- 20.06.2013, 19:00:32
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DER STANDARD-KOMMENTAR "Reform und Charakter" von Eric Frey
Die Persönlichkeit von Rohani, Erdogan und Co ist wichtiger als ihre Ideologie - Ausgabe vom 21.6.2013
Utl.: Die Persönlichkeit von Rohani, Erdogan und Co ist wichtiger
als ihre Ideologie - Ausgabe vom 21.6.2013 =
Wien (OTS) - Der Wahlsieg des relativ gemäßigten
Präsidentschaftskandidaten Hassan Rohani im Iran macht eine der
spannendsten Fragen der politisch-historischen Analyse aktuell: Warum
werden manche Vertreter eines repressiven Regimes zu Reformern, die
am Ende das ganze System umstürzen? Und warum erweisen sich andere
Hoffnungsträger als Enttäuschung oder werden gar zu reaktionären
Verhinderern?
In solchen Situationen Prognosen abzugeben ist eine der schwierigsten
Aufgaben nicht nur für Experten und Journalisten, sondern auch für
andere Staatsführer, die wissen wollen, ob sie es mit einem Wolf im
Schafspelz oder einem wahren Reformer zu tun haben. Denn ein
Regimewechsel von innen, das zeigt die Geschichte, ist einem
gewaltsamen Umsturz stets vorzuziehen. Wenn er gelingt, kann er den
Lauf der Geschichte verändern.
Der Fokus auf den ideologischen Hintergrund und politischen Werdegang
solcher Figuren oder das Zitieren früherer Aussagen helfen dabei nur
wenig. Michail Gorbatschow war einst genauso ein lupenreiner
Kommunist wie Boris Jelzin, und dennoch brachen sie beide mit der
alten Sowjetunion. Willem de Klerk hegte keine Zweifel an Südafrikas
Apartheid, bis er sich in der Position der Macht wiederfand und dem
großen Versöhner Nelson Mandela gegenüberstand.
Zwei Faktoren spielen beim Wandel politischer Persönlichkeiten eine
besonders Rolle: die Anhängerschaft, auf die sie sich stützen, und
ihre eigene Persönlichkeit. Unter dem Druck der Massen wurden die
braven Reformkommunisten Imre Nagy und Alexander Dubcek einst zu
Widerstandskämpfern gegen das KP-Regime. Und auch Jelzins
Bereitschaft zum Bruch mit der Diktatur lässt sich mit den
Erfahrungen von August 1991 erklären, als er auf dem Panzer stehend
als Held der Straße gefeiert wurde. Solche Augenblicke prägen mehr
als jahrelange Ideologieseminare.
Noch wichtiger ist der Charakter. Der geschwätzige Idealist
Gorbatschow und der Gefühlsmensch Jelzin neigten vom Temperament her
zum Pluralismus; als er dann entstand, verteidigten sie ihn
instinktiv. Es war diese innere Qualität, die eine stramme Rechte wie
Margaret Thatcher einst in Gorbatschow erkannte. Wladimir Putin
hingegen ist von Natur aus ein autoritärer Charakter, der die totale
Kontrolle über Menschen und Ereignisse sucht. Nur in gut etablierten
Demokratien sind solche Typen gezwungen, Grenzen zu respektieren.
Das Gleiche gilt wohl für den türkischen Premier Recep Tayyip
Erdogan, dessen Hinwendung zur Repression wenig mit seiner Religion
und viel mit seinem Charakter zu tun hat. Auch die Unterdrückung der
Pekinger Studentenproteste 1989 war keine ideologisch ausgemachte
Sache, sondern entsprang dem Naturell von Deng Xiaoping, der Reformen
wollte, aber nur nach den eigenen Regeln zuließ.
Bei allen Reformern stellt sich auch die Frage, ob sie sich gegen die
alten Kräfte durchsetzen können. Das macht es so schwer, die Zukunft
von Burma unter dem reformbereiten Ex-General Thein Sein
abzuschätzen. Und auch bei Rohani im Iran ist sein Geschick im Umgang
mit dem eigentlichen Machthaber Ali Khameini mindestens so wichtig
wie seine politische Präferenzen. Doch die Tatsache, dass ihn eine
starke Reformbewegung ins Amt gespült hat und er wie ein Mann des
Ausgleichs und der Versöhnung wirkt, gibt Grund zu Hoffnung -
jedenfalls mehr als für die Türkei unter Erdogan.
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