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"Die Presse"-Leitartikel: Die Angst des Kreml-Herrn vor drei jungen Frauen, von Wieland Schneider
Ausgabe vom 18.08.2012
Wien (OTS/Die Presse) - Die Aktivistinnen von Pussy Riot zahlen
persönlich einen hohen Preis. Doch sie haben es geschafft, den
Irrwitz des Systems Putin zu demaskieren.
Wladimir Putin liebt die Pose des starken Mannes. Ob als Biker, als
Kampfpilot oder als Jäger in Sibirien: Die Macho-Auftritte des
muskelbepackten Kreml-Herrn sind legendär und Teil eines über sehr
viele Jahre gepflegten Images. Putins Vorgänger Boris Jelzin kämpfte
mit den Nachwehen des Zerfalls der Sowjetunion, mit einem erstarkten
Amerika und der Angewohnheit, oft einige Gläschen Wodka zu viel zu
trinken. Das Russland nach Jelzin sollte deshalb ein mächtiges
Russland sein. Ein Land, so kraftstrotzend und agil wie sein neuer
oberster Chef Putin.
Auch nach mehr als einem Jahrzehnt an der Macht als Präsident,
Premierminister und jetzt erneut Präsident versucht Putin, dieses
ikonenhafte Bild von sich zu bewahren. Doch es wird immer mehr zur
Karikatur verzerrt. Mitschuld daran ist ein anderes Bild, das derzeit
die Außenwahrnehmung von Russland dominiert: Das Bild dreier junger,
zierlich wirkender Frauen, die man wie gefährliche Verbrecher in
Fesseln vor Gericht schleppt und dort - während einer unfairen
Verhandlung - in einen Glaskäfig sperrt. Und die man schließlich zu
zwei Jahren Haft verurteilt. Das alles, weil sie es gewagt hatten,
Putin mit einer frechen Performance vor den Kopf zu stoßen. Die
Botschaft, die Putin damit an Russland und die Welt sendet, lautet:
Der starke Mann im Kreml zittert offenbar vor drei jungen Frauen.
Bei seinem Besuch in London Anfang August hatte Russlands Präsident
noch versucht, diesen medialen Schaden zu begrenzen. Er zeigte sich
von seiner milden Seite, sagte Journalisten, man soll die
Pussy-Riot-Aktivistinnen nicht zu hart bestrafen. Seit Freitag ist
klar, was Putin und die Seinen unter Milde versteht: zwei Jahre
Lager.
Es gibt aber auch noch eine andere Erklärung: Der Kreml-Chef tut nur
dann so, als würde ihn die internationale Meinung kümmern, wenn er in
die Mikrofone internationaler Medien spricht. Zu Hause in Russland
sieht dann alles wieder anders aus. Dann gilt eine andere Logik - die
Logik eines Systems, in dem es kein Verzeihen gibt, in dem die
Staatsmacht als Verlierer dagestanden wäre, wenn die drei Angeklagten
so einfach davongekommen wären. Die Frauen von Pussy Riot lächelten
während der Urteilsverkündung. Denn sie haben den Irrwitz genau
dieses Systems demaskiert. Aus Sicht des politischen Aktivismus waren
sie somit erfolgreich, auch wenn sie persönlich dafür einen sehr
hohen Preis bezahlen.
Ihr Anti-Putin-"Gebets"-Auftritt verstörte den Kreml, die orthodoxe
Kirche und einen Teil der russischen Gesellschaft, weil damit
zielgenau wunde Punkte getroffen wurden: Es geht dabei nicht nur um
die Allmacht des Systems Putin. Es geht auch um die Verbandelung der
orthodoxen Kirche mit den Machthabern, um die Frage, ob Kirche und
Staat in Russland in ausreichendem Maße getrennt sind. All das sind
Themen, die eines intensiven öffentlichen Diskurses bedürfen. Doch
den gibt es in Russland so gut wie nicht. Denn er wird von den
Herrschenden unterbunden.
Daran wird sich in nächster Zeit wohl auch nichts ändern. Wladimir
Putin denkt nicht daran, die Zügel lockerer zu lassen. Im Gegenteil:
Die kleinen Pflänzchen einer beginnenden Liberalisierung unter
Präsident Dmitrij Medwedjew werden derzeit zertreten, Oppositionelle
wieder härter angefasst als bisher. Auch auf der internationalen
Bühne schaltet Putin erneut auf stur - etwa im Fall Syrien. Moskau
zeigt sich unnachgiebig, denkt nicht daran, vom wankenden Regime des
syrischen Präsidenten Bashar al-Assad abzurücken. Russland hätte es
von allen Mächten noch am ehesten in der Hand, eine diplomatische
Lösung herbeizuführen. Es könnte Assad zum Abdanken bewegen. Doch
Moskau sperrt sich - möglicherweise zu dem Preis, in einem Syrien
nach einem Machtwechsel jeglichen Einfluss verloren zu haben.
In Russland selbst wird Putin den Preis für sein kompromissloses
Auftreten nicht so rasch bezahlen. Was im Ausland als Skandalurteil
gegen Pussy Riot gesehen wird, stößt dort bei einer gewissen Klientel
auf Zustimmung. Doch immer mehr Russen dämmert es, dass das
Mundtotmachen kritischer Künstler nicht Stärke zeigt, sondern genau
das Gegenteil.
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