• 12.10.2012, 12:41:27
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  • OTS0167 OTW0167

Neue Entscheidungen des Presserates

Wien (OTS) - Der Senat 2 des Presserates hat sich in seiner Sitzung
am 4.9.2012 u.a. mit folgenden Themen befasst:

1. "Live-Ticker" über das Begräbnis eines Kindes

Mehrere User beanstandeten einen "Live-Ticker" auf der Webseite
oe24.at über das Begräbnis eines siebenjährigen Kindes, das von
seinem Vater umgebracht wurde.

Der zuständige Senat bewertete den "Live-Ticker" als Verstoß gegen
den Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Der "Live-Ticker" verletzt laut Senat gleichermaßen die
Intimsphäre der Familienmitglieder wie jene des verstorbenen Kindes.
Die Persönlichkeit des Kindes genießt auch postmortal Schutz.

Ein Begräbnis, dem üblicherweise nur die Familie und der
Freundeskreis beiwohnen, jene Menschen also, die dem Verstorbenen im
Leben nahestanden, ist ein Ereignis, das dem von der Intimsphäre
geschützten Bereich zuzurechnen ist.

Ein öffentliches Interesse, über den Verlauf eines Begräbnisses in
detaillierter Weise informiert zu werden, besteht grundsätzlich
nicht. Ein solches Interesse kann nur in Ausnahmefällen angenommen
werden, z.B. wenn eine Person des öffentlichen Lebens zu Grabe
getragen wird.

Das verstorbene Kind geriet nur deshalb in den Fokus der Medien,
weil es Opfer eines tragischen Gewaltverbrechens wurde. Bei Kindern
ist gemäß Punkt 6.1 des Ehrenkodex für die österreichische Presse der
Schutz der Intimsphäre Vorrang vor dem Nachrichtenwert einzuräumen.

Das Begräbnis eines getöteten Kindes via "Live-Ticker" zu
"übertragen", ist mit dem öffentlichen Interesse am Mordfall nicht zu
rechtfertigen. Die bloße Mitteilung, dass der getötete Junge beerdigt
wurde, hätte dem Recht der Öffentlichkeit auf Information Genüge
getan. An einem minutiösen Bericht vom Begräbnis eines Kindes kann
der Senat keinen zusätzlichen Nachrichtenwert erkennen.

Formulierungen wie "Die Mienen der Trauernden sind
schmerzverzerrt." oder "...viele weinen, schluchzen, halten
einander." sind nicht von den Informationsinteressen der
Öffentlichkeit gedeckt, sondern bedienen bloß die Neugierde mancher
Leser.

Hier wurden nicht nur die Persönlichkeitsrechte des verstorbenen
Kindes verletzt, sondern auch jene seiner nahen Angehörigen. Durch
die Offenlegung sehr persönlicher Details wurde das Pietätsgefühl der
Trauernden missachtet und ihre Trauerarbeit erschwert.
Außerdem kommt im konkreten Fall noch hinzu, dass am Tag vor dem
Begräbnis einer APA-Meldung zu entnehmen war, dass die Familie des
verstorbenen Kindes die Teilnahme von Medienvertretern am Begräbnis
nicht wünschte.

Medieninhaber wie auch Journalisten tragen Verantwortung dafür, ob
und in welcher Weise sie eine Kommunikationsform wie einen
"Live-Ticker" nutzen. Gerade bei dramatischen Ereignissen wie
Katastrophen, Verbrechen oder Todesfällen ist besondere Sensibilität
gefragt.

Oe24.at hat aufgrund der negativen Reaktionen der User den
"Live-Ticker" abgebrochen und sich entschuldigt. Der Senat begrüßt
diese Entschuldigung und bewertet sie positiv. Dennoch hielt er es
für erforderlich, aufgrund der Schwere des Falles einen Verstoß gegen
den Ehrenkodex festzustellen.

Im vorliegenden Fall hat der Senat 2 des Presserats aufgrund
mehrerer Mitteilungen von Lesern ein Verfahren durchgeführt
(selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem
Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob ein Artikel den
Grundsätzen der Medienethik entspricht. Von der Möglichkeit, an dem
Verfahren teilzunehmen, hat die Media Digital GmbH als
Medieninhaberin von "www.oe24.at" keinen Gebrauch gemacht.

Bisher hat sich das Medium "www.oe24.at" der
Schiedsgerichtsbarkeit des Presserates nicht unterworfen.

2. Vorabdruck des Romans "Shades of Grey - Geheimes Verlangen"
in der Kronen Zeitung (Fall 2012/70)

Ein Leser empfindet den Vorabdruck von Teilen des Romans "Shades
of Grey - Geheimes Verlangen" in der Kronen Zeitung als Pornografie.

Der Senat sah hier keinen Grund, ein Verfahren einzuleiten.

Nach Ansicht des Senats ist die Veröffentlichung eines Auszuges
eines literarischen Werkes, in dem sadomasochistische Vorlieben wie
vorliegend beschrieben werden, heutzutage im Großen und Ganzen von
der Gesellschaft akzeptiert. Vorabzüge des Buches "Shades of Grey"
sind nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern weltweit auf diese
Art und Weise in Zeitungen vermarktet worden. Bei der
Entscheidungsfindung spielte neben der Presse- und Meinungsfreiheit
auch die Kunstfreiheit eine Rolle.

Natürlich ist es möglich, dass Vorabdrucke von Teilen
literarischer Werke - wie auch die Werke selbst - nicht immer den
Geschmack aller Leser treffen, so der Senat weiter. Über
Geschmacksfragen entscheiden die Senate des Presserates jedoch nicht.
In den Feuilletons der Zeitungen sind diese Fragen zu dem Buch
"Shades of Grey" ohnehin ausführlich diskutiert worden.

Die Entscheidungen im Langtext finden Sie auf der Homepage des
Presserates (www.presserat.at).

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