• 28.07.2013, 21:00:32
  • /
  • OTS0044 OTW0044

TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: "Ägypten am Abgrund", von Floo Weißmann

Ausgabe vom 29. Juli 2013

Utl.: Ausgabe vom 29. Juli 2013 =

Innsbruck (OTS) - Sowohl den Muslimbrüdern als auch ihren Gegnern
fehlt die Bereitschaft zum politischen Kompromiss. In der arabischen
Führungsnation droht jetzt eine weitere Eskalation der Gewalt.

Mit dem neuerlichen Blutbad vom Wochenende verdüstern sich die
Zukunftsaussichten für Ägypten weiter. Diejenigen im Westen, die die
Entmachtung der demokratisch gewählten Muslimbrüder durch einen
Militärputsch stillschweigend toleriert haben, müssen spätestens
jetzt umdenken. Schon der Volksmund weiß, dass man den Teufel nicht
mit dem Beelzebub austreiben soll. Dieses Sprichwort gilt auch für
Ägypten.
Die neuen Machthaber in Uniform sind zu den Methoden eines
Polizeistaats zurückgekehrt und sie schrecken offenbar vor exzessiver
Gewalt nicht zurück. Anstelle des angekündigten nationalen Dialogs
entfaltet sich eine Kampagne, die jeden Widerstand brechen soll.
Dafür sprechen unter anderem die Verhaftung zahlreicher Führungskader
der Muslimbrüder, die hanebüchenen Anschuldigungen gegen den
gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und das Blutbad vom Wochenende.
Diese Kampagne wird den Konflikt aber eher anfachen als beenden.
Die Muslimbrüder sind unter jahrzehntelanger Repression zur größten
Organisation des Landes herangewachsen. Ihre Entmachtung und
neuerliche Unterdrückung wird sie kaum von der Bildfläche
verschwinden lassen, sondern viel eher radikalisieren.
Umgekehrt sind die Muslimbrüder nicht allein Opfer dieser
Polarisierung, sondern sie haben entscheidend dazu beigetragen. Statt
ihren Wahlsieg als Auftrag zu verstehen, gemeinsam mit allen
gesellschaftlichen Kräften ein neues Ägypten aufzubauen, haben sie
versucht, ihre eigene Agenda durchzudrücken und ihre Macht
langfristig abzusichern. Mit ihrer Sturheit und politischen
Unerfahrenheit haben sie den Schwung und die historische Chance der
Revolution verspielt und in nur einem Jahr den Rest des Landes auf
die Barrikaden gebracht. Dies diente den Generälen als Vorwand, eine
von vielen vorschnell bejubelte Notbremse zu ziehen. Jetzt erinnern
die Verhältnisse in Ägypten in gewisser Weise wieder an die Zeit vor
der Revolution.
Beiden Lagern fehlt offenbar die Bereitschaft und die Fähigkeit
dazu, die Macht zu teilen und politische Kompromisse zu schließen.
Dabei liegt es auf der Hand, dass in Ägypten erst dann wieder Ruhe
einkehren und ein Aufschwung einsetzen kann, wenn alle
gesellschaftlichen Kräfte - von den jungen Liberalen über die alten
Eliten bis zu den Muslimbrüdern - ein wenig zurückstecken und die
anderen an der Gestaltung der Zukunft teilhaben lassen. Bis es so
weit ist, droht der arabischen Führungsnation noch viel mehr Chaos
und Blutvergießen.

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PTT

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel