- 11.06.2015, 13:01:54
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Industrie: Es darf keine „Bildungs-Einbahnen“ geben – brauchen gleiche Chancen für alle
IV-Präsident Kapsch: IV-Bildungsstrategie „Beste Bildung“ mit „Spezialisierungsphase" komplettiert – Allgemeine und Berufsbildung nach der mittleren Reifeprüfung gehören gestärkt
Utl.: IV-Präsident Kapsch: IV-Bildungsstrategie „Beste Bildung“ mit
„Spezialisierungsphase" komplettiert – Allgemeine und
Berufsbildung nach der mittleren Reifeprüfung gehören gestärkt =
Wien (OTS) - Die Industriellenvereinigung (IV) hat mit der
Präsentation des Konzepts zur "Spezialisierungsphase", also der
derzeitigen Sekundarstufe II, ihre Bildungsstrategie "Beste Bildung"
komplettiert. Bei diesem letzten Baustein gehe es vor allem um
gleiche Chancen für alle, so IV-Präsident Mag. Georg Kapsch in einer
gemeinsamen Pressekonferenz mit IV-Generalsekretär Mag. Christoph
Neumayer heute, Donnerstag, in Wien: "In der Spezialisierungsphase
sollen alle Jugendlichen zwischen differenzierten, aber
gleichwertigen, gegenseitig durchlässigen und hochqualitativen
Bildungswegen wählen können. Kein Bildungsangebot der
Spezialisierungsphase darf einen Startnachteil nach sich ziehen und
es dürfen keine Bildungs-Einbahnen bestehen."
Der Übertritt zwischen all ihren Bildungsangeboten und damit die
"Durchlässigkeit" durch gegenseitige Anerkennung von vermittelten
Kompetenzen sollten in der Spezialisierungsphase leicht möglich sein.
Die Berufs- und Bildungsorientierung müsse - nach Möglichkeit durch
schulexterne Expertinnen und Experten - fixer Bestandteil der
Spezialisierungsphase sein. "Schülerinnen und Schüler sollen in ihren
Berufs- und Bildungsentscheidungen begleitet werden. Dann ist es auch
möglich, den Bildungsweg zu wechseln, falls sich Interessen und
Möglichkeiten ändern", betonte IV-Generalsekretär Mag. Christoph
Neumayer. Auch den aus Sicht der Industrie zentralen MINT-Kompetenzen
müsse in der Spezialisierungsphase ein hoher Stellenwert eingeräumt
werden.
Herausforderungen für Sekundarstufe II
Die berufliche Bildung in Österreich genießt zwar hohes Ansehen,
dennoch habe auch die Sekundarstufe II durchaus ihre Problemfelder.
Insbesondere die 9. Schulstufe, in der oftmals die Schulpflicht
erfüllt werde, stelle für viele Jugendliche einen institutionellen
und biografischen Bruch dar, insbesondere für angehende Lehrlinge.
Letztere absolvieren das Jahr entweder an einer polytechnischen
Schule oder an einer anderen weiterführenden Schule (BHS, BMS oder
AHS). Für diese Schulen stelle diese Praxis allerdings eine Belastung
dar. Die polytechnischen Schulen wiederum würden äußerst
unterschiedliche Qualität in der Erfüllung ihrer Aufgaben der
Berufsorientierung, Aufbau der Vorkompetenzen und Vorbereitung für
ein Lehrverhältnis aufweisen. "Insgesamt muss das Image der Lehre
verbessert werden", so Kapsch.
Gerade die Industrielehrlinge seien ein Beispiel für ein hohes
Kompetenzniveau und gute Arbeitsmarktperspektiven. Die BMS
(berufsbildenden mittleren Schulen) präsentierten sich heute
allerdings als ein unübersichtliches Feld: Die Schulen für
Sozialberufe oder manche technische Fachschulen hätten demnach eine
wichtige Funktion in ihrem Sektor; andere seien "Auffangbecken" für
wenig erfolgreiche Schülerinnen und Schüler.
Reformvorschläge für AHS-Oberstufe
Vergleichsweise geringe Abbruchquoten und generell guter Schulerfolg
dokumentierten die hohe Qualität der AHS-Bildung, erklärte Kapsch:
"Die Schülerinnen und Schüler der AHS bringen hohe analytische und
interdisziplinäre Kompetenzen mit. Allerdings können sie dieses
Potenzial nicht voll ausnutzen." Als Ziele für die AHS der Zukunft
fordere die IV daher, die allgemeinbildenden Inhalte mit einem
sinnstiftenden, stärkeren Anwendungsbezug zu vermitteln und die
Orientierung zu zukünftigen Ausbildungs- und Berufswegen zu
verbessern. Dazu seien Reformen notwendig: Die Berufsorientierung und
-beratung durch professionelle, externe Expertinnen und Experten
müsse als eigenes Schulfach ausgebaut werden. Auch die Teilnahme an
Lehrveranstaltungen weiterführender Bildungsangebote sowie
Mentorinnen- und Mentorenprogramme an den Schulen und Hochschulen
seien dafür anzudenken. Inhaltlich sollten die Lehrpläne der
MINT-Fächer in Hinblick auf eine stärkere Praxisrelevanz in
Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensalltag weiterentwickelt werden.
Dabei sei die wirtschaftliche Grundkompetenz der AHS-Schülerinnen und
-Schüler stärker in den Fokus zu nehmen.
Lehre wieder aufwerten
"Die duale Berufsausbildung bzw. die Lehre ist ein wesentlicher
Pfeiler des österreichischen Berufsbildungswesens. Sie bringt eine
Berufsberechtigung mit sich und weist die stärkste Verbindung mit der
Wirtschaft auf", so Neumayer. Allerdings würden immer wieder Probleme
der Lehrausbildung, wie z.B. die mangelnden Vorkompetenzen der
Lehrlinge, öffentlich thematisiert. In der Spezialisierungsphase
solle die Lehre ihren Stellenwert als gleichberechtigte und
gleichwertige Berufsausbildung zurückbekommen. Dafür schlage die IV
ein vollschulisches Berufsschuljahr als strukturierte, abgestimmte
und sinnvolle Eingangsphase vor. Dieses integriere die Stärken der
polytechnischen Schule und beende das "Absitzen" des letzten
Pflichtschuljahres in anderen Schultypen. Das Kennenlernen einer
gewählten Gruppe von Lehrberufen solle die Vorkompetenzen der
Jugendlichen deutlich erhöhen.
Qualität der BHS ausbauen
"Die BHS (berufsbildenden höheren Schulen) sind ein weltweit
einzigartiges, hoch attraktives Bildungsangebot, das es zu stärken
gilt", so Neumayer. Insbesondere der Erwerb einer Doppelqualifikation
- berufliche Ausbildung und Matura - erkläre den Erfolg dieses
Bildungsangebots. Vor allem den Höheren Technischen Lehranstalten
(HTL) käme eine wichtige Rolle im österreichischen
Berufsbildungssystem zu. Es müsse daher das Ziel sein, das
erfolgreiche Modell der BHS in Abstimmung mit den Bedarfslagen von
Wirtschaft und Industrie weiterzuführen und zu stärken. "Konkret
sollten wir die Lehrinhalte und -strukturen mit Vertreterinnen und
Vertretern aus Industrie und Wirtschaft abstimmen. Außerdem ist uns
auch die Anerkennung bereits in der BHS bewiesener Kompetenzen und
Lernergebnisse an Hochschulen ein Anliegen", so Neumayer. Nicht
zuletzt gelte es, die internationale Sichtbarkeit der BHS zu erhöhen:
durch die adäquate Positionierung der BHS auf Niveau 5 und der
"Ingenieurin" bzw. des "Ingenieurs" auf Niveau 6 des Nationalen
Qualifikationsrahmens könnten österreichischen Unternehmen mit diesen
Qualifikationsprofilen im internationalen Wettbewerb reüssieren.
Feld der BMS bereinigen
"BMS haben die niedrigsten Erfolgsquoten und die höchsten Drop-out
Raten der Sekundarstufe II", betonte der IV-Generalsekretär. Die
Abschlussklasse würden nur rund 45 Prozent eines Einstiegsjahrgangs
erfolgreich abschließen. Außerdem seien BMS-Absolventinnen und
-Absolventen von grundlegenden Veränderungen am Bildungs- und
Arbeitsmarkt betroffen: von der Tertiärisierung der Ausbildungen bis
zum Verdrängungswettbewerb am Arbeitsmarkt mit höheren Ausbildungen.
Dennoch besäßen einige BMS, z.B. bestimmte technischen Fachschulen,
für die Industrie hohe Relevanz, so Neumayer. Die IV fordere daher
tiefgreifende Reformen auf Basis einer Evaluierung der BMS
hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktrelevanz und Funktion innerhalb des
Bildungssystems. Darauf aufbauend sollten die bestehenden BMS-Typen
entweder reformiert oder aufgelassen werden. Zukünftig sollten die
BMS als vollschulisches berufsbildendes Angebot mit hohen
Praxisanteilen eine Brückenfunktion zwischen dualer Ausbildung und
BHS einnehmen. Sie sollten jeweils über einen eigenständigen,
zentralen und standardisierten Abschluss und damit Zugang zu
zumindest einem reglementierten Beruf als Ausgangspunkt für die
weitere Bildungs- und Berufskarriere verfügen. Bildungsmodule und
individuelle fachliche Schwerpunktsetzungen sollten der BMS der
Spezialisierungsphase die Durchlässigkeit zur BHS und zur dualen
Berufsausbildung sichern. Auf die BMS zugeschnittene
Anschlussmöglichkeiten wie z.B. eine für die BMS adaptierte
Berufsreifeprüfung sollten weiters die Einstiegsmöglichkeiten in
weiterführende Bildungsangebote verbessern.
Umfassende IV-Bildungsstrategie "Beste Bildung"
Im Herbst vergangenen Jahres hatte die IV ihren ersten Baustein der
Bildungsstrategie "Beste Bildung" vorgelegt: "Wir haben nicht ohne
Grund mit dem Pflichtschulbereich begonnen. Dort haben wir einfach
die größten Schwierigkeiten. Ein funktionierender Pflichtschulbereich
ist aber die Voraussetzung für jede weitere Stufe", so Kapsch. Die
neue Schule von "Beste Bildung" sei eine in sich differenzierte
gemeinsame Schule vom Schulbeginn bis zum Erreichen der mittleren
Reifeprüfung. Die mittlere Reifeprüfung sei Basis und Voraussetzung
aller weiteren Schulformen.
Alle Informationen zu "Beste Bildung" finden Sie unter
www.iv-net.at/b3596
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