquälerei sowie eine Petition mit dem Titel "Vergewaltigung
verurteilen - Ein Nein muss genügen", die Bürgerinitiative betreffend
"Herausnahme von Cannabis aus dem Suchtmittelgesetz" und eine
Bürgerinitiative zum Thema "Mehr Rechte für Tiere".

Nicht durchsetzen konnten sich die Oppositionsparteien mit weiteren
Anträgen zu Teilbereichen des Strafrechts. Die Forderung der FPÖ nach
einem absoluten Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen für wegen
sexueller Übergriffe auf Minderjährige Verurteilte blieb ebenso in
der Minderheit wie eine gemeinsame Initiative von Grünen und NEOS auf
Streichung des Tatbestands der Gutheißung von mit Strafe bedrohten
Handlungen und der Grünen-Antrag auf Entfall des Tatbestands
Landfriedensbruch.

Mehr Strenge für Gewaltdelikte, neue Wertgrenzen bei
Vermögensdelikten

Das Strafrechtsänderungsgesetz verfolgt die Grundtendenz,
Körperverletzungsdelikte strenger und Vermögensdelikte im Zuge neuer
Wertgrenzen milder zu bestrafen. Nachgeschärft wird zudem auch im
Sexualstrafrecht, dies etwa durch Klarstellungen hinsichtlich der
Strafbarkeit der sexuellen Belästigung sowie durch Einführung eines
Tatbestands der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung. Im
Suchtmittelbereich geht es der Novelle vor allem um eine stärkere
Betonung des Grundsatzes "Therapie statt Strafe". Neu ist das
"Cybermobbing", während es bei Landfriedensbruch und Verhetzung zu
Präzisierungen kommt. Bei Wirtschaftsdelikten wie Untreue und
Bilanzfälschungen schließlich strebt das Gesetz exaktere
Formulierungen im Sinne von mehr Rechtssicherheit an.

SPÖ-Lob für Nachschärfungen im Sexualstrafrecht

Durch die Reform werde das Strafrecht auf den heutigen Stand
gebracht, stellte SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim fest, der vor
allem die bessere Gewichtung der Strafandrohungen zwischen
Gewaltdelikten und Vermögensdelikten als wesentlichen Fortschritt
hervorhob. Das Bewusstsein, man könne "erwischt" werden, sei aber
abschreckender als jegliche Erhöhung der Strafe, gab er zu bedenken
und bemerkte, gerade aus diesem Grund sei es wichtig, Exekutive und
Staatsanwaltschaft zu stärken. Als gut geregelt wertete Jarolim auch
die Präzisierung beim Untreuetatbestand. Hier sei es sinnvoll, durch
Klarstellungen Rechtssicherheit für die Wirtschaft zu schaffen,
betonte er übereinstimmend mit seinem Fraktionskollegen Peter
Wittmann.

Bei den Nachschärfungen im Sexualstrafrecht habe man eine Lösung im
Sinne der sexuellen Selbstbestimmung der Frauen gefunden, freuten
sich die SPÖ-Abgeordneten Gisela Wurm und Katharina Kucharowits und
unterstrichen, nunmehr werde klargestellt, dass sexuelle Belästigung
kein Kavaliersdelikt ist. Elisabeth Grossmann (S) wiederum begrüßte
den Tatbestand des Cybermobbings und die Neufassung bei Verhetzung,
meinte aber, wichtig sei nun vor allem eine breite
Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit. Für ihren
Fraktionskollegen Harald Troch ist die Strafbarkeit von Cybermobbing
eine notwendige Reaktion auf die gesellschaftliche Realität, gehe es
doch darum, Kinder und Jugendliche vor Angriffen im Internet zu
schützen.

ÖVP: Österreich erhält Strafrecht auf Höhe der Zeit

Mit dieser ausgewogenen Reform erhält Österreich ein modernes
Strafrecht auf der Höhe der Zeit, befand auch ÖVP-Justizsprecherin
Michaela Steinacker und sprach von einem Facelifting des StGB.
Wesentlich aus ihrer Sicht ist dabei neben den Neuerungen im
Sexualstrafrecht auch die Schärfung des immer wieder als zu unpräzise
kritisierten Tatbestands der Untreue, von der sie sich nun ebenso wie
Beatrix Karl (V) mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen erwartet.
Was der Machtgeber erlaubt, das soll nun grundsätzlich nicht strafbar
sein, sei nun unzweifelhaft klargestellt.

Als im Sinne der Wirtschaft gelegen begrüßte ÖVP-Abgeordneter Werner
Groiß die Zusammenlegung der Vielzahl von Regelungen hinsichtlich
Bilanzfälschung. Bestraft werden nun nur unvertretbare Darstellungen,
die geeignet sind, erheblichen Schaden zu verursachen, stellte er
klar. Die neue Definition des Untreuetatbestands wiederum werde es
seiner Einschätzung nach Managern einfacher machen,
Unternehmensentscheidungen zu treffen.

Für die NEOS ist das Glas halb voll

Das Glas sei halb voll, die NEOS unterstützen daher die Reform,
kündigte Justizsprecherin Beate Meinl-Reisinger an. Die Richtung
stimme, wenngleich man einige Tatbestände durchaus hätte entrümpeln
können, so etwa jene Delikte, die die Meinungsfreiheit betreffen. 40
Jahre nach Christian Brodas Strafrechtsreform wäre überdies auch
Gelegenheit gewesen, grundsätzlich über den Sinn von Strafen zu
diskutieren. Die Wertgrenzenregelung hielt Meinl-Reisinger für
überschießend, wobei sie einen gänzlichen Entfall zur Diskussion
stellte und in einem bei der Abstimmung allerdings abgelehnten
Entschließungsantrag eine diesbezügliche Prüfung anregte. Zur
Neuregelung des Untreuetatbestandes bemerkte sie, ihre Fraktion könne
damit leben. Nikolaus Scherak (N) kam auf die Entrümpelung des StGB
zurück und forderte die Streichung des Tatbestands der Gutheißung mit
Strafe bedrohter Handlungen. Er sah dabei vor allem die
Meinungsfreiheit angesprochen und meinte, Meinungsäußerungen seien
nicht nur dann legitim, wenn sie uns gefallen, sondern auch dann,
wenn sie beleidigen oder schockieren.

FPÖ vermisst Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen für einschlägig
vorbestrafte Sexualtäter

Die FPÖ sei bei der Reform "nicht mit dabei", zumal einige Punkte
falsch geregelt seien, begründete Harald Stefan die Ablehnung durch
seine Fraktion. Er begrüßte zwar grundsätzlich die nunmehr bessere
Balance zwischen den Strafen für Vermögensdelikte und Gewaltdelikte,
kritisierte aber die Anhebung der Wertgrenzen als zu weitgehend.
Diversion wäre demnach auch noch bis zu einem Schaden von 300.000 €
möglich, das widerspreche jeglicher Verhältnismäßigkeit, führte er
ins Treffen. Bei der Regelung der Gewerbsmäßigkeit sollte nach
Meinung des FPÖ-Justizsprechers wieder auf die Lukrierung
fortlaufender Einnahmen abgestellt werden, die Änderungen im
Suchtmittelgesetz - Stefan sprach von Aufweichungen - schließlich
seien ein gesellschaftspolitisch falscher Ansatz.

Sein Fraktionskollege Gernot Darmann forderte in eindringlichen
Worten ein absolutes Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen für wegen
sexueller Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche einschlägig
verurteilte Personen, konnte sich aber mit einem entsprechenden
Entschließungsantrag, der in namentlicher Abstimmung 72 Ja- und 96
Nein-Stimmen erhielt, nicht durchsetzen. FPÖ-Mandatar Philipp
Schrangl wiederum vermisste strengere Strafen bei Gewalt gegen
ExekutivbeamtInnen sowie gegen RichterInnen, StaatsanwältInnen und
ZeugInnen, blieb aber mit diesem Vorstoß bei der Abstimmung ebenfalls
in der Minderheit. Problematisch sah Schrangl auch die Nachschärfung
im Sexualstrafrecht, wobei er meinte, bei Po-Grapschen wäre es
überzogen, mit der scharfen Keule des Strafrechts zuzuschlagen.

Grüne: Trotz Neugewichtung der Strafen passt Verhältnismäßigkeit
nicht

Namens der Grünen konnte Albert Steinhauser in der Reform keine
klaren kriminalpolitischen Zielsetzungen erkennen. Die
Verhältnismäßigkeit bei den Strafrahmen passe noch immer nicht,
geringfügige Taten würden oft zu streng bestraft, beanstandete er und
übte in diesem Zusammenhang vor allem auch Kritik an der Regelung der
Gewerbsmäßigkeit. Als "komplett danebengegangen" qualifizierte er die
Neufassung des Verhetzungstatbestands und gab zu bedenken, durch das
Abstellen auf die absichtliche Tatbegehung werde dieser Tatbestand
ungewollt verschärft. Beim Untreuetatbestand wiederum hätte man
seiner Einschätzung nach besser bei der bestehenden Regelung bleiben
sollen. Im Hinblick auf die Causa Meinl sei die Novelle jedenfalls
Anlassgesetzgebung par excellence. Die Regelung des
Landfriedensbruchs wiederum birgt nach Ansicht des Grünen-
Justizsprechers die Gefahr einer ausufernden Kriminalisierung. Was
das Sexualstrafrecht betrifft, beurteilte Steinhauser die Einführung
des Tatbestands der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung als
positiv. Er unterstützte zudem auch die für die Ahndung der sexuellen
Belästigung gefundene Variante, stellte allerdings mit Bedauern fest,
dieses Thema sei in der öffentlichen Diskussion "verblödelt" worden.

Team Stronach kritisiert Neufassung des Untreuetatbestands als
wirtschaftsfeindlich

Als wesentlich für die Ablehnung durch das Team Stronach wertete
Kathrin Nachbaur die Neuregelung des Untreuetatbestands, die ihren
Befürchtungen zufolge weiterhin breiten Spielraum für
wirtschaftsfeindliche Interpretationen zulässt. Es fehle vor allem
die Voraussetzung der absoluten Schadensabsicht für die Strafbarkeit,
zumal es nicht angehe, dass bei wirtschaftlichen Fehlentscheidungen
gleich das Strafrecht zum Einsatz kommt, argumentierte sie. Ihre
Fraktionskollegin Ulrike Weigerstorfer reagierte erfreut auf die
Erhöhung der Strafdrohung bei Tierquälerei, deren Wichtigkeit sie vor
allem im Lichte jüngster aktueller Fälle unterstrich. Martina Schenk
(T) ortete Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Mobbing und drängte
in einem letztlich abgelehnten Entschließungsantrag auf eine
Zusammenfassung der in verschiedenen Rechtsbereichen enthaltenen
Schutznormen zu einem einheitlichen Anti-Mobbing-Gesetz. Team
Stronach-Abgeordnete Waltraud Dietrich brachte ihrerseits die
Schlepperkriminalität zur Sprache und forderte eine deutliche
Erhöhung des diesbezüglichen Strafrahmens und eine Regelung im
Strafrecht. Auch ihr Entschließungsantrag fand bei der Abstimmung
keine Mehrheit.

Brandstetter: Reform im Zeichen von Konsens und Akzeptanz

Die Veränderung der Relation der Strafandrohungen zwischen
Gewaltdelikten und Vermögensdelikten schaffe eine Neuakzentuierung,
die über die bloße Modernisierung hinausgeht, zeigte sich
Justizminister Wolfgang Brandstetter überzeugt. Im Rahmen der
Begutachtung und des parlamentarischen Prozesses sei man in vielen
Bereichen auf die Anregung von ExpertInnen eingegangen, um
größtmöglichen Konsens zu erreichen. Der Ressortleiter begrüßte
insbesondere den erhöhten Schutz der sexuellen Selbstbestimmung als
Fortschritt und qualifizierte die Erweiterung der Strafdrohung bei
sexueller Belästigung als vorsichtige und sinnvolle Lösung. Nicht
jede unerwünschte Berührung soll bereits die Staatsanwaltschaft auf
den Plan rufen, vielmehr gehe es darum, entwürdigenden sexuellen
Übergriffen mit dem Strafrecht Grenzen zu setzen, betonte er. Was das
von der FPÖ geforderte Tätigkeitsverbot in Erziehungsberufen für
einschlägig vorbestrafte Sexualtäter betrifft, stellte Brandstetter
klar, es bestehe bereits die gesetzliche Möglichkeit, ein
unbefristetes Tätigkeitsverbot unter richterlicher Kontrolle
auszusprechen. (Fortsetzung Nationalrat) hof

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