• 25.11.2014, 14:58:41
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[Refugeeprotest] 2 Jahre nach dem Marsch von Traiskirchen nach Wien.

Refugee-Aktivisten ziehen Bilanz.

Utl.: Refugee-Aktivisten ziehen Bilanz. =

Wien (OTS) - Am 24.11.2012 marschierten mehr als 200 protestierende
Flüchtlinge von Traiskirchen nach Wien. Am selben Tag wurde das
Refugee Protest Camp Vienna im Sigmund-Freud-Park errichtet und es
folgte die mehrmonatige schutzsuchende Besetzung der Votivkirche. Die
Refugees protestierten gegen die Zumutungen des österreichischen
Asylsystems und stellten Forderungen nach grundlegenden Rechten:
freie Wahl des Aufenthaltsortes und Zugang zum öffentlichen Wohnbau;
keine Transfers gegen den Willen der davon Betroffenen; Zugang zu
Arbeitsmarkt, Bildungsinstitutionen und Sozialversicherung; Stopp von
Abschiebungen und Abschaffung der Dublin II-Verordnung; eine
unabhängigen Instanz zur Prüfung aller negativ beschiedenen
Asylverfahren; Anerkennung von sozio-ökonomischen Fluchtmotiven;
Löschung der Fingerabdrücke von Geflüchteten und das Recht,
weiterzuziehen.

Die heutigen Zustände in Traiskirchen und anderen Lagern in
Österreich zeigen eindringlich, dass alle diese Forderungen heute
aktuell sind. Von den Beteiligten der Refugee-Protestbewegung haben
es manche geschafft, ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu erlangen,
während 8 abgeschoben wurden und 6 Personen sich mit einer
Kriminalisierungskampagne unter dem Vorwurf der sogenannten
"Schlepperei" konfrontiert sehen. Zahlreiche Beteiligte der Wiener
Refugeeproteste stehen vor einer ungewissen Zukunft, da ihnen bis
heute eine Entscheidung über ihre Asylanträge vorenthalten wird.
Mehrere Refugee-Aktivisten ziehen vor diesem Hintergrund Bilanz über
2 Jahre Protestbewegung und darüber, wo die Gesellschaft in
Österreich heute steht:

Adalat K. (Swat-Tal, Khyber Pakhtunkhwa, Pakistan), anerkannter
Refugee:
"Vor allem bin ich der Zivilgesellschaft dafür dankbar, nach zehn
Jahren als asylsuchender Flüchtling in Europa endlich internationalen
Schutz bekommen zu haben. Doch es fällt schwer sich zu freuen - als
einer von nur sieben Personen aus dem Refugee Protest Camp Vienna,
denen Asyl zuerkannt wurde. Diese sieben Personen sind für mich ein
Beleg dafür, wie Österreich mit der Vergabe von Schutz umgeht:
Regionale Probleme wie Bombenangriffe, Selbstmordanschläge,
Drohnenangriffe und gezielte Tötungen betreffen nicht nur diese
sieben Personen, sondern tausende von Menschen aus meiner Region, die
davor flüchten. Manche von ihnen schaffen die Flucht, nur wenige
kommen in Europa oder gar in Österreich an. Doch Schutz wird ihnen
hier selten zuerkannt. Es ist ein unmenschliches System. Teil des
Systems ist es auch, unsere erhobenen Stimmen gewaltvoll unterdrücken
zu wollen. Teil des Systems ist es ebenfalls, einzelne Personen aus
unserer Protestbewegung zu kriminalisieren und somit ein schlechtes
Bild von allen Flüchtlingen zu zeichnen. Wir ersuchen nochmals die
österreichische Gesellschaft jene Personen, die nach wie vor auf ihre
Bescheide im Asylverfahren warten, zu unterstützen. Ganz besonders
jene, die unter dem Vorwurf der Schlepperei, monatelang in
Untersuchungshaft waren und denen nun seit März 2014 ein großer
Prozess gemacht wird. Der letzte Verhandlungstag findet am 4.
Dezember 2014 statt. Wir möchten alle Menschen auffordern,
hinzukommen und die Angeklagten sowohl symbolisch als auch politisch
zu unterstützen."

Rahim I., (Swat-Tal, Khyber Pakhtunkhwa, Pakistan), Refugee-Aktivist
im laufenden Asylverfahren:
"Nach zwei Jahren Refugee Protest Vienna und den verschiedenen damit
verbundenen Stationen - dem Sigmund-Freud-Park, der Votivkirche, dem
Servitenkloster, Unterkünften bei Unterstützer*innen und für einige
von uns schließlich dem Refugeehaus - ist die Protestbewegung sehr
vielen Menschen ein Begriff geworden. Auch die Behörden kennen uns
sehr gut, wie auch unsere Fluchtgeschichten. Die Behörden sind immer
noch dabei, sehr viele unserer noch offenen Asylverfahren zu
prüfen.Viele dieser auf Schutz wartenden Refugee-Aktivisten stammen
aus sehr gefährlichen Regionen: Waziristan, dem Swat-Tal, Khyber
Agency, Kurram Agency, Khyber Pakhtunkhwa, Stammesgebieten in
Pakistan und Afghanistan. Unter uns befinden sich Personen aus exakt
denselben Gegenden: Manche von ihnen bekamen Asyl, sehr viele warten
aber noch immer vergeblich darauf. Ich warte mit Freunden aus der
Refugeebewegung bereits seit 2,5 Jahren. Was sollen wir tun in dieser
Zeit? Der Arbeitsmarkt bleibt uns verschlossen, wir dürfen nicht
studieren. Uns bleibt Essen und Schlafen übrig. Das ist kein
menschenwürdiges Leben. Es gleicht viel eher einem Gefängnis, welches
für Refugees in ganz Europa, Kanada, den Vereinigten Staaten oder
Australien existiert und aufgerüstet wird. Es sind mächtige und
reiche Länder dafür verantwortlich. Länder, welche groß von
Menschenrechten sprechen. Doch es erscheint mir lediglich als eine
Farce. Diese Länder sind verantwortlich für weltweite Kriege und
Krisen und begegnen den Menschen, die davor flüchten müssen, mit
zusätzlichen Menschenrechtsverletzungen. Viele von uns sind gut
ausgebildet, besitzen Berufserfahrung, auch im sozialen Bereich und
warten darauf, endlich ein sicheres Leben beginnen zu dürfen. Es gibt
kaum etwas Schlimmeres als die Ungewissheit.
Persönlich werde ich immer Menschlichkeit und Menschenrechte
unterstützen. Wir werden unsere Kämpfe fortführen, bis allen Menschen
die gleichen Rechte zugestanden werden. Menschenrechte sind vor
Religionen gereiht. In diesem Land wird aber sehr viel Stimmungsmache
gegen Geflüchtete gemacht. Die Menschen, die hier Schutz suchen, sind
meist selbst vor Krieg oder Terrorismus geflüchtet und möchten ein
friedliches und sicheres Leben führen. Wir möchten die
österreichische Gesellschaft deshalb auffordern, gemeinsam mit uns
für Menschenrechte einzutreten!"

Numan M., Aktivist der Refugee-Bewegung, Student in Wien:
"Die Refugeebewegung blickt nach wie vor voraus, Änderungen in der
Flüchtlingspolitik zu bewirken. Eine Priorität ist es, das Recht auf
Arbeit(szugang) für Asylsuchende zu erzielen. Außerdem fordern wir
positive Entscheide der Asylgerichte für all jene, die sich noch
immer im Verfahren befinden. Was genau zu diesem Zeitpunkt in
Fieberbrunn in Tirol passiert, verdeutlicht, dass es bis zum heutigen
Tage keine Lösungen für Asylwerber*innen in Österreich gibt. Deshalb
solidarisiert sich der Refugee Protest Vienna mit den Menschen, die
in Tirol kämpfen und unterstützt deren Forderung, das Isolationslager
Bürgelkopf/Fieberbrunn zu schließen. Wir fordern die zuständigen
Behörden außerdem auf, rechtliche Schritte gegen diejenigen zu
setzen, die das Flüchtlingslager vor Kurzem angegriffen haben! Die
Taten der Rechtsextremen in Tirol erinnern stark an Zustände in
Griechenland, wo Asylsuchende von Rassist*innen der "Golden Dawn"
terrorisisiert und angegriffen werden. Was uns in Griechenland
begegnete, möchten wir in Österreich nicht wiederholt sehen! Zwei
Jahre nach dem Protestmarsch möchten wir anklagen, dass sich die
Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Traiskirchen nur
verschlechtert haben: Diese finden keine menschenwürdige
Unterbringung vor, einige werden aus dem Lager sogar hinausgeworfen,
ihnen wird Eintritt verweigert und sie finden sich auf der Straße
wieder. Die Menschen sollten sich bewusst sein, dass eine weitere
Protestbewegung immer entstehen wird, wenn schutzsuchenden Personen
Unterkunft verweigert wird und sie keinen Raum zum Leben haben!
Innerhalb Wiens wiederum fällt die starke Präsenz von Polizeikräften
um U-Bahnstationen auf. Diese Repression durch Polizei an
öffentlichen Räumen richtet sich nicht nur gezielt gegen
Migrant*innen, sondern auch gegen junge Menschen aller
Nationalitäten. Wir schätzen die Protestbewegungen in unseren
Nachbarländern und senden wärmste solidarische Grüße! Vor allem an
jene Refugees in Münschen, die gegenwärtig in einen neuen
Hungerstreik getreten sind."

***
Aus aktuellem Anlass weisen wir nochmals darauf hin, dass für 4.
Dezember die Abschlussplädoyers und schließlich die Urteilsverkündung
im "Schlepperei"-Prozess am Landesgericht in Wiener Neustadt geplant
ist. Verschiedene Gruppen laden dazu ein, an diesem Tag ein starkes
Signal der Solidarität mit den Angeklagten, gegen die
Kriminalisierung von Migration und Flucht und für die Abschaffung des
rassistischen "Schlepperei"-Paragraphen §114 FPG zu setzen.

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