Nur vier davon gesetzlich geregelt, Neonicotinoide und Glyphosat besonders auffällig.
Utl.: Nur vier davon gesetzlich geregelt, Neonicotinoide und
Glyphosat besonders auffällig. =
Wien (OTS) - Im Rahmen des ORF-Schwerpunkts "Mutter Erde braucht
dich" ließ die österreichische Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000
insgesamt 75 Wasserproben aus 42 Fließgewässern, neun Hausbrunnen und
drei öffentlichen Leitungsnetzen an der Lebensmittelversuchsanstalt
(LVA) Klosterneuburg auf Pestizide untersuchen. Die jeweils größten
Flüsse der Bundesländer, sieben Messpunkte vom Wulka-Ursprung bis zur
Mündung in den Neusiedlersee sowie drei Trinkwasserproben wurden
zusätzlich am Umweltbundesamt Wien, dem wissenschaftlichen Partner
von "Mutter Erde braucht dich", mithilfe des dort entwickelten
"Indikatorentests" auf Abwassereinträge aus dem Haushalt sowie auf
Weichmacher (sog. Phthalate) untersucht.
Regional unterschiedliche, teilweise sehr hohe Pestizidbelastungen
In 22 der 42 stichprobenartig untersuchten österreichischen Flüsse
wurden insgesamt 60 verschiedene Pestizide nachgewiesen. 15 davon
gelten als hormonell wirksame Chemikalien, die u.a. mit Missbildungen
bei Fischen und Amphibien in Zusammenhang gebracht werden. "Die
vorgefundenen Pestizidbelastungen waren regional sehr
unterschiedlich. Während die Mehrzahl der untersuchten Gewässer keine
oder nur geringe Pestizidbelastungen aufwiesen, traten in
landwirtschaftlich intensiv bewirtschafteten Regionen des
Burgendlands (Wulkatal) und im niederösterreichischen Marchfeld in
den Flüssen Rußbach und Mühlbach mit bis zu 40 Pestiziden in einer
Probe alarmierend hohe Belastungen auf", berichtet DI Dr. Helmut
Burtscher, Umweltchemiker bei GLOBAL 2000.
Dr. Saskia Knillmann, Ökotoxikologin am renommierten deutschen
Helmholz-Zentrum für Umweltforschung, welche die Testergebnisse einer
ökotoxikologischen Bewertung unterzog, kommentiert die Ergebnisse wie
folgt: "Die in Mühlbach und Rußbach mehrfach gemessenen
Pestizidbelastungen üben auf zahlreiche Wasserorganismen negative
Effekte aus. Ähnliche Effekte sind auch für den
niederösterreichischen Ilzbach und die burgenländische Raab und Wulka
zu erwarten und in den burgenländischen Fließgewässern Lafnitz,
Zickenbach und Eisbach, sowie im Annabach und im Inn bei Innsbruck
nicht auszuschließen."
Neonicotinoide und Glyphosat besonders auffällig
Die auf Basis des am Helmholz-Instituts entwickelten SPEAR-Konzepts
abgeleiteten negativen Effekte auf zahlreiche Arten von Krebstierchen
und Wasserinsekten führen zu einer Beeinträchtigung des aquatischen
Ökosystems. Hauptverantwortlich hierfür waren die beiden Insektizide
Thiacloprid und Imidacloprid aus der Gruppe der Neonicotinoide.
Neonicotinoide sind als "sehr giftig für Wasserorganismen" eingestuft
und wurden von der EU bereits im Vorjahr wegen ihrer
Bienengefährlichkeit mit Teilverboten belegt, aufgrund derer die
Neonicotinoid-Hersteller Bayer und Syngentha die EU-Kommission
geklagt haben. Die mengenmäßig stärksten Belastungen von
Fließgewässern verursachten das hormonell wirksame Totalherbizid
Glyphosat sowie die Herbizide Metamitron und MCPA.
Die EU-Wasserrahmenrichtlinie blendet Pestizide aus
Bis 2015 müssen alle europäischen Gewässer einen guten ökologischen
und chemischen Zustand aufweisen, so will es die Zielvorgabe der
EU-Wasserrahmenrichtlinie. Die Bewertung des chemischen Zustands
erfolgt anhand einer Liste prioritärer Stoffe, die im Rahmen der
Gewässerüberwachung untersucht werden müssen. Doch von den 60
Pestiziden, die in der Stichprobenuntersuchung österreichischer
Fließgewässer gefunden wurden, sind gerade einmal vier in der
Wasserrahmenrichtlinie geregelt. Die restlichen 56 sind de facto für
die chemische Wasserqualität irrelevant, denn weder müssen sie
untersucht werden, noch existieren Umweltnormen oder Grenzwerte für
ihre Konzentration in Gewässern. Helmut Burtscher erläutert: "Für die
Pflanzenschutzmittelindustrie ist das eine komfortable Situation.
Pestizidhersteller wie Bayer, Syngenta oder BASF müssen gegenüber den
Zulassungsbehörden anhand von Daten zwar "belegen", dass ihre
Pestizide Oberflächengewässer nicht in inakzeptabler Weise
beeinträchtigen, doch ob sich das in der Realität dann auch
tatsächlich so verhält, wird mangels gesetzlichen Auftrags nicht
überprüft. Und das obwohl Pestizide zu jenen Chemikalien mit der
höchsten Toxizität für Wasserorganismen zählen."
Arzneimittelrückstände, Zuckerersatzstoffe und PVC-Weichmacher
hinterlassen Spuren
"Wie wir leben, hinterlässt Spuren in der Umwelt", erklärt Dr. Karl
Kienzl, stv. Geschäftsführer des Umweltbundesamtes. In unserer
Gesellschaft werden eine Vielzahl von Chemikalien, Pestiziden,
Bioziden, Lebensmittelzusatzstoffen oder Arzneimittelwirkstoffen in
Haushalten, Industrie und Gewerbe oder in der Landwirtschaft
verwendet und können nach ihrer Verwendung in das Abwasser und über
das Abwasser in Fließgewässer und das Grundwasser gelangen. Die
Abwasserzusammensetzung spiegelt unser Konsumverhalten wider und
diese Spuren anthropogener Nutzungen finden sich dann auch in
Gewässern wieder.
Im Labor des Umweltbundesamts wurden 16 Fließgewässerproben und drei
Trinkwasserproben auf Indikatoren für kommunale Verunreinigungen und
Weichmacher, sog. Phthalate, hin untersucht. "Die Ergebnisse zeigen,
dass Phthalate in zehn der 16 untersuchten Fließflächengewässer
nachweisbar sind, die gemessenen Konzentrationen allerdings gering
ausfallen. Im Falle des Phthalats DEHP existiert ein Grenzwert für
Oberflächengewässer, der in allen untersuchten Proben deutlich
unterschritten wird", fasst Kienzl die Ergebnisse zusammen.
Um auch geringe Abwasserbeeinflussungen aufzeigen zu können, werden
im Indikatortest Stoffe untersucht, die über Kläranlagen nur wenig
abgebaut werden. Dabei handelt es sich um Arzneimittelwirkstoffe,
synthetische Süßstoffe und Industriechemikalien. Bei den
Fließgewässern wurden mit Ausnahme der Betablocker die analysierten
Indikatoren in allen Proben gefunden. Die gemessenen Konzentrationen
schwanken stark in Abhängigkeit vom Gewässer und korrelieren in den
jeweiligen Gewässern mit den Abwassermengen die aus kommunalen
Kläranlagen eingeleitet werden. Die höchsten Konzentrationen wurden
im Eisbach gemessen, einem Zubringer der Wulka, der wenig Wasser
führt und sehr stark abwasserbeeinflusst ist.
"Indikatorsubstanzen, Nährstoffe, Spurenstoffe oder Pestizide können
über verschiedene Eintragspfade ins Gewässer gelangen. Auch wenn wir
diese Substanzen in den Fließgewässern nachweisen, ist die
Wasserqualität in Österreich insgesamt doch gut. Das ist auch auf die
sehr gute Abwasserreinigung zurückzuführen, die einen wesentlichen
Beitrag zum Gewässerschutz liefert und organische Belastung,
Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor und auch Spurenstoffe
zurückhält", so Kienzl.
Helmut Burtscher ergänzt: "Vergleicht man die Ergebnisse unserer
Untersuchung mit Daten aus anderen europäischen Ländern, zeigt sich,
dass Österreich immer noch - und das ist sehr erfreulich - einen
hohen Anteil von wenig belasteten Gewässern aufweist. Die punktuell
hohen Pestizidbelastung in manch intensiv bewirtschafteten Regionen
Österreichs zeigen aber auch die Notwendigkeit einer Trendwende in
der konventionellen Landwirtschaft, hin zu einer naturnaheren
Bewirtschaftungsweise mit geringerem Einsatz von Chemie. Damit das
gelingt, braucht es aber die Rückendeckung von Politik und Handel für
die österreichischen Landwirte."
Zum Schutz der Gewässer fordert GLOBAL 2000:
1. Die Belastung von Gewässern durch Schadstoffe, die herkömmliche
Kläranlagen passieren können, insbesondere durch
Arzneimittelwirkstoffe, muss in Hinblick auf ihr Ausmaß und ihre
Wirkungen auf das Ökosystem genauer erforscht werden.
2. Zum Schutz von Gewässern vor Pestizideintrag sollten
Abstandsstreifen, Baumreihen und Hecken geschaffen werden.
2. Ein umfassendes Monitoring der Pestizidbelastung in Österreichs
Gewässern sowie ein Monitoring der Effekte auf Makroinvertebraten
muss eingeführt werden.
3. Förderprogramme für den Verzicht auf Neonicotinoide und Glyphosat
sowie der schrittweiser Ausstieg aus hormonell wirksamen Pestiziden
sind vorzusehen
4. Einführung einer Pestizidsteuer mit Zweckwidmung für die
Folgekosten, die durch den Pestizideinsatz verursacht werden.
"Die Landwirtschaft steht an einer Weggabelung zwischen Monokultur
und Vielfalt, zwischen Chemiekeule und naturnaher Bewirtschaftung. BM
Rupprechter halten Sie ihr Versprechen und zeigen Sie den Weg auf für
eine naturnahe produzierende österreichische Landwirtschaft", so
Burtscher.
Mutter Erde braucht dich - Wasserschwerpunkt im ORF
"Die Initiative "Mutter Erde braucht dich" hat für ihr Gründungsjahr
bewusst das Thema Wasser gewählt, weil Wasser unserer aller
Lebensgrundlage ist. Gerade die Ergebnisse der heute präsentierten
Untersuchungen zeigen eindrucksvoll, dass sich dieser genauere Blick
auf scheinbar bekannte Dinge wie eben unser Wasser lohnt", so
Hildegard Aichberger, Projektleiterin der Initiative.
"Mutter Erde braucht dich" ist der Titel einer Initiative des ORF und
Österreichs führenden Umwelt- und Naturschutzorganisationen
Alpenverein, Birdlife, GLOBAL 2000, Greenpeace, Naturfreunde,
Naturschutzbund, VCÖ und WWF. Ziel ist es, durch Information
Bewusstsein für Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu schaffen und
Spendengelder für Umwelt- und Naturschutzprojekte zu sammeln.
Zwischen 31. Mai und 6. Juni präsentiert der ORF in seinen Medien
eine Schwerpunktwoche zum Thema "Wasser" mit der "Mutter
Erde"-Spendenshow am 6. Juni um 20.15 Uhr in ORF Eins als Höhepunkt.
Weitere Informationen zu den GLOBAL 2000 Wassertests finden Sie unter
www.global2000.at
Informationen zum ORF Schwerpunkt "Mutter Erde braucht dich" finden
Sie unter www.muttererde.at
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