• 14.06.2013, 10:55:40
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  • OTS0092 OTW0092

Presserat: Entscheidung gegen "Kronenzeitung" wegen Suizidberichterstattung

Wien (OTS) - Zwei Artikel über den Suizid einer 13-jährigen
Schülerin, erschienen am 30. und am 31. Jänner 2013 in der "Kronen
Zeitung", sowie ein am 2. Februar dazu erschienener Leserbrief sind
ein schwerwiegender Verstoß gegen den Ehrenkodex für die
österreichische Presse.
In den Artikeln wurde über den Suizid einer 13-Jährigen berichtet.
Als Grund für den Suizid wird Mobbing durch Mitschüler angeführt.
Außerdem wurden Einzelheiten über die Art und Weise des Suizids der
13-Jährigen veröffentlicht.

Zu Punkt 11 des Ehrenkodex (Suizidberichterstattung)

Vor allem im Artikel vom 31. Jänner wird der Suizid in allen
Einzelheiten und in einer Art und Weise beschrieben, die Nachahmungen
zur Folge haben könnte.
Eine derart detaillierte Beschreibung ist laut zuständigem Senat 2
des Presserats ein Verstoß gegen Punkt 11 des Ehrenkodex, wonach bei
der Berichterstattung über Suizide wegen der Gefahr der Nachahmung
große Zurückhaltung erforderlich ist (in der Wissenschaft spricht man
vom sogenannten Werther-Effekt). Anmerkung: Punkt 11 des Ehrenkodex
wurde vom Trägerverein des Presserats im vorigen Jahr neu
beschlossen, da die freiwillige Zurückhaltung der Medien bei der
Berichterstattung über Suizide nachgelassen hatte.

Zu den Punkten 5 und 6 des Ehrenkodex (Persönlichkeitsschutz
und Schutz der Intimsphäre)

Mobbing in Schulen und Suizide von Schülern sind nach Meinung des
Senats Themen, die unsere Gesellschaft bewegen. An der Aufarbeitung
dieser Themen, aber auch an der Berichterstattung über konkrete
Fälle, besteht ein öffentliches Interesse. Zugleich handelt es sich
hierbei aber auch um sehr heikle, schmerzliche Ereignisse, an die
verantwortungsvoller Journalismus mit viel Fingerspitzengefühl
herangehen sollte. Gerade wenn Minderjährige - im konkreten Fall eine
13-Jährige - betroffen sind, muss die Abwägung zwischen dem
Nachrichtenwert einerseits und der Wahrung von Persönlichkeitsrechten
und der Intimsphäre der Minderjährigen andererseits besonders sorgsam
vorgenommen werden (siehe Punkt 6.2 des Ehrenkodex, der dem Schutz
der Intimsphäre von Kindern dezidiert Vorrang einräumt).
Der Senat betont, dass sowohl die Würde als auch die Intimsphäre
eines Menschen über dessen Tod hinaus geschützt sind (siehe auch die
Entscheidungen 2011/S 1 II, 2011/S 2 I und 2011/78).
Zum Schutz der Rechte der jugendlichen Verstorbenen und ihrer
Familienangehörigen sollten private und identifizierende Details
tunlichst vermieden werden, das gebieten die Punkte 5 und 6 des
Ehrenkodex (siehe auch die Entscheidung 2011/78). Die vorliegende
Berichterstattung verletzt das Pietätsgefühl der Angehörigen und
erschwert deren Trauerarbeit, so der Senat weiter.
Aber auch die Mitschüler, die für den Tod ihrer Kollegin öffentlich
verantwortlich gemacht werden, haben Anspruch auf
Persönlichkeitsschutz wie auch auf Schutz ihrer Intimsphäre. Sie sind
erst 13 Jahre alt und werden in den beiden genannten Artikeln
pauschal verurteilt, ohne selbst Stellung nehmen zu können.
Eine solche Pauschalverurteilung (siehe Punkt 5.4 des Ehrenkodex)
kann laut Senat schwerwiegende Auswirkungen haben. Zwar werden in den
Artikeln keine Namen von Mitschülern genannt, doch in der Schule und
in deren Umfeld sind die betroffenen Jugendlichen identifizierbar.
Wie sie selbst in einem nicht veröffentlichten Leserbrief angeben,
wurden manche von ihnen infolge der verfahrensgegenständlichen
Berichterstattung sogar auf der Straße angepöbelt. Derart öffentlich
"an den Pranger gestellt" zu werden, bedeutet für diese 13-Jährigen
eine zusätzliche Belastung (zusätzlich in Hinblick darauf, dass sie
auch den Tod ihrer Mitschülerin verarbeiten müssen).
Durch die Veröffentlichung des Leserbriefes "Der Tod als Erlösung?"
am 2. Februar 2013 wurde der Druck auf die Jugendlichen noch einmal
erhöht. Aussagen wie "Niemand konnte oder wollte die quälenden Kinder
in ihrem vernichtenden Verhalten stoppen" und "E. hat ihren Frieden
gefunden, und sie möge in Frieden ruhen, ihre Peiniger haben ab jetzt
die Hölle auf Erden" sind nach Auffassung des Senats geeignet, die
Persönlichkeitssphäre der beschuldigten Minderjährigen empfindlich zu
verletzen. Nach Meinung des Senats hätte ein solcher Leserbrief nicht
abgedruckt werden dürfen.
Selbst wenn der Vorwurf des Mobbings stimmte - was in keiner Weise
erwiesen ist -, wären öffentliche Vorhaltungen und Schuldzuweisungen
jedenfalls der falsche Weg, die Geschehnisse aufzuarbeiten.
Hinzu kommt, dass ein Suizid zumeist viele Ursachen hat und nicht auf
eine einzige zurückgeführt werden kann.

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUS EIGENER WAHRNEHMUNG

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen
Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und
Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der beiden
Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall hat der Senat 2 des Presserats auf eigene
Initiative ein Verfahren durchgeführt (selbständiges Verfahren aus
eigener Wahrnehmung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine
Meinung, ob ein Artikel den Grundsätzen der Medienethik entspricht.
Von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, hat die
Medieninhaberin der "Kronen Zeitung" nicht Gebrauch gemacht.
Bisher hat sich die Medieninhaberin der "Kronen Zeitung" der
Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats nicht unterworfen.

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