Wien (OTS) - Wien (OTS) - Erleichterung und Freude in Wiener
Neustadt: Am fünften Verhandlungstag im Prozess gegen acht Refugees
aus dem Umfeld der Refugee-Protestbewegung wurden heute alle
Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach 8 Monaten
enthaftet. Der Prozess wurde von der Richterin auf 6.Mai vertagt.
"Die Vorgangsweise im Verfahren ist sensationell: Es kann nicht sein,
dass das Gericht die Aufgaben der Anklagebehörden macht. Der Prozess
wurde auf vertagt, weil die Richterin aufgrund der Anklageschrift
kein seriöses Beweisverfahren durchführen kann. Das Gericht überlegt
sich also erst JETZT, welche konkreten Taten den jeweiligen
Angeklagten vorgeworfen werden" so Rechtsanwalt Mag. Gerhard Angeler.
Zur Erinnerung: Ende Juli 2013 wurden acht Refugees unter dem
Vorwurf, Mitglieder eines "Schlepperringes" zu sein, festgenommen.
Wie schon beim Tierschutzprozess wird hier versucht, einen
politischen Protest durch Repression zu zerschlagen und eine
kriminelle Vereinigung zu konstruieren. In diesem Fall handelt es
sich um Aktivisten der Refugee-Protestbewegung, die als Betroffene
zum ersten Mal selbstbestimmt auf die Mängel im österreichischen
Asylsystem aufmerksam machten. Die Festnahmen erfolgten am zweiten
Tag der Abschiebungen von acht Aktivisten nach Pakistan und Ungarn.
Diese Vorfälle haben eine breite Solidarisierung der
Zivilgesellschaft mit den Abgeschobenen hervorgerufen. Damit
Innenministerin Mikl-Leitner mitten im ÖVP Wahlkampf nicht in
Erklärungsnot geriet, wurde die durch Hartnäckigkeit unangenehm
gewordene Protestbewegung medial als "brutaler, millionenschwerer
Schlepperring" denunziert.
"Es ist menschenrechtswidrig, gegen Gruppierungen, die eine
Protestbewegung bilden, so vorzugehen und ihnen ein Verfahren zu
machen. Das ist ein Versuch, Widerstand mundtot machen" so
Rechtsanwältin Dr. Michaela Lehner.
Das nun letzte Woche begonnene Verfahren hat erstmals die Angeklagten
zu Wort gebracht. Diese sprechen von Hilfsleistungen bei der
Unterstützung anderer Flüchtlinge auf ihrem Weg zu Asylverfahren in
EU-Ländern. Es gibt keinen legalen Weg außerhalb der Festung Europa
einen Asylantrag zu stellen. Die momentane europäische Gesetzeslage
zwingt Refugees, auch im vermeintlich grenzenlosen EU-Raum
Fluchthilfe zwischen den Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen:
Aufgrund der nicht standardisierten Asylquoten migrieren z.B. viele
pakistanische Staatsbürger*innen von Österreich nach Italien oder
Deutschland, weil sie dort vielfach höhere Chancen auf positive
Asylverfahren haben. Genau in diesem Zusammenhang haben die
Angeklagten Hilfeleistungen erbracht.
Auch die Richterin verwendet bereits nach dem ersten Verhandlungstag
Begriffe wie "Nachbarschaftsdienste" und "Freundschaftsdienste" gegen
kein oder nur geringes Entgelt. Die selbst geflüchteten Refugees
zeigen sich im Verfahren teilgeständig mit der Begründung, dass es
kein Verbrechen sein kann, Freund*innen oder Bekannten auf der Flucht
zu helfen.
Ein Refugeeaktivist richtet sich an die Öffentlichkeit: "Wenn du
einer Person, die sich in Lebensgefahr befindet, auf der Flucht
hilfst, kann es doch kein Verbrechen sein!" Er ergänzt: "Acht Monate
Gefängnis, aus welchen Grund? Aufgrund welcher Beweise? Liebe
Bürger*innen, unterstützt die Angeklagten. Sie sind keine
Menschenschlepper, sondern selbst Geflüchtete, die für ein sicheres
Leben nach Österreich gekommen sind." Weiters: "Wenn die Behörden
Schlepperei wirklich beenden wollen, sollen sie die Grenzen öffnen!"
Medien und Unterstützer*innen sind bei jedem Verhandlungstag vor
Gericht und berichten über die skandalöse und fahrlässige
Ermittlungsarbeit der Behörden im polizeilichen Abschlussbericht, auf
dem die Anklage basiert: hypothetische Annahmen, kopierte
Wikipediaeinträge, Übersetzungsfehler, willkürliche
Personenzuordnungen, Faktenüberschneidungen, Konstrukte noch nicht
ausgeforschter "Schlepperbosse" im Ausland. Der Akt wird von den
Anwält*innen als unwürdig bezeichnet. Auch die Haftbedingungen
stellen laut Anwält*innenschaft Verletzungen des Grundrechts auf
Privat- und Familienleben dar.
Heute, am fünften und vorerst letzten Verhandlungstag kam die
Staatsanwältin den Verteidiger*innen "aus Gründen der
Verhältnismäßigkeit" mit einem Antrag auf Enthaftung zuvor. "Die
Staatsanwaltschaft hat einen Enthaftungsantrag gestellt, weil die
Untersuchungshaft unverhältnismäßig war. Die Angeklagten waren seit
Ende Juni 2013 in U-Haft", erklärt Rechtsanwältin Dr. Michaele
Lehner. "Es hat sich herausgestellt, dass sich die Anklagepunkte
überschneiden, sprich, die ermittelnden Behörden sehr oberflächlich
gearbeitet haben. Wer, was, wo gemacht hat, ist nicht spezifiziert
worden, wie es in einer Anklageschrift sein müsste." Rechtsanwalt
Mag. Gerhard Angeler ergänzt: "Die Staatsanwältin hat die letzte
Möglichkeit genutzt, das Gesicht zu wahren und hat gerade noch die
Kurve gekratzt. Die Anwält*innen hätten in der heutigen Verhandlung
ohnehin Enthaftungsanträge gestellt und wären zusätzlich auf die
unklare Anklage eingegangen."
"Das Verfahren zeigt, wie wichtig eine starke unabhängige
Rechtsanwaltschaft für einen demokratischen Rechtsstaat ist. Das
polizeiliche Kartenhausgebilde wackelt ordentlich!" schließt
Rechtsanwalt Mag. Josef Phillip Bischof ab.
Solidarität mit den Angeklagten ist nach wie vor wichtig! Die
Enthaftung entspricht keinesfalls einer Freisprechung. Das Verfahren
ist lediglich pausiert. Dies ermöglicht es den Anwält*innen und
Angeklagten, sich mit Hilfe von Übersetzer*innen genauer mit dem
polizeilichen Abschlussbericht sowie Protokollen der abgehörten
Telefonate auseinanderzusetzen. Es handelt sich hier um Berge von
Akten und 10 DVDs der Telefonüberwachung. Diese Arbeit benötigt
finanzielle Unterstützung. Alle Infos zum Prozess und ein
Spendenkonto für Rechtshilfe und Übersetzungsarbeit sind zu finden
auf: solidarityagainstrepression.noblogs.org
Wir fordern Freisprüche für alle angeklagten Refugees!
Kein Mensch ist illegal - Bleiberecht überall!
Migration und Protest dürfen nicht kriminalisiert werden!
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | OHW