• 30.04.2015, 13:00:01
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Mindestsicherung: Regierung nutzt Steuer-Gegenfinanzierung für unbelegte Sozialschmarotzer-Debatte

Armutskonferenz legt Zahlen vor und vergibt eine Zitrone für die Absicht statt Vermögenssteuern die Mindestsicherung zur Gegenfinanzierung der Steuerreform heranzuziehen.

Utl.: Armutskonferenz legt Zahlen vor und vergibt eine Zitrone für
die Absicht statt Vermögenssteuern die Mindestsicherung zur
Gegenfinanzierung der Steuerreform heranzuziehen. =

Wien (OTS) - "Die aktuelle Zitrone geht an die Regierung", führt die
Armutskonferenz ihre Serie fort, in der sie auf Missstände in der
Gesetzeslage und Vollzugspraxis der Mindestsicherung hinweist. Aus
aktuellem Anlass hat sie sich entschlossen, eine "Sonderzitrone" an
die Bundesregierung zu vergeben. Und zwar für die Unterstellung im
Ministerrats-Vortrag zur Steuerreform, der Missbrauch in der
Bedarfsorientierten Mindestsicherung sei so groß, dass mit seiner
Bekämpfung bedeutsame Beiträge für die Gegenfinanzierung der
Steuerreform lukriert werden könnten.

Wir liefern Daten und Fakten:

1. Zugangsbedingungen als Einladung zum Missbrauch? Das Erschleichen
von Mindestsicherungsleistungen ist aufgrund von umfangreichen
Offenlegungspflichten und Amtshilfe-Abkommen kaum möglich. Weshalb
auch die BMS-Behörden von Missbrauch "im Promillebereich" ausgehen.

2. Arbeitsfähig, aber nicht arbeitswillig? Es wird unterstellt, dass
es bei der Bereitschaft, einen Arbeitsplatz anzunehmen, massive
Probleme gäbe. Die verfügbaren Daten unterstützen diese Aussage
nicht, im Gegenteil. Zum einen ist die Gruppe, um die es geht, klein:
Nur ca. ein Viertel der BMS-BezieherInnen muss sich beim AMS als
arbeitssuchend vormerken lassen. Denn nur eine Minderheit der
BMS-BezieherInnen befindet sich im erwerbsfähigen Alter und ist
gleichzeitig auch erwerbsfähig; andere können den Arbeitsmarkt aus
anerkannten Gründen nicht zur Verfügung stehen. Zweitens gilt: nicht
alle, die als erwerbsfähig gelten, haben reale Chancen auf dem
Arbeitsmarkt.

3. Missbrauchs-Hochburg Wien? Mehr als die Hälfte der
BMS-BezieherInnen Österreichs lebt in Wien. Daraus wird der voreilige
Schluss gezogen, in der Bundeshauptstadt liege massenhafter
Leistungsbetrug vor. Belege für diese Aussage werden keine
präsentiert. Wir liefern andere - und plausiblere - Erklärungen:
Armutsfestere Leistungen als anderswo, der Verzicht auf
problematische Vollzugspraktiken und strukturelle Gründe im
Großstadt-Kontext. Wir veröffentlichen in diesem Zusammenhang Zahlen,
die erstmals zeigen, dass auch in den Bundesländern der Bezug von BMS
ein überwiegend städtisches Phänomen ist.

Mehr als doppelt so starker Mindestsicherungsbezug in Städten
wie St.Pölten, Innsbruck oder Linz

Dass die BezieherInnen-Zahlen in Wien so viel höher sind als in den
anderen Bundesländern, kann nach Auffassung der Kritiker nur einen
Grund haben: laxe Missbrauchs-Kontrollen. Eine Daten-Auswertung zeigt
allerdings, dass für Wien im Großen zu trifft, was auch in den
anderen Bundesländern gilt.
Mindestsicherung wird in Städten österreichweit grundsätzlich
häufiger in Anspruch genommen als in ländlichen Regionen. Es ist uns
gelungen, für 5 Landeshauptstädte aktuelle, aus den Sozial-Ressorts
der Länder stammende Daten zu recherchieren (siehe Tabellen:
http://www.ots.at/redirect/mindestsicherung )

Der Anteil, den BMS-BezieherInnen der jeweiligen Landeshauptstadt an
allen BMS-BezieherInnen des jeweiligen Bundeslandes ausmachen, liegt
um das 2,1-fache (Linz) bis 2,5-fache (St. Pölten, Innsbruck) über
dem Anteil der in der jeweiligen Landeshauptstadt wohnenden
Bevölkerung. So leben beispielsweise in St. Pölten nur 3,2% der
niederösterreichischen Bevölkerung, aber 7,9% der
niederösterreichischen Mindestsicherungs-BezieherInnen. Je mehr
Menschen des jeweiligen Bundeslandes in der Landeshauptstadt leben,
desto höher ist folglich auch der Anteil an den EmpfängerInnen
Bedarfsorientierter Mindestsicherung: Salzburg ist das Bundesland mit
dem größten, in der Landeshauptstadt lebenden Bevölkerungsanteil
(27,5%), und gleichzeitig jenes mit dem höchsten, in der
Landeshauptstadt lebenden Anteil von BMS-BezieherInnen (60,1%).

Dass es in den Städten mehr BezieherInnen von Bedarfsorientierter
Mindestsicherung gibt als am Land, hat unter anderem damit zu tun,
dass es in den Städten weniger Gründe für Nicht-Inanspruchnahme gibt:

1. Anonymität & Scham: Anträge auf Bedarfsorientierte
Mindestsicherung müssen nicht notwendigerweise am Gemeindeamt
gestellt werden. Die AntragstellerInnen müssen sich aber bewusst
sein, dass das Gemeindeamt als Meldebehörde jedenfalls von einem
Antrag erfahren wird. In der Stadt lässt sich das Angewiesensein auf
Mindestsicherung besser vor NachbarInnen und Bekannten verheimlichen.
Die Angst, als Sozialschmarotzer abgestempelt und gemieden zu werden,
ist folglich am Land ein wesentlich stärkerer Faktor für
Nicht-Inanspruchnahme als in der Stadt.

2. Zugang zu Informations- und Beratungsangeboten: Viele
Anspruchsberechtigte wissen gar nichts von ihren Ansprüchen oder
haben falsche Informationen hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten.
Im städtischen Gebiet ist die Versorgung mit
Sozialberatungseinrichtungen wie auch ihre Erreichbarkeit wesentlich
besser als am Land. Damit steigt die Chance, dass Personen in einer
Notlage über ihre Rechte aufgeklärt und bei einer Antragstellung
unterstützt werden.

3. Pfandrecht ans Sozialamt: Ein wichtiger Punkt für den "Verzicht"
auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung sind die strengen
Vermögensverwertungsbestimmungen: wer ein Eigenheim besitzt, muss
dieses nach 6 Monaten BMS-Bezug innerhalb von 2 Jahren im Grundbuch
sicherstellen lassen und damit dem Sozialamt ein Pfandrecht
einräumen. Viele Eigenheim-BesitzerInnen "verzichten" unter diesen
Umständen lieber auf BMS. Einkommensarme Personen leben in der Stadt
wesentlich häufiger zur Miete als am Land, wo das Wohnen im Eigenheim
auch für viele BMS-Anspruchsberechtigte die Regel ist. Die Angst,
dieses Eigenheim zu verlieren oder nur belastet weitervererben zu
können, hält deshalb am Land wesentlich mehr Menschen von einer
Antragstellung ab als in der Stadt, so die Armutskonferenz
abschließend.

Mehr dazu: Langfassung mit Hintergrundinformationen:
http://www.ots.at/redirect/mindestsicherungmissbrauch

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