• 01.02.2012, 10:41:39
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  • OTS0077 OTW0077

Sicherheitspolizeigesetz: Rechtsanwälte wenden sich in offenem Brief an den Innenausschuss des Nationalrates

Evaluierung der bereits bestehenden Bestimmungen und Einführung einer Informationspflicht nach erfolgter Überwachung statt neuerlicher Erweiterung der Polizeibefugnisse

Wien (OTS) - Morgen, Donnerstag, steht die Novelle des
Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) auf der Tagesordnung des
Innenausschusses des Nationalrates. In einem offenen Brief wendet
sich Dr. Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen
Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), an die Ausschussmitglieder um diese
noch einmal auf die grundsätzlichen Bedenken der Rechtsanwaltschaft
hinzuweisen. Wolff regt an, anstatt einer neuerlichen Erweiterung der
polizeilichen Befugnisse zunächst eine Evaluierung der bereits
bestehenden Bestimmungen durchzuführen. Außerdem sollen die
Sicherheitsbehörden per Gesetz dazu verpflichtet werden, unmittelbar
nach Wegfall der Gefahr, die betroffenen Bürgerinnen und Bürger über
getätigte Überwachungsmaßnahmen nachweislich zu verständigen.

Der Brief im Wortlaut:

Sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses für innere Angelegenheiten!

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) erlaubt sich noch
einmal, auf seine grundsätzlichen Bedenken bezüglich der geplanten
Novellierung des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) hinzuweisen, die
trotz mancher Abänderungen nach wie vor aufrecht sind. Die Novelle
stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grund- und
Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger dar.

Vor der beabsichtigten Novellierung des SPG ist aus Sicht der
Rechtsanwaltschaft eine Evaluierung der bestehenden Bestimmungen des
SPG dringend erforderlich. Seit mittlerweile zehn Jahren werden den
Sicherheitsbehörden in immer kürzeren Abständen immer mehr
Überwachungsmöglichkeiten eingeräumt, ohne jemals Sinnhaftigkeit und
Mehrwert für die tatsächliche Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger
hinterfragt zu haben.

Auf die Ergebnisse der Evaluierung der Vorratsdatenspeicherung in der
Bundesrepublik Deutschland sei verwiesen
(http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2012-01/vorratsdatenspeicheru
ng-studie).

* Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag regt daher an, zunächst
eine Evaluierung der bestehenden Bestimmungen vorzunehmen, bevor eine
neuerliche Erweiterung der polizeilichen Befugnisse im Gesetz
verankert und damit immer tiefer in Grund- und Freiheitsrechte der
Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird.

Darüber hinaus ist die nach wie vor fehlende Verpflichtung der
Behörde, Betroffene einer Standortdaten-Ermittlung im Nachhinein zu
informieren, ein schweres rechtsstaatliches Defizit, das zu Recht
auch schon in der geltenden Gesetzeslage kritisiert wurde und nunmehr
prolongiert werden soll. In diesem Zusammenhang ist auf ein gegen
Österreich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
anhängiges Beschwerdeverfahren hinzuweisen (Tretter und Andere gegen
Österreich, Beschwerde-Nr. 3599/10, eingebracht am 15.01.2010). Diese
Beschwerde richtet sich konkret gegen die Bestimmung des § 53 Abs. 3b
SPG und eine in diesem Zusammenhang nicht erfolgte Information über
eine Handyortung. Es sind auch Ihre Daten, sehr geehrte Damen und
Herren Abgeordnete, die im Zuge sicherheitspolizeilicher
Überwachungsmaßnahmen ohne Ihr Wissen ermittelt, gespeichert und
verarbeitet werden können, ohne dass Sie im Nachhinein darüber
informiert werden, geschweige denn Ihnen die Möglichkeit eingeräumt
wird, die Rechtmäßigkeit der Überwachung nachträglich zu überprüfen.

* Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag regt daher an,
gesetzlich dafür Vorsorge zu tragen, dass die Sicherheitsbehörden
dazu verpflichtet werden, unmittelbar nach Wegfall der Gefahr, die
betroffenen Bürgerinnen und Bürger über getätigte
Ermittlungsmaßnahmen nachweislich zu verständigen.

Hinzuweisen ist, neben den bereits in unserer Stellungnahme
geäußerten Kritikpunkten, auch auf die Tatsache, dass für die von
sicherheitspolizeilichen Maßnahmen Betroffenen nach wie vor kein
Rechtsbeistand vorgesehen ist, um deren Rechte bereits im Zuge der
Genehmigung der Überwachung durch den Rechtsschutzbeauftragten zu
wahren. Änderungsbedarf besteht aus Sicht des ÖRAK auch in der
grundsätzlichen Ausgestaltung der Funktion des
Rechtsschutzbeauftragten (tatsächliche Unabhängigkeit,
Neustrukturierung). Wie ein Gespräch mit diesem ergeben hat,
unterstützt auch der Rechtsschutzbeauftragte selbst sowohl die Kritik
der Rechtsanwaltschaft an der fehlenden Informationspflicht im Zuge
der Standortermittlung, als auch die Forderung nach einer unbedingt
notwendigen Evaluierung der bestehenden Bestimmungen des SPG.

Als Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages ersuche
ich Sie, die genannten Bedenken ernst zu nehmen und gerade dort, wo
es um die Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger geht,
Ihrer großen Verantwortung als deren gewählte Vertreterinnen und
Vertreter mit besonderer Sorgfalt gerecht zu werden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Rupert Wolff

In Österreich gibt es 5700 Rechtsanwälte und 1900
Rechtsanwaltsanwärter. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und
unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten
verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der Schutz,
die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner. Dritten
gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit
verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat
gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die
Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den
Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, ÖRAK, mit Sitz in Wien.

Rückfragehinweis:
Österreichischer Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK)
Bernhard Hruschka Bakk.
Tel.: 01 535 12 75-15
mailto:hruschka@oerak.at www.rechtsanwaelte.at

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