- 24.04.2014, 13:17:04
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AK kritisiert Investitionsschutzabkommen: "Privatisierung der Gerichtsbarkeit"
Freihandelsabkommen wie TTIP machen Klagen internationaler Konzerne gegen Staaten möglich - Betroffene analysieren Erfahrungen in Investitionsstreitfällen
Utl.: Freihandelsabkommen wie TTIP machen Klagen internationaler
Konzerne gegen Staaten möglich - Betroffene analysieren
Erfahrungen in Investitionsstreitfällen =
Wien (OTS) - "Dies kommt einer Privatisierung der Gerichtsbarkeit
gleich", erklärt Mahnaz Malik, eine erfahrene Anwältin und
Schiedsrichterin aus London bei der Veranstaltung von Arbeiterkammer,
der Wirtschaftsuniversität Wien und der Österreichischen
Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) mit
internationalen ExpertInnen rund um Investitionsschutz- und
Freihandelsabkommen. "Was normalerweise nationale Richter machen,
wird in Investor-Streitbeilegungsverfahren von privaten
Ad-hoc-Schlichtungsstellen zu einem höheren Preis erledigt", so
Malik. Auch das EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP könnte derartiges
möglich machen. Regelungen im öffentlichen Interesse können dadurch
ausgehebelt werden. Mittlerweile wurden etwa der Atomausstieg in
Deutschland, Mindestlöhne in Ägypten oder
Konsumentenschutzbestimmungen für RaucherInnen in Australien von
internationalen Konzernen vor derartigen Gremien anhängig gemacht.
"Die derzeitige Verhandlungspause im TTIP bietet endlich die
Möglichkeit, dass der maßlose Investorenschutz öffentlich breit
diskutiert wird", so Valentin Wedl, Leiter der Abteilung EU und
Internationales der AK Wien. "Es kann doch nicht sein, dass sich
inter-nationale Konzerne exklusive Klagsrechte herausschlagen, um
demokratische Entschei-dungen entwickelter Rechtsstaaten wie
Österreich, Kanada oder der USA auszuhebeln".
"Braucht es ein solches System?"
Sind Investitionsschutzabkommen ein Problem? Für Anwältin Malik
kommt es auf die Perspektive an. "Aus der Perspektive des
ausländischen Investors sind die Sonderklagerechte nützlich. Für
Staaten weniger, für sie ist es schwierig, teuer und einseitig. Sie
kön-nen in dieser Konstellation nur auf der Anklagebank sitzen. Aber
vor allem - und das gilt für beide Seiten - ist der Ausgang eines
Schiedsverfahrens unvorhersehbar." Maliks Bedenken: Anders als
Entscheidungen von nationalen Gerichten können Entscheidungen von
privaten Schiedsgerichten wie ICSID nicht in einer zweiten Instanz
beurteilt und geändert werden, sie sind bindend. Gleichzeitig
entscheiden verschiedene Schiedsgerichte in vergleichbaren Fällen oft
sehr unterschiedlich. Ein weiterer Kritikpunkt: Verfahren vor
privaten Schiedsgerichten sind teuer. Allein die durchschnittlichen
Verfahrenskosten vor einem internationalen Schiedsgericht wie ICSID
belaufen sich auf rund 800.000 US Dollar. Dazu kommen Anwaltskosten
von mehreren Millionen Dollar, von den Schadenersatzzahlungen im Fall
einer Niederlage durch den Staat noch gar nicht zu sprechen. Malik:
"Wozu, wenn es funktionierende, nationale Gerichte gibt? Ich kann
nicht erkennen, wie Österreich davon profitieren soll, wenn es
US-Investoren diese Rechtsprivilegien bietet."
Die Zahl an Investitionsstreitfällen nimmt zu
Allein im letzten Jahr wurden 60 neue Klagen von ausländischen
Investoren gegen Staaten erhoben, mehr als die Hälfte davon gegen
Entwicklungsländer. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn es
fehlt an Transparenz. Vor allem US-Konzerne haben bereits mehr als
120 Klagen eingereicht. Inzwischen haben einige Länder nach breiten
öffentlichen Diskussionen ihre Abkommen aufgekündigt, so etwa
Südafrika und Indonesien. In anderen Ländern wird aktuell darüber
debattiert. Zu den am meisten verklagten Staaten zählen Argentinien
und Venezuela, schon an dritter Stelle kommt jedoch ein Nachbarland
Österreichs, die Tschechische Republik. Klagen gegen
EU-Mitgliedstaaten machen 21 Prozent aller Klagen aus, meist sind es
Klagen gegen jüngere Mitgliedstaaten, etwa die Tschechische Republik,
Ungarn, Polen, Slowakei oder Kroatien. Aber auch Spanien wurde im
vergangenen Jahr achtmal verklagt, Grund waren etwa krisenbedingte
Kürzungen bei Förderungen.
Österreich hat derzeit 62 bilaterale Abkommen mit
Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren. Bisher ist Österreich noch
nicht auf Basis dieser Abkommen verklagt worden, österreichische
Unternehmen hingegen haben die bilateralen Vereinbarungen genützt um
andere Staaten zu klagen.
"Investoren kommen, egal ob es Investitionsschutzabkommen gibt
oder nicht"
Patience Okala, Mitglied der Investitionsförderungskommission in
Nigeria hat Erfahrung mit Klagen gegen den Staat Nigeria. Auch
derzeit ist eine Klage anhängig. In Nigeria verhandelt die Regierung
derzeit ein neues Musterabkommen, weil sie in Zukunft nicht mit
zahlreichen Klagen konfrontiert werden wollen. Künftig sollen
Investitionsschutzabkommen deshalb auch sozialen und
umweltpolitischen Anforderungen gerecht werden. Als Entwicklungsland
ist Nigeria auch von ausländischen Investitionen abhängig.
Investitionsschutzabkommen sind aus ihrer Sicht auch eine
Möglichkeit, hierfür Anreize zu schaffen. Aber: "Unabhängig davon, ob
es Investitionsschutzabkommen gibt oder nicht, kommen ausländische
Investoren ins Land, weil sie natürliche Ressourcen nutzen wollen",
erklärt Okala.
Karin Küblböck, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der ÖFSE,
sieht eine weitere Gefahr in den Abkommen: "Solche
Schiedsgerichtsverfahren haben auch Einschüchterungspotential in
anderen Staaten, die sich künftig zweimal überlegen, ähnliche Gesetze
zu erlassen, wenn sie dadurch Gefahr laufen, teuer vor
Schiedsgerichten verklagt zu werden."
Aufgrund der aktuellen breiten Kritik und öffentlichen Diskussion
leitete die EU-Kommission Ende März 2014 eine öffentliche
Konsultation über Investitionsstreitverfahren im TTIP ein. Die
Arbeiterkammer fordert insbesondere:
+ Aussetzen der gesamten Verhandlungen mit den USA, nicht nur im
Hinblick auf Investitionsstreitigkeiten, und breit angelegte
öffentliche Debatte über alle Vertragsinhalte
+ Volle Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen: "Sagt uns, was ihr
verhandelt."
+ Reform von österreichischen Investitionsschutzabkommen
+ Keine Investitionsschutzbestimmungen und kein
Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren in Freihandelsabkommen mit
Drittstaaten wie den USA oder Kanada
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