Hintergründe einer fragwürdigen Entscheidung der IARC
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Wien (OTS) - Im Mai 2011 entschied die Internationale Agentur für
Krebsforschung (IARC), eine Behörde der Weltgesundheitsorganisation
WHO, nach einer einwöchigen Sitzung von 30 Experten in Lyon,
elektromagnetische Felder des Mobilfunks als "möglicherweise
krebserzeugend" einzustufen. Besonderes Gewicht wurde auf Ergebnisse
des umstrittenen schwedischen Forschers Lennart Hardell gelegt. Jetzt
aufgetauchte Dokumente belegen, dass eben dieser Forscher vor Jahren
in einen massiven Forschungsskandal verwickelt war. Die IARC wusste
von diesen Vorgängen, bevor die Expertengruppe zusammenkam.
Lennart Hardell aus Schweden ist unter Fachleuten umstritten. In
seinen Studien berichtete er immer wieder über Zusammenhänge von
Umweltfaktoren und Krebs, die von anderen Wissenschaftlern nicht
bestätigt werden konnten. In den siebziger bis neunziger Jahren des
letzten Jahrhunderts waren dies vor allem Untersuchungen zu Dioxinen,
die den Forscher weltweit bekannt machten. Seit dem Jahr 2000
publizierte Hardell viele Studien, die einen Zusammenhang zwischen
dem Gebrauch von Schnurlos- und Mobilfunktelefonen und Hirntumoren
nicht nur nahelegten, sondern geradezu einen Beweis suggerierten.
Eine Publikation von Hardell und Kollegen aus dem Jahr 2011
berichtete zum Beispiel von einem 5-fach erhöhten Risiko, an einem
Hirntumor zu erkranken, wenn die Nutzung von Mobiltelefonen in einem
Alter von unter 20 Jahren begann. Ausgewertet wurden für solche
Studien Fragebögen, die an Patienten und nicht erkrankte Kontrollen
verschickt wurden - so genannte Fall-Kontroll-Studien.
Andere Forscher konnten einen solchen Zusammenhang nicht
nachweisen. Die weltweit größte Studie, durchgeführt von einem
internationalen Team im Rahmen des INTERPHONE-Projekts, fand keinen
solchen Zusammenhang, obwohl die Anzahl der untersuchten Personen
höher als die der von Hardell betrachteten Kollektive war. Außerdem
spricht gegen die behaupteten Zusammenhänge, dass es weltweit keinen
erkennbar deutlichen Trend hin zu mehr Hirntumoren gibt, der ja zu
erwarten wäre, würden die Ergebnisse von Hardell zutreffen.
Fachleute, mit denen Hardell auch gerne streitet, werten diese
Ergebnisse als Ausreißer, da sie nicht durch vergleichbare Studien
belegt werden können - eine Voraussetzung dafür, dass sie als
anerkannt gelten können. Außerdem wundert sich die wissenschaftliche
Gemeinschaft, dass die Antwortraten der Hardell'schen Studien
außergewöhnlich hoch sind. In der Studie aus dem Jahr 2011 waren es
85% (bei Patienten und Kontrollen), in der INTERPHONE-Studie lagen
sie zum Vergleich zwischen 53% (Kontrollen) und 78% (Patienten).
Dem Biologen Alexander Lerchl, Professor aus Bremen, liegen
Dokumente vor, die belegen, dass dem schwedischen Wissenschaftler
Mitte der achtziger Jahre schwer wiegende wissenschaftliche
Verfehlungen nachgewiesen wurden. Eine Studie, bei der es um
chemische Substanzen und Krebs ging, wurde von Hardells damaligem
Vorgesetzten und Kollegen so geplant, dass Einflussnahmen seitens der
Forscher ausgeschlossen waren. Hardell, so zeigte sich, verstieß
gleich mehrfach gegen die vereinbarten Regeln. So wurden die
Anschreiben an die Patienten gegen andere ausgetauscht, in denen
ihnen Buchgeschenke als Gegenleistung für die Beantwortung der
Fragebögen versprochen wurden. Die Adresse für die Rücksendung,
eigentlich eine andere Abteilung, wurde gegen Hardells Adresse
ausgetauscht, und die Fragebögen wurden von einer dritten Person aus
Hardells Postfach aussortiert, umgepackt und gebündelt von zwei
schwedischen Postämtern an die richtige Adresse geschickt.
"Manipulationen waren durch die nicht verblindete Auswertung
natürlich möglich", so Lerchl, der sich bereits 2008 einen Namen
gemacht hatte, als er die gefälschten Mobilfunkexperimente an der
Medizinischen Universität Wien im Rahmen der REFLEX-Studien
aufdeckte.
Hardell, so der Bericht, gab die Manipulationen auch zu und
versicherte, diese Tatsache dem Sponsor für eine geplante Folgestudie
mitzuteilen - was aber nicht geschah. Die Studie wurde im Jahr 1990
veröffentlicht und enthält keinen Hinweis auf die Umgehung der
Verblindung. Der Bericht blieb lange Zeit in der Schublade, da man
seinerzeit einen Skandal verhindern wollte.
Die Krebsagentur in Lyon wusste von diesen Vorgängen, entschied aber
nicht, Hardell auszuladen. Lerchl sieht die IARC und die WHO daher in
akuter Erklärungsnot. "Ein Forscher, der sich derart massiver
Manipulationen schuldig gemacht hat, egal wie lange das her ist, darf
nicht in Gremien sitzen, die ein so hochsensibles und wichtiges Thema
behandeln", sagt der Experte, der auch Mitglied der deutschen
Strahlenschutzkommission und für den Bereich der elektromagnetischen
Felder zuständig ist.
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