• 10.11.2014, 19:39:54
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Nicht nur Bildung, auch Gesundheit wird sozial vererbt

Parlamentarische Kinderrechte-Enquete befasst sich mit Gesundheitsfragen und Recht auf ein gewaltfreies Leben

Utl.: Parlamentarische Kinderrechte-Enquete befasst sich mit
Gesundheitsfragen und Recht auf ein gewaltfreies Leben =

Nicht nur Bildung, auch Gesundheit wird sozial vererbt
Parlamentarische Kinderrechte-Enquete befasst sich mit
Gesundheitsfragen und Recht auf ein gewaltfreies Leben

Wien (PK) - Am Nachmittag setzte die Parlamentarische Enquete zum
Thema "25 Jahre UN-Kinderrechtskonvention" ihre Beratungen mit den
Themen Kinder- und Jugendgesundheit sowie Recht auf ein gewaltfreies
Leben fort. Wie der Klaus Vavrik von der Liga für Kinder- und
Jugendrechte schilderte, gibt Österreich im Vergleich zu den
insgesamt recht hohen Gesundheitsausgaben relativ wenig für Kinder-
und Jugendgesundheit aus. Konkret wies er in diesem Zusammenhang auf
den eklatanten Mangel an Therapieplätzen für Kinder und Jugendliche
hin.

Pamela Rendi-Wagner vom Gesundheitsministerium machte darauf
aufmerksam, dass Studienergebnissen zufolge nicht nur Bildung,
sondern auch Gesundheit sozial vererbt wird. Die Gesundheit einer
Person im Erwachsenenalter hänge eng mit dem sozioökomischen Status
dieser Person als Kind zusammen, unabhängig vom späteren sozialen
Status der Betroffenen skizzierte sie. Für mehr Bewegung und Sport
plädierte die Geschäftsführerin der Bundessportorganisation Barbara
Spindler, ihrer Darstellung nach erfüllt lediglich ein Fünftel der
11- bis 15-jährigen SchülerInnen die Empfehlungen des Fonds Gesundes
Österreich, wonach Kinder und Jugendliche täglich mindestens 60
Minuten mit mittlerer Intensität körperlich aktiv sein sollen. Von
Seiten der jugendlichen Enquete-TeilnehmerInnen wurde unter anderem
auf den hohen Leistungsdruck in der Schule und damit verbundene
psychische und physische Folgen aufmerksam gemacht.

Vavrik: Österreich gibt zu wenig für Gesundheitsförderung aus

Primarius Klaus Vavrik von der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit
wies eingangs seines Statements auf Art. 24 der UN-
Kinderrechtskonvention hin, wonach jedes Kind ein Recht auf das
erreichbare Höchstmaß an Gesundheit und auf Inanspruchnahme der
vorhandenen Gesundheitseinrichtungen habe. In Österreich sei dieses
Recht durch einen Anspruch jedes Kindes auf bestmögliche Entwicklung
und Entfaltung umgesetzt. Dass in der Realität noch einiges nötig
ist, um dieses Ziel zu erreichen, veranschaulichte Vavrik anhand von
Zahlen und Fakten.

Österreich sei das elftreichste Land der Welt und nehme mit
Gesundheitsausgaben in der Höhe von 10,3% des BIP Platz 5 im
internationalen Ranking ein, skizzierte Vavrik etwa. Dennoch habe die
OECD Österreich, was Kinder- und Jugendgesundheit betrifft, an die
letzte Stelle der EU-Länder gereiht. Während Deutschland rund 8,3%
der Gesundheitsausgaben für unter 20-Jährige verwende und der EU-
Durchschnitt bei 6,4% liege, seien es in Österreich nur 5,8 %.
Österreich habe auch die höchste Rate von jugendlichen RaucherInnen
und sei bei Suchtentwicklungen, Fettleibigkeit und Gewalterfahrung
ganz weit oben.

Vavrik forderte in diesem Sinn mehr Bewusstseinsbildung. In den
vergangenen Jahren sei zwar auf Planungs- und Strategieebene viel
geschehen, sagte er, die Frage sei aber, was bei den Betroffenen
wirklich ankomme. Ein Problem ist für ihn auch die niedrige
Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau, dadurch wachse der Druck auf
Kinder und Jugendliche enorm. Die Eltern wünschten sich ihr einziges
Kind möglichst perfekt.

Generell gab Vavrik zu bedenken, dass Österreich zu wenig für
Gesundheitsförderung und Prävention tue. Er urgierte unter anderem
mehr Teamarbeit in Schulen von SozialarbeiterInnen, SchulärztInnen
und anderen Verantwortlichen. Zudem fehlen ihm zufolge tausende
Therapieplätze. Im Bereich der Rehabilitation stehen laut Vavrik
7.700 Rehabplätze für Erwachsene, 30 bis 40 Plätzen für Kindern
gegenüber. Es brauche auch eine kostenfreie Mitbetreuung der Eltern,
mahnte er. Weiters forderte Vavrik die Verankerung der
Kinderrechtskonvention in vollem Umfang in der Verfassung und eine
Kinderrepräsentation im Parlament.

Rendi-Wagner: Gesundheit wird sozial vererbt

Pamela Rendi-Wagner, Leiterin der Sektion öffentliche Gesundheit im
Gesundheitsministerium, wies darauf hin, dass Kinder die gesündeste
Gruppe aller Generationengruppen darstellten. Das allgemeine
Krankheitsbild habe es sich aber stark verändert und sich weg von
akuten hin zu chronischen Erkrankungen entwickelt, schilderte sie.
Ursache dafür sind nicht zuletzt ungünstige Verhaltensweisen von
Kindern und Jugendlichen.

Laut Rendi-Wagner isst nur ein Viertel der Jugendlichen täglich Obst
und Gemüse. 20% der SchülerInnen greifen täglich zur Zigarette. Ein
Viertel der Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 15 ist
übergewichtig oder fettleibig, was einem Plus von 50 % gegenüber den
90er-Jahren entspricht. Rendi-Wagner hält es in diesem Sinn für
notwendig, bewusstseinsbildende Maßnahmen zu setzen. Kinder könnten
gesündere Verhaltensweisen nicht nur am leichtesten lernen, sondern
würden auch am längsten davon profitieren. Deshalb ist für sie die
Förderung von Kindergesundheit besonders wirksam und nachhaltig.

Als maßgebliche Instrumente zur Förderung von Kinder- und
Jugendgesundheit nannte Rendi-Wagner neben der 2011 publizierten
Kinder- und Jugend-Gesundheitsstrategie den Mutter-Kind-Pass und das
öffentliche Kinderimpfkonzept. Der Mutter-Kind-Pass sei ein
Meilenstein der letzten Jahre gewesen, müsse aber weiterentwickelt
und die dafür verwendeten 55 Mio. € pro Jahr zielgerichteter
eingesetzt werden, hob sie hervor. Wesentlich ist für die Expertin
auch ein gesünderes Schulbuffet.

Mit Verweis auf Studienergebnisse machte Rendi-Wagner darauf
aufmerksam, dass die Gesundheit einer Person im Erwachsenenalter mit
ihrem sozio-ökonomischen Status als Kind zusammenhänge, und zwar
unabhängig vom späteren sozialen Status der betreffenden Person.
Nicht nur Bildung werde sozial vererbt, sondern auch Gesundheit,
folgert sie.

Spindler: Viele Kinder und Jugendliche haben Bewegungsdefizit

Barbara Spindler, Geschäftsführerin der Österreichischen
Bundessportorganisation (BSO), wies auf die hohe Bedeutung von
körperlicher Aktivität für Gesundheit und Lebensqualität hin und
wertete es in diesem Sinn als Alarmsignal, dass der Anteil der
"Couchpotatoes" und Bewegungsverweigerer in Österreich erschreckend
hoch ist. Auch unter Kinder und Jugendlichen nehme das
Aktivitätslevel mit Schuleintritt deutlich ab, skizzierte sie. Unter
den 11- bis 15-jährigen SchülerInnen erfülle lediglich ein Fünftel
die Empfehlungen des Fonds Gesundes Österreich, wonach Kinder und
Jugendliche täglich mindestens 60 Minuten mit mittlerer Intensität
körperlich aktiv sein sollen. Mädchen sind noch inaktiver als
männliche Jugendliche.

Dabei habe Bewegung und Sport nicht nur positive Auswirkungen auf die
physische Gesundheit, sondern fördere auch das Selbstbewusstsein,
reduziere Depressionen und vermindere soziale Isolation, macht
Spindler geltend. Durch Teilnahme an Mannschaftssportarten würden
außerdem soziale Fähigkeiten wie Kooperation geschult. Auch mit
kognitiver Entwicklung könnten Bewegung und sportliche Aktivität
nachweislich in Zusammenhang gebracht werden.

Der Nationale Aktionsplan Bewegung (NAP.b) werde daher vom BSO voll
unterstützt, betonte Spindler. Man müsse Kindern bereits im
Kindergarten- und Volksschulalter Freude an Bewegung vermitteln und
sollte sie aus Angst vor Verletzungen auch nicht allzu sehr "in Watte
packen", meinte sie. Erfreut äußerte sich Spindler auch darüber, dass
ein erster Gesetzentwurf zur täglichen Bewegungseinheit in Schulen
vorliege und mit Sport- und FreizeitpädagogInnen ein neues Berufsbild
geschaffen worden sei.

Jugendliche warnen vor zu viel Leistungsdruck

Als betroffene Jugendliche forderten Hannah Czernohorszky, Hannah
Korinth und Cornelia Schenk vom Netzwerk Kinderrechte Österreich
unter anderem eine tägliche Sportstunde bis zur achten Schulstufe und
ein Pflichtfach Ernährungslehre in der neunten Schulstufe. Zudem soll
ihnen zufolge allen Kindern die Möglichkeit geboten werden, das
"Erlebnis Kochen" in der Volksschule auszuprobieren. Durch falsche
Ernährung und zu wenig Sport entstünden der Gesellschaft hohe Kosten,
gab Hannah Korinth zu bedenken. Jeder ist für seine Gesundheit auch
selbst verantwortlich, ergänzte Hannah Czernohorszky, um gesund zu
leben müsse man aber wissen, was gut für einen ist, wo Grenzen
gezogen werden müssen und wo Gefahren lauern.

Den Appell an die Erwachsenen, öfter zu Fuß zu gehen statt ein Taxi
zu nehmen und anstelle des Lifts die Stiegen zu benutzen, verbanden
die Jugendlichen mit praktischen Übungen und animierten die Enquete-
TeilnehmerInnen am Platz zu laufen, zu springen und sich im Kreis zu
drehen.

Speziell mit der Frage der psychischen Gesundheit setzte sich
Cornelia Schenk auseinander. In der Schule gebe es einen enormen
Leistungsdruck, an dem ihr zufolge vor allem Schülerinnen und Schüler
kaputt gehen, die auch im privaten Umfeld große Probleme haben. Die
meisten LehrerInnen seien auch nicht im Umgang mit depressiven
SchülerInnen geschult, kritisierte sie. Wichtig wären für sie auch
mehr Workshops zum Thema Mobbing.

Auch in der an die Referate anschließenden Diskussion war der
Leistungsdruck an Schulen bei den jugendlichen Enquete-
TeilnehmerInnen wiederholt Thema. So gab Daniel Preglau zu bedenken,
dass die hohe Belastung von SchülerInnen Ursache vieler psychischer
und physischer Erkrankungen sei. Für ihn wäre es ein Lösungsansatz,
die Schulnoten ersatzlos zu streichen und stattdessen ein
individuelles Leistungsprofil für alle SchülerInnen einzuführen.
Ebenfalls auf den enormen Leistungsdruck wies Tamara Reitbauer hin.

Sayed Adel Sadat hob die Bedeutung des Sports für die Gesundheit von
Kindern und Jugendlichen hervor. Alexander Rötzer kritisierte die
schlechte Verpflegung in Schulkantinen. Muchammad Magomadow verwies
auf die Schwierigkeit, die er hatte, sich als jugendlicher
Kriegsflüchtling in Österreich zu integrieren.

Wölfl: Kinderrechte bei Neuregelung der Reproduktionsmedizin
berücksichtigen

Auf Probleme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ging auch
Eva Kern vom Don Bosco Flüchtlingswerk Austria ein. Sie machte
geltend, dass sich die Betroffenen mit dem ihnen zur Verfügung
stehenden Verpflegungsgeld nicht gesund ernähren könnten. Sie
kritisierte überdies den schwierigen Zugang der Betroffenen zu
therapeutischem Angebot.

Manuela Schalek, Children Care, bekräftigte, dass auch Kinder ein
Recht auf Krankenstand haben. Kinder würden oft krank in den
Kindergarten geschickt, weil die Pflegefreistellung aufgebraucht sei,
bzw. nicht in Anspruch genommen werden könne, bemängelte sie. Man
brauche ein professionelles Betreuungsnetz in Österreich.

Michael Rauch, Kinder- und Jugendanwalt in Vorarlberg, beklagte das
Ungleichgewicht von Prävention und Rehabilitation in Österreich und
verwies auf tausende fehlende Therapieplätze. Für ihn ist es außerdem
ein unhaltbarer Zustand, dass nur sechs Kinderrechte in der
Verfassung verankert sind. Alexandra Lugert vom Familienbund sieht
einen Aufholbedarf, was die Aufklärung über Drogen- und
Alkoholmissbrauch betrifft. Den Wunsch, dass mehr Menschen die
Kinderrechte auch leben, äußerte Elisabeth Schaffelhofer-Garcia
Marquez vom Netzwerk Kinderrechte.

Hedwig Wölfl, Bundesverband der österreichischen PsychologInnen,
sprach sich schließlich dafür aus, im Zuge einer zeitgemäßen Regelung
der Möglichkeiten medizinischer Reproduktion vor allem auch Anliegen
von Kindern zu berücksichtigen, etwa was das Recht hat auf Auskunft
über ihre Herkunft betrifft.

Posch-Gruska: Kinderlärm darf nicht mit Baulärm gleichgesetzt werden

Seitens der Politik brachte Bundesratsvizepräsidentin Inge Posch-
Gruska (S) das immer wieder diskutierte Problem Kinderlärm zur
Sprache. Sie wandte sich strikt dagegen, Kinderlärm mit Baulärm oder
Fluglärm gleichzustellen, und bekräftigte, Kinder müssten lachen und
spielen dürfen. Sie plädierte - wie der Kinder- und Jugendanwalt
Rauch - überdies dafür, einen eigenen Kinderrechteausschuss im
Parlament einzurichten.

SPÖ-Abgeordnete Angela Lueger warb für eine zeitgemäße Überarbeitung
des Mutter-Kind-Passes und wies darauf hin, dass es zu wenig
SonderkindergartenpädagogInnen gebe, um Kinder mit logopädischen
Schwierigkeiten gezielt zu unterstützen. Landtagsabgeordneter Lukas
Mandl (V) sprach sich in diesem Zusammenhang dafür aus, den Mutter-
Kind-Pass in einen Eltern-Kind-Pass umzuwandeln. Grün-Abgeordnete
Tanja Windbüchler-Souschill bedauerte, dass das in Art. 24 der UN-
Kinderrechtekonvention verankerte Recht auf das erreichbare Höchstmaß
an Gesundheit und die Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen in
Österreich nicht zur Gänze umgesetzt sei, etwa was das Recht von
Kindern auf Therapie betrifft.

Recht auf ein gewaltfreies Leben - für Kinder und Jugendliche

"Die Kinderrechtskonvention ist sehr wichtig für den Schutz der
Kinder vor Gewalt", sagte Rosa Logar von der Interventionsstelle
gegen Gewalt in der Familie in ihrer Einleitung des letzten Panels
der Enquete, in der es um den Schutz der Kinder vor Gewalt ging. Die
Referentin berichtete aus ihrem Arbeitsalltag und ortete gefährliche
Lücken in den an sich guten Gesetzen zum Schutz von Kindern und
Müttern vor Gewalt. Es fehlten personelle und finanzielle Mittel.
Nicht einmal 10 % der Kinder und Jugendlichen, die direkt von Gewalt
betroffen sind, können betreut werden. Die Familienministerin sollte
daher dringend die notwendigen Mittel bereitstellen und einen One-
Stop-Shop einrichten, in dem Kinder und Jugendliche, die in einer
Hölle der Gewalt leben, beraten werden, während auch die Mütter
Beratung erhalten.

Es fehle auch an Schutz für Kinder bei großer Gefahr, stellte Rosa
Logar fest und schilderte tragische Beispiele, in denen die Justiz
auf gefährliche Drohungen nicht reagiert habe. "Wir brauchen mehr
Sensibilität in der Justiz für die Gefahren, die Kinder drohen",
sagte die Expertin. Bestürzt zeigte sich Logar angesichts von Fällen,
in denen Gerichte Elternrechte vor Kinderrechte stellen und
gemeinsame Obsorge ermöglichen, obwohl Gewalt in der Familie
herrsche. "Das verletzt die Rechte der Kinder und Jugendlichen auf
ein Leben ohne Gewalt", sagt Rosa Logar. Ihre weiteren Vorschläge
betrafen die Ausweitung des polizeilichen Betretungsverbotes auf
Jugendliche, Richtlinien für Staatsanwälte für den Umgang mit Gewalt
in der Familie, auf aktiven Schutz von Kindern und Müttern vor
Gewalt, sowie auf das Recht aller Kinder und Mütter, in einem
Frauenhaus Zuflucht zu finden - unabhängig von ihrem
Aufenthaltsstatus.

Wissen für Eltern statt "handgreiflicher" Ratschläge

Reinhard Neumayer sprach als Psychologe der Kinder- und Jugendhilfe
in Niederösterreich und führte Zorn und Resignation bei Erwachsenen
und jungen Menschen auf Überforderungen und auf das Gefühl der
Hilflosigkeit zurück. Manche suchten in dieser Lage einen Feind und
Situationen, in denen sie sich - bis zur nächsten Niederlage - als
Sieger fühlen können. Neumayer problematisierte "handgreifliche"
Ratschläge für Eltern und machte darauf aufmerksam, dass Kinder und
Jugendliche in einer Gesellschaft leben, in der man Filme sehe, in
denen Freundlichkeit als Schwäche dargestellt werde. Man sollte sich
fragen, welche Lebenserfahrungen junge Menschen haben und ob sie mit
dem, was sie von Erwachsenen lernen, im Zusammenleben mit anderen
Menschen etwas anfangen können. "Wir brauchen Eltern, Erzieher und
Erwachsene, die es sich selber zutrauen, einen kleinen Konflikt oder
einen größeren Streit nicht mit Macht- und Kraftvorführungen
auszutragen", verlangte Neumayer. Zum Recht der Kinder und
Jugendlichen auf ein gewaltfreies Leben gehört auch die Information
der Eltern über Kindererziehung. Mütter und Väter müssen wissen, was
sie Kindern in ihrer Erziehung zutrauen können, sagte der Experte und
warnte vor Anforderungen wie "Sauber mit einem Jahr, Gitarre mit
drei, Motorcross mit fünf und Kiddy-Contest-Siegerin mit sieben".
Politik, Familie, Nachbarn und Öffentlichkeit müssen gegen Gewalt
klar Position beziehen, Hilfen anbieten und Alternativen zur
Gewalttätigkeit im Bewusstsein verankern.

Besserer Schutz und mehr Hilfe für kindliche Gewaltopfer

Reinhard Topf, klinischer Psychologe im St. Anna Kinderspital,
berichtete von seinen Erfahrungen beim Kinderschutz in der
forensischen Psychiatrie. Kinderschutzgruppen klären interdisziplinär
Verdachtsfälle von Gewalt bei Krankenhauskontakten von Kindern und
Jugendlichen. Zwei Drittel der Verdachtsfälle richteten sich auf
Elternteile des Kindes, der Rest auf nahe Angehörige, berichtete
Topf. Mit ihren Kinderschutzgruppen sind die Spitäler zu Partnern der
Jugendfürsorge geworden. Mängeln ortete der Referent beim
langfristigen Opferschutz sowie bei der gerichtsrelevanten
Dokumentation von Verletzungen, was immer wieder zu Freisprüchen
führe und es den Opfern unmöglich mache, berechtigte Forderungen vor
Gericht durchzusetzen. Topf bedauerte das Fehlen einer forensischen
Untersuchungsstelle in Wien und informierte über ein Expertenkonzept
für die Gründung einer Beratungsstelle, die eine einfühlsame und
schmerzfreie Untersuchung des Kindes ermöglicht.

Anhand eines Rechnungshofsberichts kritisierte Topf den
Kompetenzwirrwarr bei der Förderung von Familien und Kindern bei
Armut und Krankheit der Kinder. Betroffene Familien müssten über
Wissen wie ein Sozialexperte verfügen, um bei schweren oder
chronischen Erkrankungen soziale Hilfe in Anspruch zu nehmen. Vor
allem dann, wenn Sprachbarrieren bestehen. Ein One-Stop-Shop könnte
Abhilfe schaffen, sagte Topf. Unerträglich sei die Situation von
Kindern, die an einer lebenslimitierenden Erkrankung leiden. Für sie
seien die extramuralen und stationären Betreuungsangebote zu
verstärken und besser zu vernetzen.

Keine Rückkehr in Gewaltfamilien

Tamara Reitbauer vertrat die Ansicht, man sollte die Rückführung von
Kindern in Familien, in denen sie Gewalt ausgesetzt waren,
überdenken. Sie sollen nicht zur Rückkehr aus einer liebevollen
Umgebung zu ihrer ursprünglichen Familie gezwungen werden können,
sagte Tamara Reitbauer, deren Schlusswort lautete: "Gewalt beginnt an
Grenzen im Kopf". Seelische Gewalt finde zu wenig Beachtung, meinte
Angelika Wachter. "Seelische Gewalt verletzt ebenso wie körperliche
Gewalt", man sollte ihr mit strengen Strafen begegnen, die Opfer
unterstützen und die Eltern über die Folgen seelischer Gewalt
gegenüber Kindern aufklären, sagte Angelika Wachter.

Muchammad Magomadow illustrierte die Verletzungen von Kindern, die in
Kriegsgebieten aufwachsen müssen und appellierte an die Teilnehmer
der Enquete, sich für Kinder zu engagieren, die mit Todesstrafe,
Folter und Missbrauch bedroht werden. Die Integration von
Flüchtlingen in die Gesellschaft sei wichtig, aber auch der Schutz
ihrer Kultur. "Niemand soll seine Identität aufgeben müssen", sagte
Magomadow.

Christine Laimer berichtete in der Diskussion zum Thema Schutz vor
Gewalt von KindergärtnerInnen, die sich scheuten, das Jugendamt
einzuschalten, weil sie fürchteten, die Kinder könnten ihren Eltern
weggenommen werden. Überforderte Eltern seien zu unterstützen und man
müsse alles versuchen, damit Kinder bei ihren Eltern bleiben können.
Man sollte Kinder nur in notwendigen Fällen aus ihren Familien
nehmen.

Gewaltschutzpaket für Kinder und Jugendliche

Wissenschaftler Helmut Sax verstand die Kinderrechte auch als ein
Instrument, das Institutionen helfe, ihre Arbeit zu reflektieren.
Anhand von Rechtsstandards können Kinderschutzeinrichtungen die
Kundenorientierung ihrer Leistungen überprüfen und eine
Feedbackkultur einrichten. Kinder brauchen ein flächendeckendes
Angebot an Schutz und Menschen, die Kinderrechte umsetzen, eine
entsprechende Ausbildung. Konkret plädierte Sax dafür, ein
Kindergewaltschutzpaket zu schnüren. Hannah Czernohorsky warnte
davor, in Fällen von Gewalt gegen Kinder wegzuschauen und plädierte
nachdrücklich dafür, Kindern bewusst zu machen, welche Rechte sie
haben.

Ana Blatnik: Ausschuss für Kinderschutz und Kinderrechte

Die Präsidentin des Bundesrates Ana Blatnik bekundete den
Jugendlichen Respekt: Sie haben ihre Position mit großem
Selbstbewusstsein in der heutigen Enquete kundgetan. Blatnik gab
ihrer Freude darüber Ausdruck, dass auch in der kommenden Enquete des
Bundesrates, in der es um die Lehrlingsausbildung gehe, junge
Menschen ihre Anliegen vortragen werden. "Kinder haben das Recht,
ohne Gewalt aufzuwachsen", betonte Blatnik und sagte: "Die Zukunft
beginnt jetzt - handeln wir. Kinderschutz und Kinderrechte verlangen
nach der Einrichtung eines eigenen Ausschusses".

Mehr internationales Engagement Österreichs

Es sei so einfach für ein Land wie Österreich, sich in der Welt gegen
Gewalt an Kindern zu engagieren, sagte Anton Kühnelt-Leddihn von
World Vision Austria. Er trat jüngsten Äußerungen in der
Öffentlichkeit gegen Aslyanten entgegen - dies sei auch als
psychische und verbale Gewalt gegen Kinder zu werten.

Reicht der Schutz vor sexueller Gewalt aus?

Katharina Wirth wiederum zeigte sich empört darüber, dass die
Verletzung von Urheberrechten strenger bestraft werde als
Vergewaltigung und verlangte, die Rechte von Opfern sexuellen
Missbrauchs zu stärken. SPÖ-Bundesrätin Ingrid Winkler registrierte
in der Debatte Lücken beim Kampf gegen den Kinderhandel, wobei sie
darauf aufmerksam machte, dass 15 % der Opfer des Menschenhandels
Kinder seien. Die Parlamentarierin drängte auf die Umsetzung eines
Konzepts, das der Nationalrat für die Identifizierung der Opfer des
Menschenhandels verlangt habe. Die für 2015 geplante Reform des
Strafrechts sollte auch die dringend notwendige Reform des
Sexualstrafrechts beim Problemkomplex Cybermobbing und
Kinderpornografie umfassen.

ÖVP-Abgeordnete Angela Fichtinger sah es als Aufgabe der Politik an,
Kinder, Jugendliche und Familien vor Gewalt zu schützen. In allen
Diskussionen seien Jugendliche einzubeziehen, sagte die
Kommunalpolitikerin und berichtete von guten Erfahrungen mit
Kindergemeinderäten.

Natascha Prinz hielt fest, dass die "Gsunde Watschn" sehr wohl schade
und warnte vor jeder Form von Gewalt an Kindern - sie hinterlasse
immer seelische Schäden. Julia Guggenberger machte sich für die
Gleichbehandlung aller Menschen stark und erteilte jeglicher Gewalt
gegen Menschen eine klare Absage.

Jugendliche an Politik: Ergebnisse der Enquete umsetzen

Sebastian Merten appellierte an die Politiker, sich die Ergebnisse
der Enquete nicht nur zu Herzen zu nehmen, sondern auch umzusetzen.
Schüler und Lehrer sollten in Fragen der Zentralmatura besser
einbezogen werden und der vorgeschlagene Ausschuss für Kinder und
Jugendliche eingerichtet werden.

ÖVP-Abgeordneter Nikolaus Prinz befasste sich mit Fragen der
Integration von Flüchtlingen und betonte die Notwendigkeit, dass
Menschen, die in Österreich leben, Deutsch lernen und die
österreichische Kultur anerkennen. Im Umgang mit Asylwerbern
plädierte er angesichts aktueller Erfahrungen für eine passende
Wortwahl und unterstrich die Notwendigkeit, das gegenseitige
Verständnis zu vergrößern. "Gehen wir aufeinander zu!"

Jedes Kind hat eigene Rechte

Klaus Vavrik von der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit machte
darauf aufmerksam, dass Kinder Subjekte mit eigenen Rechten sind und
wies darauf hin, dass Gewalt gegen Kinder einerseits oft von Eltern
ausgehe und Kinder zudem strukturelle Gewalt erleiden. Vavriks
Vorschlag: Gründung einer Kinderschutzallianz.

Brigitte Pörsch (Kija Steiermark) konkretisierte den Begriff
strukturelle Gewalt, indem sie ausführte, dass bei Kindern, die fremd
untergebracht seien, manchmal Geschenke oder Telefonate ihrer Eltern
nicht ankommen oder ihr Geburtstag übersehen werde. Es sei dringend
notwendig, die Lebensbedingungen von Kindern, die fremd untergebracht
werden, zu verbessern. Ein Kind erleide aber auch strukturelle
Gewalt, wenn sich seine Eltern das Essen im Hort nicht leisten
können.

Elke Nachtmann übte Kritik an der negativen Darstellung von Familien
beim Thema "Gewalt gegen Kinder". Tatsächlich sorgen Familien dafür,
dass Kinder gedeihlich aufwachsen, sagte die Vertreterin des FPÖ-
Familienverbandes. "Wir brauchen die Familien, damit Kinder eine
positive Entwicklung nehmen können. Schützen wir die Familien",
lautete das Schlusswort von Elke Nachtmann.

Kinder- und JugendsprecherInnen: Junge Menschen in politische
Entscheidungen einbinden

Die Enquete schloss mit Statements der Kinder- und
JugendsprecherInnen der Fraktionen. Einhellig zeigten sie sich
begeistert vom Engagement der Jugendlichen und sprachen sich dafür
aus, junge Menschen stärker in politische Entscheidungen einzubinden.

Katharina Kucharowits, Kinder- und Jugendsprecherin der SPÖ, brachte
ihre Unterstützung für den breiten Katalog an Forderungen, der in den
Beiträgen der Enquete formuliert wurde, zum Ausdruck. Sie versicherte
den jugendlichen TeilnehmerInnen, dass ihre Anliegen von der Politik
ernst genommen werden.

Der ÖVP-Jugendsprecher Asdin El Habbassi sagte, es sei heute viel von
Problemen in Familien die Rede gewesen. Im Idealfall sollte die
Familie jedoch ein Teil der Lösung sein und nicht das Problem. Wo es
Probleme gebe, müsse aber die Gesellschaft für die Wahrung der
Kinderrechte sorgen.

Petra Steger, Sprecherin der FPÖ für Jugend und Sport, hielt
grundsätzlich mehr Information über die Kinderrechte für notwendig.
Das sei auch eine Aufgabe der politischen Bildung. Zum Thema Familie
meinte sie, es dürfe nicht sein, dass Kinder haben mit
Armutsgefährdung gleichzusetzen ist.

Der Jugendsprecher der Grünen Julian Schmid gab seiner Hoffnung
Ausdruck, dass die Rechte, die in der UN-Kinderrechtkonvention
formuliert sind, bald für alle Kinder und Jugendlichen, gleich
welcher Herkunft, zur lebendigen Selbstverständlichkeit werden.

Rouven Ertlschweiger, Jugendsprecher des Team Stronach, zeigte sich
erfreut, dass es in der Frage der Bedeutung der Kinder- und
Jugendrechte einen Konsens über alle Parteigrenzen hinweg gibt.

Für Nikolaus Scherak, den Jugendsprecher der NEOS, ist Partizipation
der zentrale Begriff vieler politischer Forderungen, die an diesem
Tag erhoben wurden. Österreich sei der Frage der Kinder- und
Jugendrechte eine klare völkerrechtliche Verpflichtung eingegangen,
sagte er; es sei daher hoch an der Zeit, diese Rechte ohne jede
Einschränkungen in der österreichischen Verfassung zu verankern.

(Schluss Enquete) gs/fru/sox

HINWEIS: Fotos von der Enquete finden Sie im Fotoalbum auf
www.parlament.gv.at.

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NPA

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