- 07.03.2012, 11:39:50
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 - OTS0154 OTW0154
 
Rechtsanwälte decken auf: Justizministerium schleust brisante Gesetzesänderung mit Scheinbegutachtung ins Parlament
Gravierende Änderung der Strafprozessordnung an Begutachtung vorbeimanövriert. ÖRAK-Präsident Wolff: "Dieses Vorgehen ist eines Rechtsstaates unwürdig, das Parlament muss handeln!"
Wien (OTS) - Mit großer Sorge nimmt der Österreichische
 Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) zur Kenntnis, dass ein Gesetzesentwurf,
 der von der Rechtsanwaltschaft mit Stellungnahme vom 7. Februar 2012
 begutachtet wurde, nach Ablauf der Begutachtungsfrist (7. Februar
 2012) und vor der Behandlung im Ministerrat (28. Februar 2012)
 wesentliche Änderungen erfahren hat, die - weil nachträglich in den
 Text eingefügt - einer Begutachtung entzogen waren. Diese Änderungen
 der Strafprozessordnung besitzen enorme gesellschaftliche Tragweite
 und Brisanz. Es handelt sich dabei um die Schaffung gesetzlicher
 Rahmenbedingungen, unter denen Redaktionsgeheimnis, anwaltliche
 Verschwiegenheit und eine Reihe weiterer gesetzlich geregelter
 Verschwiegenheitspflichten und -rechte problemlos von der
 Staatsanwaltschaft ausgehebelt werden können, und zwar ohne
 Einbindung eines unabhängigen Gerichts, dessen Kompetenzen im
 Strafverfahren weiter zugunsten der weisungsgebundenen
 Staatsanwaltschaft eingeschränkt werden.
ÖRAK-Präsident Dr. Rupert Wolff zeigt sich erschüttert und spricht
 von einem unwürdigen, undemokratischen Vorgehen. "Der nun in der
 Regierungsvorlage versteckte Angriff auf Grundpfeiler des
 demokratischen Rechtsstaates hätte in der Begutachtung verheerende
 Kritik erfahren, das wusste auch das Justizministerium, und ließ die
 betreffende Passage deshalb erst nach Ende der Begutachtung
 hinzufügen", so Wolff.
Konkret geht es um die Paragrafen 112 und 116 der
 Strafprozessordnung. § 112 regelt die Sicherstellung von
 schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern bei Personen, die im
 Interesse der Bürgerinnen und Bürger deren Recht auf verschwiegene
 Behandlung ihrer Daten und Informationen zu wahren haben. Dies gilt
 für Journalisten, Rechtsanwälte, Steuerberater, Notare, Ärzte und
 andere Berufsgruppen.
Gerade eine aufsehenerregende Publikation eines investigativen
 Journalisten fällt auffällig genau in den Zeitraum zwischen
 Begutachtungsende und Ministerratsbeschluss, in dem es plötzlich als
 notwendig erachtet wurde, den fertig begutachteten Entwurf maßgeblich
 abzuändern, und über die Zubilligung von gesetzlich garantierten
 Berufsgeheimnissen nun die Staatsanwaltschaft entscheiden zu lassen.
"Es ist bedenklich, eine so gravierende Bestimmung nicht mit den
 betroffenen Berufen zu diskutieren, sondern am Begutachtungsverfahren
 vorbeizuschleusen", mahnt Wolff zu mehr Sensibilität und
 Aufrichtigkeit. Die nun gewählte Vorgehensweise wertet die
 österreichische Rechtsanwaltschaft als massiven Angriff auf die
 Rechte der Bürger und einer Demokratie unwürdig. "Dies ist eine
 demokratiepolitische Farce!", so Wolff. Die betroffenen Berufsgruppen
 und die Öffentlichkeit wurden nicht einmal nachträglich über die
 Veränderungen informiert. Auf mehrfache Anfrage des ÖRAK beim
 Justizministerium wurde keine Auskunft erteilt.
"Sollten die Regierungsparteien im Parlament dieses Gesetz nun
 einfach durchwinken, wäre der Skandal perfekt. Wenn wir in Österreich
 noch einen Funken politischen Anstand besitzen, muss das Parlament
 diesen Gesetzesentwurf ablehnen", findet Wolff klare Worte. Der
 Österreichische Rechtsanwaltskammertag hat umgehend alle politisch
 Verantwortlichen, aber auch alle anderen in der Begutachtung
 umgangenen Institutionen (Oberster Gerichtshof, Verfassungsdienst im
 Bundeskanzleramt, Rechnungshof usw), die betroffenen Berufsgruppen
 und den Herrn Bundespräsidenten von der Vorgehensweise und dem
 brisanten Inhalt der Regierungsvorlage informiert.
Details zum Ablauf, Inhalt des durchgeschleusten
 Gesetzesentwurfes und seinen Auswirkungen
Ablauf:
Am 24. Jänner 2012 wurde vom Justizministerium ein Gesetzesentwurf in
 Begutachtung geschickt, mit dem eine Reihe von Regelungen im
 Tilgungsgesetz, im Strafregistergesetz aber auch in der
 Strafprozessordnung (StPO) geändert werden sollen (Der
 Begutachtungsentwurf ist hier abrufbar:
 http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/ME/ME_00347/index.shtml).
 Darunter auch § 112 StPO. Dieser Paragraf regelt die Sicherstellung
 von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern bei Personen, die
 im Interesse der Bürgerinnen und Bürger einer gesetzlich anerkannten
 Pflicht zur Verschwiegenheit unterliegen. Dies betrifft sowohl
 Journalisten, als auch Rechtsanwälte, Steuerberater, Notare, Ärzte
 und andere (siehe § 157 Abs. 1 StPO). Die geltende Rechtslage sieht
 vor, dass bei Widerspruch gegen eine Sicherstellung (zB im Rahmen
 einer Hausdurchsuchung) die jeweiligen Aufzeichnungen und Datenträger
 versiegelt und dem Gericht vorgelegt werden müssen, ohne dass sie
 zuvor eingesehen werden dürfen. Das Gericht hat daraufhin die
 Aufzeichnungen und Datenträger zu sichten und zu entscheiden, ob und
 in welchem Umfang sie zu beschlagnahmen oder dem Betroffenen
 zurückzustellen sind. Einer Beschwerde gegen die Entscheidung des
 Gerichts kommt aufschiebende Wirkung zu. Der Begutachtungsentwurf sah
 eine Präzisierung dieser Regelung vor, indem lediglich der Begriff
 "Pflicht zur Verschwiegenheit" in "Recht auf Verschwiegenheit"
 geändert werden sollte. Damit wäre einer Entscheidung des Obersten
 Gerichtshofes (OGH) Rechnung getragen worden. Gegen diesen
 Änderungsvorschlag gab es im Rahmen der Begutachtung keinerlei
 Einwände, auch nicht von der Rechtsanwaltschaft. Am 7. Februar 2012
 endete die Begutachtungsfrist.
Drei Wochen später, am 28. Februar 2012, wurde im Ministerrat eine
 Regierungsvorlage beschlossen, deren Inhalt gravierende Änderungen
 erfahren hat, die somit einer Begutachtung entzogen waren (Die
 Regierungsvorlage ist hier abrufbar:
 http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/I/I_01677/index.shtml).
Nachträgliche, gravierende Änderungen:
- Beschuldigte Rechtsanwälte, Journalisten, Ärzte, Steuerberater,
 Notare ua können künftig nicht mehr der Sicherstellung von
 Aufzeichnungen und Datenträgern widersprechen. Es wäre daher künftig
 ein Leichtes, die Verschwiegenheit eines Rechtsanwaltes oder das
 Redaktionsgeheimnis auszuhebeln, indem man den Betroffenen in die
 Position eines Beschuldigten versetzt. Gerade in Wirtschafts- und
 Korruptionsfällen wäre diese Vorgehensweise leicht möglich und in
 manchen Fällen zu verführerisch. Dabei wird völlig außer Acht
 gelassen, dass Rechtsanwälte, Journalisten usw. auch in der Position
 eines Beschuldigten nicht von ihrer Verschwiegenheit entbunden sind.
 Durchsuchungsbefehle werden zudem von den Sicherheitsbehörden in der
 Regel durchaus weit interpretiert, weshalb auch Akten und Datenträger
 mitgenommen werden, die nicht die jeweilige Causa betreffen. Gerade
 bei der Sicherstellung von Datenträgern ist eine Trennung in vielen
 Fällen gar nicht möglich, es wird vielmehr die ganze Festplatte
 mitgenommen, womit die Sicherheitsbehörden im Besitz des gesamten
 Akten- bzw Datenmaterials einer Kanzlei oder Redaktion wären. Die
 Rechtsanwaltschaft spricht sich daher entschieden dagegen aus, dass
 ein Beschuldigter nicht im Sinne des § 112 der Sicherstellung
 widersprechen darf.
- Bei einem Widerspruch des Betroffenen gegen die Sicherstellung
 waren bisher die Aufzeichnungen und Datenträger zu versiegeln und dem
 Gericht vorzulegen. Künftig wären sie von der Staatsanwaltschaft "vom
 Ermittlungsakt getrennt aufzubewahren". Der Betroffene hätte binnen
 einer "angemessenen, 14 Tage nicht übersteigenden Frist" jene Teile
 genau zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner
 Verschwiegenheitspflicht bedeuten würde. Unterlässt er dies, wären
 die Aufzeichnungen zum Akt zu nehmen. Bisher prüfte das Gericht,
 künftig müsste der Betroffene selbst binnen maximal 14 Tagen konkrete
 Angaben machen, was ihm in der Praxis gar nicht möglich sein wird.
 Oft ist niemand informiert, was die Sicherheitsbehörden tatsächlich
 mitgenommen haben. Außerdem wird es dem Betroffenen mit Sicherheit
 nicht möglich sein, die beschlagnahmten Unterlagen binnen 14 Tagen
 zur Einsicht zu erhalten, zu sichten und dazu noch ein konkretes
 substantiiertes Vorbringen in Hinblick auf jene Aktenteile zu
 erstatten, die der Verschwiegenheit unterliegen.
- Anstelle des Richters soll künftig der Staatsanwalt unter
 Beiziehung "geeigneter Hilfskräfte" (womöglich die ermittelnden
 Beamten?) die sichergestellten Unterlagen sichten und anordnen, in
 welchem Umfang sie zum Akt zu nehmen sind. Gegen die spätere
 Anordnung der Staatsanwaltschaft, welche Unterlagen zum Akt zu nehmen
 sind, kann zwar Einspruch erhoben werden, zu diesem Zeitpunkt wurden
 die Unterlagen aber bereits von dieser gesichtet. Dadurch würden die
 Strafverfolgungsbehörden in Kenntnis des Inhalts kommen, noch bevor
 überhaupt geklärt ist, ob die Unterlagen der Verschwiegenheit
 unterliegen. Genau jene Personen, denen gegenüber die
 Verschwiegenheit gilt, könnten dadurch die Unterlagen vor der
 Entscheidung, in welchem Umfang sie überhaupt zum Akt genommen
 werden, einsehen und damit in Kenntnis des Inhalts gelangen. Von
 einer Wahrung der Verschwiegenheit oder des Redaktionsgeheimnisses
 kann keine Rede mehr sein.
Bisher bestand der Grundsatz, dass bei wesentlichen Eingriffen in die
 Grundrechte des Bürgers nicht der Staatsanwalt, sondern der Richter
 zu prüfen hat, und zwar als erste Instanz (nicht als letzte). Nun
 wird von diesem Grundsatz ohne Vorankündigung, ohne Diskussion, ja
 sogar ohne Information der Öffentlichkeit abgegangen. "Es ist Aufgabe
 des weisungsfreien, unabhängigen Richters, über derartige Eingriffe
 zu befinden und nicht jene des weisungsgebundenen Staatsanwalts", so
 Wolff. Auch in § 116 StPO wird der ursprüngliche Entwurf, in dem eine
 Änderung dieses Paragrafen gar nicht vorgesehen war, nachträglich
 abgeändert und richterliche Kompetenz zugunsten der
 Staatsanwaltschaft beseitigt.
"Offenbar sollen die Gerichte ausgebremst werden, indem man die
 Kompetenzen des Richters im Strafverfahren einschränkt", so Wolff.
 "Die Macht des weisungsgebundenen Staatsanwaltes soll hingegen immer
 größer werden". Dies sei umso besorgniserregender, wenn derartige
 Regelungen auch noch geheim, unter Umgehung der Begutachtung, in
 einen vorhandenen, unverdächtigen Entwurf eingeschleust werden.
 Außerdem werden versteckt und entgegen Artikel 6 der Europäischen
 Menschenrechtskonvention (EMRK) die Verschwiegenheitspflichten und
 -rechte zahlreicher Berufsgruppen ausgehebelt. "Im Rahmen eines
 ordentlichen Begutachtungsverfahrens wären diese Pläne von allen
 Experten in der Luft zerrissen worden", so Wolff, der die
 Vorgehensweise des Justizministeriums als inakzeptabel bezeichnet.
In Österreich gibt es 5700 Rechtsanwälte und 1900
 Rechtsanwaltsanwärter. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und
 unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten
 verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der Schutz,
 die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner. Dritten
 gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit
 verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat
 gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die
 Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den
 Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, ÖRAK, mit Sitz in Wien.
Rückfragehinweis:
 Österreichischer Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK)
 Bernhard Hruschka Bakk.
 Tel.: 01 535 12 75-15, 0699 104 165 18
 mailto:hruschka@oerak.at
 www.rechtsanwaelte.at
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