• 13.01.2014, 14:43:42
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Vordernberg: "Wahrung der Grundrechte sichergestellt"

Auslagerung von "nicht hoheitlichen Leistungen" an privaten Sicherheitsdienst G4S

Utl.: Auslagerung von "nicht hoheitlichen Leistungen" an privaten
Sicherheitsdienst G4S =

Wien (OTS) - Weniger emotional als zuletzt in den Medien wurde das
Thema "Vordernberg - rechtliche Grenzen der Auslagerung von
Sicherheitsaufgaben" in der heutigen vom
Menschenrechtskompetenzzentrum der Wiener Rechtsanwaltskanzlei
Lansky, Ganzger + partner veranstalteten Expertendiskussion
behandelt. Hannes Tretter, Universitätsprofessor, Leiter des
Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte und
Menschenrechtsberater von Lansky, Ganzger + partner, meinte, dass in
der ersten medialen Berichterstattung deswegen heftige Kritik
geäußert wurde, weil von Seiten des Innenministeriums nicht die
nötigen Informationen über die rechtliche Regelung der Öffentlichkeit
zur Verfügung gestellt wurden. Das habe zu zahlreichen
Missverständnissen geführt.

Die zwischen dem Bundesministerium für Inneres und der Gemeinde
Vordernberg sowie der G4S abgeschlossenen Verträge und auf diesen
beruhenden Weisungen sollen laut Tretter sicherstellen, dass die
Grundrechte der Angehaltenen gewahrt werden. Aus grundrechtlicher
Sicht gebe es bei der Auslagerung von nicht hoheitlichen Leistungen
im Schubhaftzentrum Vordernberg, wie beispielsweise
Gebäudemanagement, Verpflegung, Reinigung und Büchereibetrieb, in der
Regel keine Bedenken. Aber, so der Menschenrechtler, stelle die
Personen- und Gepäckskontrolle durch den privaten Auftragnehmer einen
grundrechtssensiblen Bereich dar.

Matthias Wechner, Österreich-Vorstand von G4S, dem
Generalunternehmer der Gemeinde Vordernberg, stellte klar, dass das
Schubhaftzentrum entgegen der bisherigen Medienberichte nicht von G4S
betrieben werde. G4S sei lediglich Verwaltungshelfer für die Gemeinde
und übernehme als solcher keine Sicherheitsaufgaben. Wechner
bekräftigte: "Wir wollen einen menschlichen und ethischen Ansatz
anwenden. Wir haben strenge Maßstäbe bei der Auswahl der Mitarbeiter
und auf deren psychologische Schulung und laufende Weiterbildung wird
großer Wert gelegt." Die 100 Mitarbeiter wurden alle in der Region
Steiermark rekrutiert und für den Einsatz speziell ausgebildet. 75
Prozent des Personals sind weiblich.

Polizei trägt Verantwortung

Mathias Vogl, Sektionschef im Innenministerium, betonte: "Wir
haben in Vordernberg eine Aufgabenteilung, aber keine
Verantwortungsteilung, denn die Verantwortung der obersten Organe
bleibt gewahrt." Eine Sicherheitsverwahrung sei immer nur durch die
Polizei möglich. Für Vogl gibt es einen unbegründeten
Misstrauensvorschuss. Man solle das System arbeiten lassen und bei
Bedarf nachträglich durch entsprechende Weisungen und
Vertragsergänzungen präzisieren. Vogl: "Wir haben nichts zu verbergen
und wir werden unser Bestes tun, um zu beweisen, dass diese
Konstruktion im offenen Vollzug funktionieren kann." Vogl wies auch
darauf hin, dass es auch im Strafvollzug längst Mitarbeiter für die
Durchführung von nicht hoheitlichen Aufgaben gebe. Auch dürfe man
nicht vergessen, dass keine Risikopersonen in Vordernberg angehalten
werden.

Vergaberechtlich und unionsrechtlich seien Ausschreibung und
Vergabe völlig in Ordnung, stellte Alexander Egger,
Vergaberechtsspezialist bei Lansky, Ganzger + partner, fest. Wegen
der großen Verantwortung wurde in der Ausschreibung nach einem
Unternehmen mit Erfahrung im Betrieb von Gefängnissen gesucht.
Aufgrund dieses Kriteriums hätten sich andere Interessenten
zurückzogen. Bei der Ausschreibung habe sich das Innenministerium
sogar für die strengeren unionsrechtlichen Gesetze entschieden,
obwohl diese bei Ausschreibungen im staatlichen Sicherheitsbereich
nicht erforderlich seien.

"Im Kern ist diese Auslagerung für Österreich nichts Neues",
stellte Rechtsanwalt Gerald Ganzger von Lansky, Ganzger + partner
fest. "Es ist ein Faktum, dass weltweit immer mehr Aufgaben an
Private vergeben werden, bei Sicherheitskontrollen auf Flughäfen ist
das längst der Fall", so Ganzger. Wichtig sei, dass die
grundrechtlichen und verfassungsrechtlichen Erfordernisse eingehalten
werden, so Menschenrechtsexperte Tretter.

Auf die Frage, wie die Mitarbeiter von G4S in einem Notfall
reagieren würden, antwortete G4S-Chef Wechner: "Sollte es zu einem
sicherheitstechnischen Vorfall kommen, werden sofort die Kollegen von
der Polizei gerufen." Laut Verfassungsrichter Georg Lienbacher
besteht in dieser Situation bis zum Eingreifen der Polizei das Recht
auf Nothilfe. Für Lienbacher ist die Erfüllung zahlreicher
Sicherheitsaufgaben ohne Private nicht mehr möglich. Es gebe vielmehr
kaum Bereiche, wo das kein Thema sei - ob Massenprüfungen an der
Universität oder Campusbewachung: Solange private
Sicherheitsmitarbeiter nicht hoheitlich eingreifen, sei die Situation
unproblematisch. Wenn diese rechtswidrig agieren oder Maßnahmen
ergreifen, zu denen sie nicht berechtigt sind, müsse von den
betroffenen Angehaltenen entweder zivilrechtliche Klage und/oder eine
strafrechtliche Anzeige erhoben werden.

Kritik, dass es sich bei der Ausbildung für die G4S-Mitarbeiter um
ein psychologisches Schnellsiedeprogramm handle, lässt Matthias
Wechner, Österreich-Vorstand von G4S nicht gelten. "Unsere
Mitarbeiter haben im Gegensatz zu anderen Verwaltungshelfern an der
Schnittstelle zu sicherheitspolitischen Aufgaben ein intensives
Ausbildungsprogramm absolviert", so Wechner. Darüber hinaus sei das
Interesse so groß gewesen, dass es auch nach der Inbetriebnahme
laufende Weiterbildungen und Mediationen für die Mitarbeiter geben
werde. Wechner betonte, dass sein Unternehmen und seine Mitarbeiter
an die Weisungen des Innenministeriums gebunden sind, obwohl der
Vertrag mit der Gemeinde Vordernberg abgeschlossen wurde.

Menschenrechtler Tretter verlangte schließlich nach einer
Präzisierung bzw. gesetzlichen Regelung des grundrechtlichen
Schutzes, damit es im Falle eines rechtswidrigen Handelns durch die
privaten Mitarbeiter auch die Möglichkeit gibt, eine
Maßnahmenbeschwerde nach dem Sicherheitspolizeigesetz vor den
Verwaltungsgerichten zu ergreifen. Angehaltene, die sich in einem
besonderen Gewalt- und Rechtsverhältnis befinden, lediglich auf den
zivil- und strafrechtlichen Rechtsweg zu verweisen, widerspreche dem
menschenrechtlichen Grundsatz einer effektiven Beschwerdemöglichkeit
vor einer nationalen Instanz. Auch Schadenersatzansprüche müssen im
Wege eines Amtshaftungsverfahrens geltend gemacht werden können.

Das Anhaltezentrum Vordernberg wird am 15. Jänner 2014 eröffnet.
Zum ersten Mal bei einem österreichischen Anhaltezentrum wurden nicht
hoheitliche Aufgaben an ein Privatunternehmen ausgelagert. Der
Auftrag in der Höhe von rund 68 Mio. Euro und einer Mindestlaufzeit
von 15 Jahren wurde von der Gemeinde Vorderberg an das
Sicherheitsunternehmen G4S vergeben. Das neue Anhaltezentrum
Vordernberg bietet bis zu 200 Schubhäflingen Platz.

Die Diskussionsrunde zum Thema "Vordernberg - rechtliche Grenzen
der Auslagerung von Sicherheitsaufgaben" wurde am 13. Jänner 2014 im
Rahmen der Menschenrechtsgespräche vom Kompetenzzentrum für Grund-
und Menschenrechte der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Lansky, Ganzger +
partner (LGP) veranstaltet. Bei den Menschenrechtsgesprächen finden
im kleinen, geladenen Kreis aus Politik, Justiz und Verwaltung,
Wirtschaft und Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft Vorträge
und Diskussionen hochrangiger Fachleute über aktuelle
menschenrechtliche Fragen, Entwicklungen und Herausforderungen statt.
Das Kompetenzzentrum ist seit seiner Gründung 2009 in einer Vielzahl
von Verfahren und Projekten aktiv.

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