- 28.11.2012, 15:36:43
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Vorratsdatenspeicherung: Viel Skepsis bei Hearing im Justizausschuss
Bisher rund 200 Abfragen durch Justiz und Sicherheitsbehörden
Utl.: Bisher rund 200 Abfragen durch Justiz und Sicherheitsbehörden =
Wien (PK) - Am 1. April dieses Jahres trat die umstrittene
Vorratsdatenspeicherung in Österreich in Kraft. Seither sind
Netzbetreiber verpflichtet, sämtliche Telefon- und
Internetverbindungsdaten sechs Monate lang zu speichern und bei
Bedarf den Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln. Bereits bei der
Beschlussfassung des Gesetzes gab es heftige Kritik von vielen
Seiten, zuletzt unterstützten mehr als 106.000 BürgerInnen eine
parlamentarische Bürgerinitiative, die auf einen Stopp der
Datensammlung drängt und aktive Schritte Österreichs zur Abschaffung
der entsprechenden EU-Richtlinie einmahnt. Heute hielt der
Justizausschuss des Nationalrats ein Expertenhearing zu dieser
Initiative ab.
Dabei übte nicht nur der Vertreter der Bürgerinitiative Andreas
Krisch Kritik an der Vorratsdatenspeicherung, auch zahlreiche Rechts-
und DatenschutzexpertInnen aus Österreich und Deutschland stellten
die Notwendigkeit und die Nützlichkeit der flächendeckenden Sammlung
von Internet- und Telefonverbindungsdaten in Frage. So wies Michael
Kilchling vom Max Planck Institut für ausländisches und
internationales Strafrecht in Freiburg darauf hin, dass bisher keine
einzige Studie die Sinnhaftigkeit der Vorratsdatenspeicherung belege.
Auch eine von der EU-Kommission vorgelegte Evaluierungsstudie
qualifizierte er als nutzlos, da sie unter anderem Verkehrs- und
Vorratsdaten in unzulässiger Weise miteinander vermische. Christoph
Tschohl vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte und der
Präsident der Salzburger Rechtsanwaltskammer Leopold Hirsch sprachen
von überschießenden Grundrechtseingriffen, die durch die Ziele der
EU-Richtlinie nicht zu rechtfertigen seien. Kritisch äußerte sich
auch Reinhard Kreissl vom Institut für Rechts- und
Kriminalsoziologie.
Bürgerinitiative fordert Evaluierung aller Überwachungsgesetze
Wie Bürgerinitiativen-Vertreter Krisch betonte, geht es der
Bürgerinitiative zum einen darum, dass Österreich sich auf EU-Ebene
für eine Abschaffung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung
einsetzt. Zum anderen urgierte er eine Evaluierung aller
Überwachungsgesetze in Österreich. Nach Einschätzung von Gerhard
Kunnert vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts ist die Chance
für eine Richtlinienänderung derzeit allerdings gering. Ein
entsprechender Vorstoß der EU-Kommission ist ihm zufolge aufgrund des
massiven Widerstandes einiger EU-Staaten eingeschlafen. Wie Kunnert
und Eva Souhrada-Kirchmayer von der Datenschutzkommission
berichteten, wird vor allem in Polen exzessiv auf Vorratsdaten
zugegriffen.
Verteidigt wurde die Vorratsdatenspeicherung von Vertretern des
Justiz- und des Innenministeriums. So hielt Christian Pilnacek,
Leiter der Sektion Strafrecht im Justizministerium, den Kritikern der
EU-Richtlinie entgegen, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht
diese als per se nicht grundrechtswidrig gewertet hat. Er und der
Leiter der Rechtsabteilung für den Bereich Telekom und Post im
Verkehrsministerium, Christian Singer, verwiesen außerdem auf
umfangreiche datenschutzrechtliche Vorkehrungen in Österreich. So
stellt laut Singer etwa eine beim Bundesrechenzentrum eingerichtete
Datendurchlaufstelle sicher, dass kein direkter Datenzugriff von
Behörden und Betreibern möglich ist. Zudem würden alle Zugriffe
protokolliert. Er machte außerdem geltend, dass Österreich bei der
Umsetzung der EU-Richtlinie sehr restriktiv vorgegangen sei und mit
der sechsmonatigen Datenspeicherung die Minimalvariante gewählt hat.
Wie der Rechtsschutzbeauftragten des Justizministeriums Gottfried
Strasser mitteilte, wurden ihm bis zum gestrigen Tag 188 Abfragefälle
vorgelegt. Ende Oktober waren es 168, wobei in einem Fall ein
Widerruf erfolgte. In drei Fällen dieser 168 Fälle ging es um Mord,
in 58 um schweren Diebstahl, in 14 um schweren Raub, in 20 um
Stalking, in 16 um schweren Betrug, in 20 um Verstöße gegen das
Suchtmittelgesetz und in 10 um Vergewaltigungen. In 19 Fällen sei
bisher eine Aufklärung erfolgt, darunter in sieben Stalkingfällen.
Als konkretes Beispiel für eine erfolgreiche Abfrage von Vorratsdaten
nannte er etwa die Klärung eines Mordes, bei dem ein Handy geraubt
wurde.
Der Rechtsschutzbeauftragte des Innenministeriums Manfred Burgstaller
berichtete von 9 Vorratsdatenabfragen durch die Sicherheitsbehörden
von April bis Ende September zur präventiven Abwehr von Gefahren,
vier Mal ging es um die Zuordnung von IP-Adressen, fünf Mal um die
Feststellung des Standorts eines Handys. Damit sei es etwa gelungen,
den Urheber einer im Internet gefundenen Anleitung zur Anfertigung
eines Bombengürtels zu eruieren und einen schwerkranken Mann zu
retten.
Bisher kein missbräuchlicher Datenzugriff bekannt
Weder Strasser noch Burgstaller ist, wie sie erklärten, ein
missbräuchlicher Datenzugriff bekannt, auch der Datenschutzkommission
liegt laut Souhrada-Kirchmayer kein entsprechender Hinweis vor.
Seitens der Abgeordneten herrschte Konsens darüber, dass die
Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung fortgesetzt werden müsse,
allerdings waren sich die Fraktionen über das Wie nicht einig. So
forderten etwa die Justizsprecher der Grünen und der FPÖ, Albert
Steinhauser und Peter Fichtenbauer, eine Vertagung der Beratungen, um
eine gemeinsame Position für die weitere Vorgangsweise Österreichs
auf EU-Ebene zu erarbeiten, konnten sich damit aber nicht
durchsetzen. Beide drängten zudem auf eine Evaluierung aller
Überwachungsgesetze und -paragraphen in Österreich.
Als Ergebnis der Beratungen fasste der Ausschuss schließlich auf
Initiative der Koalitionsparteien mit S-V-F-B-Mehrheit eine
Entschließung. Darin ersuchen die Abgeordneten die zuständigen
Regierungsmitglieder, nach Vorliegen der Ergebnisse der derzeit beim
Europäischen Gerichtshof und beim Verfassungsgerichtshof anhängigen
Verfahren zur Vorratsdatenspeicherung, etwaig notwendige
Gesetzesänderungen vorzulegen, wobei sie vor allem den Aspekt der
Datensicherheit hervorstrichen. In den Erläuterungen zum
Entschließungsantrag wird außerdem explizit auf die vom
Verkehrsministerium erlassene Datensicherheitsverordnung verwiesen.
Die Bürgerinitiative wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.
Gleich zu Beginn des Hearings hatte Ausschussvorsitzender Peter
Michael Ikrath bedauert, dass das Hearing aufgrund der
Geschäftsordnung des Nationalrats nicht öffentlich abgehalten werden
kann. Er und die anderen Mitglieder des Justizausschusses hoffen,
dass die Geschäftsordnung im Zuge der nächsten Reform entsprechend
adaptiert werde.
Eingeladen zum Hearing waren neben dem Initiator der Bürgerinitiative
Andreas Krisch die Rechtsschutzbeauftragten des Justizministeriums
und des Innenministeriums, Gottfried Strasser und Manfred
Burgstaller, Michael Kilchling (Max Planck Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht, Freiburg), Christof Tschohl (Ludwig
Boltzmann Institut für Menschenrechte), Reinhard Kreissl (Institut
für Rechts- und Kriminalsoziologie), Leopold Hirsch (Österreichischer
Rechtsanwaltskammertag), Eva Souhrada-Kirchmayer
(Datenschutzkommission), Christian Pilnacek (Justizministerium),
Verena Weiss (Innenministerium), Christian Singer
(Verkehrsministerium) sowie Gerhard Kunnert vom Verfassungsdienst im
Bundeskanzleramt. (Fortsetzung Justizausschuss)
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