Wien (OTS) - Die beiden Senate des Presserates beschäftigten sich mit
mehreren Artikeln in der "Kronen Zeitung" bzw. auf "www.krone.at"
über die Flüchtlinge aus dem Servitenkloster und stellten Verstöße
gegen die Punkte 2 und 5 des Ehrenkodex für die österreichische
Presse (korrekte Recherche und Persönlichkeitsschutz) fest. Alle
Artikel wurden von Leserinnen und Lesern an den Presserat
herangetragen.
ENTSCHEIDUNG DES SENATS 2
Der Senat 2 des Presserats hatte drei Berichte mit den Überschriften
"Flüchtlinge als Schlepper verdienten zehn Millionen", "So brutal war
das Schlepper-Syndikat!" und "So brutal war die Schlepperbande aus
dem Kloster" zu überprüfen, die Ende Juli bzw. Anfang August 2013
erschienen sind.
Zur Genauigkeit in Recherche und Wiedergabe von Nachrichten
In einem der Artikel wurden drei Flüchtlinge aus dem Servitenkloster
so dargestellt, als wären sie die Köpfe einer großen
Schlepperorganisation.
Diese Behauptung hätte laut Senat 2 durch eine entsprechend genaue
Recherche abgesichert werden müssen, zumal die erhobenen Vorwürfe
schwerwiegend sind. Selbst wenn sich der Vorwurf der Schlepperei
gegen die drei Flüchtlinge in einem Strafverfahren erhärten sollte,
ist eher nicht davon auszugehen, dass es sich - wie vom Artikel
suggeriert - bei den drei Verdächtigen tatsächlich um die Drahtzieher
einer europaweit operierenden Schlepperorganisation handelt.
Auch die Beträge, die in einem der Berichte ins Spiel gebracht
wurden, erscheinen dem Senat außerhalb jeder Relation. Wenn ein
Beamter vom BKA dahingehend zitiert wird, dass "die Chefs [der
Schlepperbande] bis zu 10.000 Euro pro Landsmann kassiert haben
dürften", kann daraus noch nicht der Schluss gezogen werden, dass
diese "Chefs" ausgerechnet die drei verhafteten Flüchtlinge seien und
dass sie zehn Millionen gescheffelt hätten, wobei ein Gewinn von drei
Millionen schon nachgewiesen sei. Dass drei von elf mutmaßlichen
Schleppern, die so viel Geld verdient haben sollen, in einer
Notunterkunft in einem Kloster wohnen, erscheint auf den ersten Blick
ungewöhnlich und hätte die Autoren des Artikels zur Überprüfung der
Angaben veranlassen müssen. Die Behauptungen unreflektiert zu
veröffentlichen, entspricht nicht den Grundsätzen einer
gewissenhaften und korrekten Recherche iSd. Punktes 2.1 des
Ehrenkodex.
In zwei der Artikel wurde unter Berufung auf Behörden berichtet, wie
brutal die "drei Pakistani aus dem Kloster mit ihren Komplizen"
vorgegangen seien, unter anderem, dass "Schwangere und Kranke bzw.
schwache Personen auf offener Strecke aus dem Zug oder Auto geworfen
wurden".
Auch wenn aus Behördenkreisen Aussagen in diese Richtung getätigt
worden sein sollten, durfte die "Kronen Zeitung" diese nicht
ungeprüft übernehmen. Wie dem Senat bekannt ist, wurden in anderen
Medien die ermittelnden Staatsanwälte dahingehend zitiert, dass es
keine Anhaltspunkte für ein derartiges brutales Vorgehen der drei
verhafteten Pakistani gebe; ein solches Vorgehen sei auch nicht
Gegenstand der Ermittlungen.
Da hier offenbar ein Gegencheck unterlassen wurde, verstößt auch
diese Passage gegen den Ehrenkodex.
Zum Persönlichkeitsschutz
In den Artikeln wird der Eindruck vermittelt, dass es sich bei den
verhafteten Flüchtlingen um Personen handle, die schwere Straftaten
begangen, andere Flüchtlinge misshandelt und davon finanziell enorm
profitiert haben.
Tatsächlich liefen die Ermittlungen noch, jedoch nicht wegen
Handlungen, wie sie in den Artikeln beschrieben wurden, sondern wegen
untergeordneter Hilfstätigkeiten (die drei sollen andere Pakistani
für wenig Geld im Zug von Budapest nach Wien begleitet haben).
Laut Senat 2 verstoßen vor diesem Hintergrund alle drei Artikel gegen
Punkt 5 des Ehrenkodex. Es wurde der Persönlichkeitsschutz der
betroffenen Flüchtlinge missachtet und das Prinzip der
Unschuldsvermutung verletzt.
ENTSCHEIDUNG DES SENATS 1
Die Kolumne "Post von Jeanée - Liebe Gutmenschen" in der "Kronen
Zeitung" vom 1. August, in der es auch um die Flüchtlinge aus dem
Servitenkloster ging, wurde dem Senat 1 von einer Leserin vorgelegt.
In der Kolumne wird die Behauptung aufgestellt, dass es "knallharte
Beweise" gegen "pakistanische Servitenkloster-Insassen" gebe, "mit
Landsleuten menschlich `gedealt` und insgesamt zehn Millionen
[kassiert zu haben]". Schließlich wird geschrieben, dass die Polizei
das "widerliche Menschenhandel-Netzwerk des Servitenklosters"
zerschlagen habe und die Zeit reif dafür sei, "mit Gesindel, das den
Begriff Asylwerber in den Dreck zieht, aufzuräumen."
Da die Behauptungen in der Kolumne ebenfalls nicht ausreichend
recherchiert wurden, betrachtet sie der Senat 1 als mit dem
Ehrenkodex unvereinbar. Der Senat 1 teilt die Ansicht des Senats 2,
dass eine derartige Berichterstattung den Persönlichkeitsschutz der
betroffenen Asylwerber verletzt und gegen die Unschuldsvermutung
verstößt.
Die Medieninhaberinnen der "Kronen Zeitung" sowie von "www.krone.at"
haben von der Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben und an den
Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND MEHRERER MITTEILUNGEN VON
LESERINNEN UND LESERN
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen
Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und
Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der beiden
Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
In den vorliegenden Fällen haben die Senate des Presserats aufgrund
mehrerer Mitteilungen von Leserinnen und Lesern Verfahren
durchgeführt (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In
diesen Verfahren äußern die Senate ihre Meinung, ob die Artikel den
Grundsätzen der Medienethik entsprechen. Von der Möglichkeit, an den
Verfahren teilzunehmen, haben die Medieninhaberinnen der "Kronen
Zeitung" und der Webseite "www.krone.at" keinen Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberinnen der "Kronen Zeitung" und der Webseite
"www.krone.at" haben sich der Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats
bisher nicht unterworfen.
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